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Tagebuch Doc12
2010-11-15 06:30
Der weinende Clown - 114
Bruno schwieg betroffen und kaute dabei auf einem Stück seiner Brezel herum. Dann meinte er: „Aber zurück zum Überwachungsstaat: Wir sind immer noch freie Menschen und können diese Freiheit genießen, denke ich.“
„Glaubst du das wirklich ernsthaft? Dem ist nicht so! Mach die Augen auf, mein Sohn und erwache!“ Bruno sah Gottfried mit großen Augen an, der nach einer kurzen Pause meinte: „Nur mal als Beispiel, mein Sohn: Die Taliban wollen einen fundamentalistischen Gottesstaat – die Deutschen reagieren darauf mit einem Überwachungsstaat, doch beides nimmt die Freiheit. Was also glaubst du, ist besser?“
„Es kommt auf das Gleiche raus ...“, antwortete Bruno nachdenklich.
„Gut erkannt, mein Lieber. Der einzig wahre Grund ist: Der Staat schützt sich damit gegen seine eigenen Bürger – also eigentlich vor sich selbst und er ist weder daran interessiert, dass der einzelne reich wird, er ist nicht daran interessiert, das es dem einzelnen gut geht, er will keine Leute, die aus der Reihe scheren, eigenständig
denken oder gar gegen ihn protestieren. Er will nur funktionierende Bürger und sonst nichts.“
„Aber wir leben nun mal hier und es gibt Schlimmeres, denke ich. Zudem ist unsere Demokratie eine gute Staatsform, in der man gut leben kann – und Kompromisse macht man immer, wer Rechte hat, hat bekanntlich auch Pflichten.“
„Stimmt“, erwiderte Gottfried lächelnd und fuhr fort: „Die Demokratie ist von allen schlechten Staatsformen immer noch die beste, doch die Deutschen sind nicht die besten Demokraten, wie sie oft glauben.“
„Ach was! Und warum das denn?“
„Eigentlich braucht die Demokratie Menschen, die engagiert sind, die in der Lage und willens sind, ihr Leben selbst in die Hand zu nehmen und in den Griff zu bekommen, die weise, liebevoll und mit vollem Verstand entschlossen handeln – und diejenigen, die versuchen, es sich auf Kosten der anderen gemütlich zu machen, sind in einer Demokratie am falschen Platz. Doch genau das wird Mode, fängt oben an und breitet sich langsam nach unten aus. Man sollte bei allem aber auch eines nicht vergessen: Es war zu keiner Zeit so gut in Deutschland zu leben wie jetzt und besieht man eure Probleme, so sind es im Vergleich zu anderen Ländern genau genommen Luxusprobleme und – so abgedroschen dies klingen mag, jammert ihr oft auf einem hohen Niveau. Durch euren allgemeinen Wohlstand aber seht ihr das nicht mehr so, wollt von der Politik jede Kleinigkeit gerichtet haben, denn Ordnung geht euch Deutschen bekanntlich vor Freiheit – womit die Politik jedoch hoffnungslos überfordert ist – eure meist unfähigen Politiker sowieso, denn euch fehlen seit etlichen Jahren bereits die wirklichen staatsmännischen Figuren – aber ich sage dir: Es funktioniert so nicht. Ganz sicher nicht auf Dauer, denn der Staat ist nicht euer Vater und ihr seid nicht seine Kinder – doch wenn ihr ihn als Vater betrachtet, dann nehmt auch eine Entmündigung in Kauf!“

„Ich weiß – unsere Politiker sind blöd.“
„Stimmt nicht.“
„Wie?“
„Ihr habt sogar die absolut besten Politiker, die man sich wünschen kann. Die Frage, die sich stellt, ist nur: Für wen?“ Gottfried lachte und rieb sich dabei das Kinn, dann fuhr er fort: „Ihr jammert ständig, dass eure Politiker keine wahren Volksvertreter mehr wären, aber ihr nehmt es in Kauf und duldet es wie die Lämmer! Warum schickt ihr diese Leute dann nicht zum Teufel? Ihr seid das Volk und alle Macht ist bei euch – und ich sage es noch einmal ganz klar: Nicht die Politik muss etwas ändern, sondern die Gesellschaft muss es tun. Als der ehemalige Bundespräsident Roman Herzog vor vielen Jahren den Ausspruch tat, dass ein Ruck durch Deutschland gehen müsse, haben viele von euch gelacht und gesagt: Der spinnt, der Alte, was will der eigentlich von uns? Doch nicht er lebte im Wahn, sondern ihr! Er hatte damals die Zeichen längst vor euch erkannt! Ihr jedoch erwartet immer eine Änderung von der Politik, aber ich sage dir, mein Freund: Ihr wartet garantiert bis zum Jüngsten Tag ...“

Nachdenklich schüttelte Bruno den Kopf. „Ich finde das gar nicht zum Lachen. Vielleicht sollte ich doch eines Tages auswandern.“
„Das steht in deinem Ermessen, mein Freund. Doch dann wirst du dich mit anderen Problemen konfrontiert sehen, das sagte ich dir schon einmal.“
„Was ist nun mit dieser Geschichte, die du mir erzählen wolltest?“, versuchte Bruno das Thema zu wechseln.

„Diese Geschichte – ach ja ...“ Gottfried nickte bedächtig, rieb sich das bärtige Kinn und fuhr dann fort: „Es ist eine sehr seltsame Geschichte, die so eigentlich
hätte nicht passieren dürfen ...“
„Lieber Gott, nun spann mich nicht länger auf die Folter!“
„So sei es. Also höre: Schon vor sehr langer gab es im Universum zwei Seelen – sie waren sich absolut ähnlich – wie eineiige Zwillinge. Sie glichen sich wie ein Ei dem anderen. Kurz: Sie unterschieden sich in nichts ...“
„Na und? Was ist daran so Besonderes?“
„Es war ein Fehler der Natur“, antwortete Gottfried.
„Weshalb?“
„Ich habe die Natur so geschaffen, dass sie niemals zwei genau gleiche Geschöpfe hervor bringt, egal ob Mensch, Tier, Baum, Strauch oder Blume – und folglich ist auch keine Seele genau wie die andere.“
„Du willst damit doch nicht etwa sagen, dass dir da was aus dem Ruder gelaufen ist, oder doch? Aber denk dir nichts – zwischenzeitlich klonen sie auf der Erde ja auch.“ Bruno grinste.
„Es ist wider die Natur.“
„Ich weiß – aber weshalb erzählst du mir das alles?“
Ohne auf seine Frage einzugehen, sprach Gottfried weiter: „Diese beiden Seelen waren immer zusammen, alles zwischen ihnen war voller Harmonie und Einklang, sie taten alles zusammen und liebten sich.“
„Und weiter?“
„Nun ja – beide wollten eines Tages zurück auf die Erde, um noch einige Aufgaben zu erfüllen.“

„Bis hierher kann ich noch folgen“, meinte Bruno etwas sarkastisch.
„Sie hatten geplant, als eineiiges Zwillingspaar wiedergeboren zu werden.“
„Und? Hat das funktioniert?“
„Nein. Die eine wurde in Deutschland wiedergeboren, die andere in Italien.“
Bruno schüttelte verständnislos den Kopf und sah Gottfried mit großen Augen an. „Versteh ich nicht, die hatten wohl ein geografisches Koordinationsproblem, oder wie?“
„Vielleicht könnte man es so nennen. Aber du bist doch nicht so dumm wie du tust, oder?“, entgegnete Gottfried und fuhr fort: „Die eine Seele bist du ...“
„Und gleich erzählst du mir, die andere wäre Donatello Castiglioni ...“
„Na also – mit etwas Nachdenken geht’s doch.“

Kommentare


unbekannt
06:28 16.11.2010
Nach hundertvierzehn Einträgen geht es mit der Geschichte los. Eine so lange Einleitung habe ich noch nie gelesen.

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2010-11-15 06:30