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Tagebuch CharlieB
2005-06-14 19:13
Zugreise
Drei Wochen mußte ich die öffentlichen Verkehrsmitteln benutzen, da ich Lehrgänge verteilt in NRW besuchen mußte. Als chronischer Autofahrer eine gewisse Herausforderung. Klappte allerdings ganz gut das Ganze. Interessant waren allerdings die Menschen, die man da begegnet. Nicht immer war alles so positiv.

Einmal saß ich in vertrauter Runde einiger jungen Frauen (Mädchen?). Wie alt mögen diese gewesen sein? Vielleicht so im Schnitt 15 Jahre. Redeten die doch ganz offen über ihre endlich wieder bekommende Menstruation; ich fühlte mich plötzlich so alt. Auf Anfrage meinte die Glückliche dann, dass sie ihrem Freund zum Geburtstag einen Gutschein geschenkt hat. Beeindruckender fand ich jedoch, dass die eine Freundin sich ganz normal mit den anderen unterhalten konnte, obwohl sie durch ihren Kopfhörer ständig mit lauter und schneller Musik berieselt wurde. Vielleicht wurde ich Zeuge einer Mutation: Frauen können nun nicht nur zwei, sondern drei Sachen oder mehr gleichzeitig.

Eines Morgens saß ich so da, versuchte in einem Buch zu lesen. Da kam eine Frau herein, die... nun, wie sage ich es?..., die aufgrund ihrer Körperfülle zwei Sitzplätze einnahm. Bevor sie jedoch die Sitzfedern bis zur Belastungsgrenze brachte, mußte sie noch die Heizung voll aufdrehen. Klar, man könnte ja unterwegs auch erfrieren. Gut, es war etwas frisch (was ich persönlich toll finde), also sagte ich nichts (was ich im nachhinein nicht so toll fand). Nach dem Todesschrei der Sitzfedern, machte sie es sich auf den Sitzen mir gegenüber sehr bequem, ich versuchte, ihr nicht in die Quere zu kommen. Nun ist es aber so, dass in Zügen noch mehr Menschen zusteigen, die Anzahl der leeren aber Plätze umgekehrt proportional abnehmen. Schnell war ich von Menschenleiber eingekeilt. Die Zeit kroch so dahin, die Dame vor mir fiel in ein leichtes Schnarchen. Plötzlich bemerkte ich ein warmes Gefühl am linken Bein. Ach ja, die Heizung erreichte langsam ihren Höhepunkt. Da ich aber nun eingekeilt war, konnte ich meine Beine nicht bewegen. Um nicht als Weichei dazustehen bzw. zu sitzen, ertrug ich dieses Martyrium wie ein Mann! Hoffentlich fing die Hose nicht Feuer...
Am Zielbahnhof hätte ich den Bahnsteig fast geküßt, so froh war ich, in die kühle Luft hinauszustolpern.

Einige Tage später blieb der Zug länger als gewohnt in einem Bahnhof stehen. Minuten später kam die Durchsage, dass aufgrund eines Personenunfalls der Zug umgeleitet werden müsse, dieses dauere etwas. „Personenunfall“, das kann im Schienenverkehr nur eins bedeuten. Allgemeines Aufstöhnen im Abteil. Dieses konnte ich aber nicht als Anteilnahme deuten. Als ob es einer Bestätigung bedurft hätte, fuhr auf dem Nebengleis ein ICE ein. Ein roter Fleck befand sich an seiner weißen Schnauze. Als wir dann weiterfuhren, setzten sich um mich herum wieder einige junge Mädchen. Diese äußerten sich sehr erbost darüber, dass es gerade heute am Freitag geschehen mußte. Sie bekamen sich gar nicht mehr ein.
Mein Gott, da hat gerade ein Mensch sein Leben verloren. Das alleine ist schon bestürzend und verlangt unsere vollsten Anteilnahme; gerade dann, wenn man davon ausgehen kann, dass es sich um einen Freitod handelt. Was muß passiert sein, dass sich ein Mensch dazu entscheidet? Wieviel Qual...?
Und diese Kinder regten sich darüber auf, dass sie länger unterwegs waren. Vielleicht zu spät kamen, um vor dem Unterricht mit ihren Freundinnen ein zu rauchen, und den neusten Klatsch und Tratsch auszutauschen. Ist doch echt zum Kotzen!

Der letzte Tag verging auch, ich war auf dem Weg nach Hause und vergrub meine Nase in mein Buch. Plötzlich ein Glucksen und Lachen auf den anderen Sitzen neben mir. Ich schaute auf und in ein kleines, dickes Gesicht ohne Zähne aber dafür mit dunklen Augen, die mich voller Lebenslust anstrahlten. Da saßen wir nun gegenüber. Zwei Menschen mit mindestens 39 Jahren Unterschied. Nach wenigen Sekunden begann das Kind, das von dessen Mutter gestützt wurde, mit den Armen zu schlagen und lachte mich dermaßen an, dass ich einfach zurücklachen mußte.

Wie mir ein so kleiner Mensch innerhalb von Sekunden den Tag retten kann...

Kommentare

06:14 15.06.2005
Das "befürchte" ich auch.
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unbekannt
20:00 14.06.2005
Charlie, wie immer ein Genuß. Und das Eine sage ich dir...nichts geht so ins Herz, wie ein frohes Kinderlachen....! :)

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2005-06-14 19:13