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Tagebuch CharlieB
2007-02-28 17:51
Grabsuche
Heute mußte ich mal raus. Meine Grippe habe ich im Großen und Ganzen hinter mir. Dafür wurde aber das Gefühl immer größer, dass mir die Decke auf dem Kopf fällt. In der Nähe befindet sich unser Städt. Friedhof. Es regnete wie aus Kübeln, die Wolken leisteten sich ein Wettrennen am Firmament, somit schnappte ich mir meine Fotoausrüstung in der Hoffnung, einige melancholische Eindrücke vom Friedhof einzufangen.

Die Jacke bis oben geschlossen, die Schultern hochgezogen schlenderte ich einsam über die mit Regenpfützen übersäten Kieswegen zwischen uralten Bäumen hindurch. Der Wind pfiff um die mit Mose und Flechten überwachsenen Grabsteine hinweg, rüttelte meine Gestalt durch. Durch den Regenvorhang sah ich in der Ferne das Licht der Friedhofsverwaltung. Einer plötzlichen Idee folgend, ging ich darauf zu. Dort angekommen, betrat ich einen karg eingerichteten typischen Raum des öffentlichen Dienstes. Eine sympathische Frau mit dunklen Augen schaute mich freundlich an.

„Hallo“, begrüßte ich sie. „Ich bleib mal tropfenderweise hier an der Tür stehen.“

Ihr Lächeln wurde noch freundlicher. Ich muß wirklich wie der sprichwörtliche begossene Pudel ausgesehen haben. Hoffentlich roch ich nicht auch so…

Ich teilte ihr mit, dass ich das Grab meines alten Deutschlehrers aufsuchen möchte, ob sie mir denn sagen könne, wo er liegt. Nach einigem Klicken auf ihrer Tastatur kritzelte sie mir eine Nummer auf ein Stück Papier und überreichte es mir.

Ob ich mich denn hier auskenne, fragte sie mich. „Ja, das tue ich“, erwiderte ich und fügte im Geiste hinzu „leider“.

Nachdem sie mir den Platz erklärt hatte, fragte ich nach einer Möglichkeit zur Verlängerung der Grabmiete (schreckliches Wort) für meine Großmutter. Vor nunmehr 23 Jahren ist sie gestorben. Mein Gott…

Leider besteht keine Möglichkeit, die Zeit für diese Grabstelle weiter zu verlängern. 2011 wir der ganze Bereich „eingegrünt“, wie sie sich ausdrückte. Es täte ihr sehr leid, dass sie mir keine andere Auskunft geben könne, sie würde mich verstehen. Ich schaute ihr in die Augen, und glaubte ihr.

Lächelnd und mit dem Zettel winkend, verabschiedete ich mich und ging hinaus. Der Regen nahm mich wieder in seine Arme und wir gingen gemeinsam an der Trauerhalle vorbei in die Richtung, wo mein Lehrer liegen soll. Leider hatten die Gräber hier keine Nummerierung. So ging ich Reihe für Reihe an den Gräbern entlang, las Namen auf Steine, die die Ewigkeit entgegenwitterten. Ich fand das Grab meines Großonkels. Der alte Wilhelm! Ich musste lächeln. Er hat in den 30ern des letzten Jahrhunderts Nazis von seinem Bauerhof geprügelt. Was da genau passiert ist, weiß ich leider nicht mehr. Weiter ging meine Suche…

Mittlerweile war ich wieder zurück am Verwaltungshaus. Wieder betrat ich die Amtsstube. Sie schaute auf, beendete flugs ihr Telefonat und fragte mich: „Oh, haben sie es nicht gefunden?“ Zusammen gingen wir in einer der hinteren Räume, sie durchwühlte einen Stapel Papiere und zog ein Blatt hervor. Mit einem Textmarker malte sie die genaue Stelle ein. Sie teilte mir noch die Namen der Gräber mit, die neben den von mir gesuchten liegen. Meyer und Schulte. Na, muß doch zu finden sein. Und wieder ging es hinaus…

An einer entlegenen Ecke des Friedhofs angekommen, machte ich mich erneut auf die Suche. Hier endlich fand ich auch Nummern an den Gräbern vor. Wie bei Hausnummern näherte ich mich langsam dem Grab. Dann aber verloren sich die Nummernschilder wieder. Auf einem Stein las ich aber sehr verwittert den Namen „Meyer“. Links daneben ein anderer. Also… nein, das konnte doch nicht sein! Dann musste das Grab rechts daneben, an dem ich schon achtlos vorbeigegangen bin, ja…

Ich stand vor einem von Efeu und Wildpflanzen überwucherten Grab. Ein Grabstein war nicht zu entdecken. Ich richtete mich auf und schaute mich um. Ich war alleine, um mich herum verbeugten sich die Bäume im Wind. Ich näherte mich langsam der Kopfseite, streckte meinen Arm aus und griff in den Efeuhaufen. Dort erspürte ich etwas Hartes. Meinen Kamerarucksack ließ ich von der Schulter in den feuchten Weg gleiten, ging in die Hocke und entriss dem Efeu ein durch Zeit und Feuchtigkeit gesplittertes handgroßes Holzschild. Dort war in schwarz in das Holz sein Name eingebrannt. Ich sackte zusammen, mein Kopf ging nach unten. So verharrte ich eine Weile, richtete mich dann wieder auf.

Nach all den Jahren habe ich ihn wieder gefunden. Dort also lag er. Er, der mir die Liebe zu Büchern und zum Wort näher brachte, als alle anderen Lehrer.

Stumm hielt ich Zwiesprache mit ihm, während der Wind flüsternd über die Gräber strich…

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