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Tagebuch c.
2011-03-07 14:50
Some Things Never Change

Früher einmal, vor sehr langer Zeit, da lebte ich in einer Welt, in der meine Eltern die Antworten auf alle Fragen in dieser Welt kannten. Ich konnte sie alles fragen und sie wussten immer eine Antwort.

 

Heute stelle ich täglich fest, dass sie nicht nur nicht allwissend sind, sondern sogar absolut blind für manche Fakten.

 

Derzeit kämpfen wir wieder gegeneinander, mit harten Bandagen, mein Körper und ich. Er bekommt von mir täglich lachhaft wenige Kalorien zugeführt und wird noch zusätzlich mit dem ein oder anderen dämlichen Sitekick aus dem Tablettenblister getriezt.

 

Im Gegenzug ärgert er mich damit, dass er stur und störrisch an jedem Gramm Gewicht festhält und äußerst unwillig ist, auch nur ein Milligramm herzugeben.

 

Nun bin ich aber ja auch nicht auf den Kopf gefallen. Natürlich ist mir bewusst, dass ich absolut verantwortungslos mit mir umspringe. Jahre und Jahrzehnte der Beschäftigung mit dem Thema „Abnehmen“ haben mich klug gemacht. Die Prinzipien des Hungerstoffwechsels sind mir bekannt, ich weiß, warum sich gerade so wenig tut und ich weiß, warum ich zum menschlichen Jojo mutieren werde, wenn ich irgendwann mal wieder anfange halbwegs normal zu essen.

 

Es stellt sich also wohl die Frage, warum jemand so etwas tut, wenn er doch genau weiß, auf wie vielen Ebenen er sich damit schadet.

 

Die irgendwann mit Sicherheit eintretende Gewichtsabnahme ist zugegebenermaßen ein mehr als angenehmer und erwünschter Nebeneffekt, aber sie ist nicht die eigentliche Motivation. Über die Jahre habe ich mehr als eine Methode entwickelt, meine Aggressionen an mir selber auszuleben und auszulassen. Für jede von ihnen gibt es eine Zeit und manchmal sind manche von ihnen mehr, manche von ihnen weniger geeignet, um den gewünschten Effekt zu erzielen.

 

Derzeit ist das Mittel der Wahl das „Hungern“. In zwei Wochen mag es etwas anderes sein. Aber im Moment brauche ich den Kick, den es mir verschafft, es macht mich stolz auf mich selbst. Wenn der Magen abends im Bett so laut knurrt, dass man fürchten muss, die Nachbarn kommen klingeln, um sich wegen nächtlicher Ruhestörung zu beschweren, schläft man doch mit einem Lächeln ein, weil man ja so diszipliniert war. Wenn das mal kein Grund ist, stolz auf sich zu sein. Wundervoll, wenn man am Ende des Tages wenigstens etwas geleistet hat. Und wenn es nur der Verzicht auf Nahrung war.

 

An diesem Punkt kommen meine Eltern ins Spiel, denn sie machen mir dieses nette Hoch mit ihren dämlichen Kommentaren zu gerne kaputt.

 

Und nein, nein, wer jetzt glaubt, dass sie mir ins Gewissen reden und mich von meinen Irrwegen unbedingt abbringen wollen, der irrt gewaltig.

 

Stattdessen Kopfschütteln.

 

„Warum nimmst du bloß nicht ab? Wie kann das nur sein? Ich verstehe das nicht! Wenn ich weniger esse, nehme ich auch ab. Man liest doch immer, dass man zum Abnehmen nicht mehr als 1000 Kalorien täglich zu sich nehmen sollte. Hm, das kann ja irgendwie nicht sein.“

 

So meine Mutter gestern. Mein Dad ist da weitaus weniger feinfühlig. Er packt zu solchen Gelegenheiten immer die richtigen Keulen aus.

 

„ Die macht uns hier wieder was vor und in Wirklichkeit frisst sie heimlich wie ein Scheunendrescher. Hat keinen Biss, kein Durchhaltevermögen, keine Disziplin.“

 

Hach, wie ich sie liebe, die beiden.

 

Sie leben in einer ewig gestrigen Welt, die nur nach einer einzigen, sehr einfachen Logik funktioniert.

 

Wer wenig isst, nimmt ab. Wer nicht abnimmt, möglicherweise gar zunimmt, strengt sich nicht genug an und liegt den ganzen Tag lang nur in einer Ecke und frisst und frisst, bis er platzt.

 

Wenn ich jetzt noch in einem bildungsfernen Elternhaus aufgewachsen wäre, aber so ist das ja gar nicht. Es macht mich selber immer wieder fassungslos, wie unwissend und blind meine Akademiker-Eltern doch tatsächlich in Bezug auf manche Dinge sind.

 

Sie selbst sehen das ganz anders. In den Augen meines Dads sind Ernährungsberater und Therapeuten ebensolche Scharlatane wie Esoteriker. Alle miteinander haben sie einfach keine Ahnung. Nur er selber weiß, wie der Hase läuft.

 

Natürlich bin ich mittlerweile alt genug, um nicht mehr meine Eltern für meine Entscheidungen verantwortlich zu machen. Ich habe mich bewusst dafür entschieden, erst einmal eine Weile zu hungern. Ich weiß, wie es richtig gehen müsste, ich weiß, wie falsch ich es gerade mache, ich weiß, ich tue mir und meiner Gesundheit auf lange Sicht absolut keinen Gefallen, aber ich möchte es trotzdem für den Augenblick genauso haben. Der Triumph am Ende jedes Tages, über Körper, über Geist, und der Kick, den mir der Sieg der Disziplin beschert, sind mir das für jetzt wert.

 

Und trotzdem, manchmal, da macht es mich traurig. Da wünschte ich, sie würden endlich Ruhe geben, still schweigen, ja, sogar ihre Predigten ins Gegenteil umkehren. Stattdessen ernte ich unverständliches Kopfschütteln, denn nach so vielen Jahren des Teufelskreises wirkt das Hungern auch nicht mehr so schnell wie früher einmal und ja, nicht nur Kopfschütteln, ich darf mir auch noch vorwerfen lassen, nicht diszipliniert genug zu sein.

 

Aber so ist das eben. Es geht immer weiter und weiter und mache Dinge im Leben ändern sich nie. Davon sollte man sich eigentlich nun wirklich nicht mehr tangieren lassen.

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