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Tagebuch c.
2010-12-03 13:58
Überraschungsgast
Und heute passierte, wovor ich in vier Jahren des alleine Wohnens immer Angst hatte. Mein Vater stand unangekündigt vor der Tür. Normalerweise stelle ich mich ja immer tot, wenn es klingelt und ich niemanden erwarte. Aber da heute wohl angeblich noch der Paketbote klingeln soll, hab ich natürlich geöffnet.

Großer Schock, großer Schreck. Dass es nicht sonderlich aufgeräumt war, war noch mein kleineres Problem. Schlimmer war, dass hier Dinge offen herumstanden, die ganz sicher nicht bei einem Elternbesuch offen herumstehen oder liegen sollten. Unter anderem meine aktuelle Lektüre. Ausgewählte Werke von Marquis de Sade. Ja, ja. Zum Glück kam er dann auf die Idee, noch schnell zum Bäcker zu fahren, um zwei Brötchen für einen kleinen Imbiss zu kaufen. Denn ich hatte nichts dergleichen im Haus. Also konnte ich wenigstens die ganz peinlichen Sachen, hoffentlich wirklich noch ungesehen, in Schubladen verschwinden lassen.

Im Nachhinein wünschte ich, ich hätte die Tür nicht geöffnet. Aber…ich ging ja davon aus, dass es die Post ist. So was Blödes aber auch. Ich sollte wirklich weit weg von hier nach Jobs suchen. Dann kann so was auf jeden Fall nie passieren.

Den obligatorischen Schlag ins Gesicht gab es auch. Gesprächsthema: Jobsuche. Wir sprachen über eine Freundin, die in einem bestimmten Bereich, der mich auch interessiert, Erfahrungen damit hat und erfolglos blieb. Sein Kommentar: „Aber deine Freundin sieht ja wenigstens umwerfend gut aus. Wenn da Männer an den entscheidenden Positionen sitzen, hat sie ja auf Grund ihrer Attraktivität schon mal mehr Chancen. Aber das habe ich dir ja schon immer gesagt.“ Subtext: „ Du siehst so scheiße aus und kannst nicht hoffen, auf Grund deines Aussehens irgendwo bevorzugt zu werden.“

Ich hasse so was. Das ist jedes Mal aufs Neue ein totaler Schlag ins Gesicht. Und das sind die Momente, in denen ich mir wünschte, geschlagen worden zu sein. Ich glaube, ich könnte auch nicht kaputter sein heute, wenn ich jahrelang körperlich misshandelt worden wäre. Aber dagegen könnte man wenigstens konkret etwas unternehmen. Das könnte man wenigstens tatsächlich anklagen. Sowohl rechtlich als auch öffentlich. Dafür hat jeder Verständnis. Und auch mein Herr Vater selbst würde einräumen, dass Schläge absolut nicht rechtens sind.

Ständig dieselben Botschaften vermittelt zu bekommen…. „Du bist falsch.“ „Du darfst nicht so sein, wie du bist.“ „Du musst dich ändern.“ Und damit eben auch unterschwellig immer ein und dieselbe Botschaft: „Ich kann dich nicht so akzeptieren wie du bist.“ Jedes Mal tut es aufs Neue weh. Jedes Mal zucke ich innerlich zusammen. Jedes Mal fühle ich mich ganz klein. Ich halte das einfach nicht mehr aus.

Ich weiß, dass die einzige Lösung darin besteht, dass mich seine Worte nicht mehr jucken dürfen. Er wird sich nicht ändern. Ich muss mich einfach davon losmachen. Aber wie stellt man das an? Ich weiß es bis heute nicht.

Das war ein Kontrollbesuch heute. Das weiß er. Das weiß ich. Ob ich bestanden habe? Ich weiß es nicht. Ich bin mir nicht sicher. Wenigstens den Kühlschranktest sollte ich halbwegs bestanden haben. Ja, ich habe bewusst den Kühlschrank ganz weit aufgemacht, als ich die Milch für den Kaffee herausholte. Und natürlich ist er mehr oder weniger einwandfrei. Fast nur Obst und Gemüse. Ich ärgere mich ein wenig über den Einkauf vom letzten Samstag. Da kaufte ich je eine Flasche Cola Zero, Sprite Zero und Fanta Zero. Die Fanta ist angebrochen. Davon habe ich seit Samstag immer mal wieder ein Glas getrunken. Aber nicht mal jeden Tag. Ich brauchte das einfach. Mal etwas anderes, nicht immer nur Tee, Tee, Tee. Eine ungesunde Sache brauchte ich einfach. Aber mir wäre es trotzdem lieber, wenn ich die Flaschen, trotz verantwortungsvoller Dosierung, nicht im Kühlschrank gehabt hätte.

Als er eben gegangen war, stand ich erst einmal zitternd hier. Die Anspannung verschwand. Langsam. Diverse Dinge ärgern mich. Ich könnte mich dafür verfluchen, dass der Samstag mein Putztag ist und dass es heute eben dann auch entsprechend aussah. Aber normalerweise nehme ich mir dann eben samstags Zeit, um aufzuräumen und zu putzen. Je nach Stimmung räume ich auch unter der Woche schon mal was weg. Und ja, ich weiß, die Wohnung sah auch schon wesentlich schlimmer aus, im Grunde war sie sogar in einem recht guten Zustand für das Ende einer Woche. Aber trotzdem schäme ich mich.

Das kann es nicht sein. Das kann es echt nicht sein. Nicht in meinem Alter. Aber das ist genau das Problem. Für die Welt da draußen bin ich 28 Jahre alt und man erwartet von mir dementsprechend eine gewisse Eigenständigkeit. Sollte ich aber mein gefühltes Alter bestimmten, würde ich sagen, dass es bei keinem Tag älter als 18 läge. Oftmals vielleicht eher 14, 16. Besonders in Gegenwart meiner Eltern.

Ich muss da irgendwie raus. Irgendwie. Und zwar schnell. Und ja, natürlich wäre es vielleicht gar nicht so unvernünftig, noch mal über eine Therapie nachzudenken. Aber zum einen hat mich die Zeit in der Klinik vor fast 1 ½ Jahren negativ geprägt. Mein Vertrauen ist doch so ein bisschen futsch. So toll ist das nicht, wenn einem die Bezugstherapeutin erklärt, dass es einem doch eigentlich bestens geht und man gar keine Probleme hat. Und dass meiner Stammtherapeutin die Loyalität zu ihr unbekannten Kollegen wichtiger war als die Loyalität zu mir, war auch nicht so super. Aber ok, wenn es hart auf hart kommen sollte, könnte man darüber vielleicht noch hinweg schauen. Irgendwo gibt es sicherlich auch einen passenden Therapeuten für mich. Nur würde auch eine weitere Therapie nur mit dem Einverständnis meiner Eltern passieren. Denn noch hänge ich in dieser unsäglichen Krankenkassenabhängigkeit. Privat versichert. Die Rechnungen, die anfallen, zahlt mein Vater, bevor er sie dann einreicht. Also müsste ich ihn ja zu mindestens informieren, wenn ich mich an einen Therapeuten wenden würde. Und dann würde er wieder wissen wollen, warum, wieso und weshalb. Und er würde in regelmäßigen Abständen fragen, ob es was bringt und was es mir bringt. Und das will ich auch nicht. Das macht auch keinen Sinn. Wenn Therapie, dann wirklich nur absolut unabhängig von meinen Eltern. Am besten würde ich es dann gar nicht erzählen. Jedenfalls am Anfang nicht.

Dieser Überraschungsbesuch hat mir echt den Tag versaut. Es geht jetzt schon wieder, aber ich weiß, es wird mich für den Rest des Tages beschäftigen und mir wird immer wieder etwas einfallen, was nicht perfekt war.

Manchmal wünschte ich, ich wäre stark genug für einen kompletten Kontaktabbruch. Aber ich kriege es ja nicht mal hin, die Sonntagsbesuche einzustellen. Ich muss sie nicht jeden Sonntag besuchen und den halben Tag dort verbringen. Ich finde da durchaus andere Dinge, die ich mit der Zeit anfangen könnte. Und trotzdem bin ich jeden Sonntag da. Weil ich in der Hinsicht einfach nicht „Nein“ sagen kann. Ich glaube, ich brauche Abstand. So lange, bis ich es kann. Nein sagen. Aber das ist schon relativ radikal.

Denn…wenn ich einfach nur die Zahl der Kilometer zwischen uns vergrößere, wäre das wahrscheinlich auch nicht viel mehr als eine Flucht. Man würde sich zwar nicht mehr wöchentlich sehen und niemand käme so einfach auf einen Überraschungsbesuch vorbei, aber derselbe Druck lässt sich ja auch über Telefonate aufbauen. Und dabei machen sie das nicht mal bewusst.

Ich hasse es so sehr, mich im Kreis zu drehen. Ich hasse es, dass ich es einfach nicht schaffe, mich konsequent loszueisen. Ich hasse mein verdammtes, beschissenes Leben, so wie es ist und ich hasse meine Feigheit. Ich hasse mich, weil ich mich einfach nicht traue, ich zu sein. Egal mit welchen Konsequenzen.

Hm. Wenigstens war ich heute nicht in die letzten Lumpen gehüllt, weil ich den Postmenschen erwartete. Das ist ja auch schon mal was.

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2010-12-03 13:58