Schattenbrecher
Am Sonntag telefonieren wir, es ist ein stilles Telefonat. Er erzählt mir von seiner Mutter, von dem Moment, als sie starb. Ich höre ihm zu. Dann irgendwann reden wir über etwas anderes, über die Trauer zu reden ist wichtig, aber es ist auch sehr wichtig, zu realisieren, dass es weiter geht und weiter gehen muss. Das war nach Stefans Tod schwer für mich, ich hatte ein schlechtes Gefühl, wenn ich lachte, mich freute. Manuel ist am Ende, ich höre das es ihm schlecht geht. Nach unserem Telefonat schreibt er mir eine SMS: "Er konnte zum ersten Mal wieder ein bisschen lachen" steht darin. Ein Satz der mir mehr bedeutete, wie tausend "ich hab dich liebs".
Danach telefoniere ich mit Gordi, wir reden über Manuel, wir reden über ihn, das Leben im allgemeinen. Er fragt mich, ob ich in Manuel verliebt bin. Ich antworte: "Ich habe mit ihm noch nicht über meine Gefühle geredet, also werde ich es mit dir ganz bestimmt nicht tun!"
Und diese Antwort ist überraschend, denn eigentlich bin ich ein sehr aufgeschlossener Mensch und rede über alles. Über Manuel möchte ich aber nicht reden, irgendwie ist das nicht nötig. Ich habe kein Problem damit andere so ein bisschen auf dem Laufenden zu halten, aber das "Richtige, Wichtige" geht die anderen irgendwie nichts an. Vor allem, es geht Gordi nichts an und das gibt mir irgendwie zu denken. Manuel ist mir schon verdammt wichtig geworden.

Gestern besucht er mich dann, erst spät, weil er davor in der Stadt war um einen Anzug und Anzugschuhe und so ein Graffel zu kaufen. Es ist schön ihn zu sehen, ich nehme ihn in den Arm und so sitzen wir erst einmal da. Dann erzählt er mir wieder von seiner Mutter, von den Vorbereitungen für die Beerdigung, dass seine Mutter morgen überführt wird, dass er dann die Nacht bei seiner Tante, im Heimatort seiner Mutter bleibt.
Dann reden wir über andere Dinge, am Anfang ist es Ablenkung, später ist es ein richtiges Gespräch. Ich bin gerne mit ihm zusammen.
Alle fragen, ob wir nun zusammen sind, noch sage ich nichts dazu. Warum? Ich habe es mir durch den Kopf gehen lassen, pure Feigheit. Denn es liegt an der Schule, der Stufe, daran, wer in dieser Stufe ist. Da ist Andi und da ist Dominik, was werden sie davon halten? Da ist Jean, wird er mich weiter genauso nett behandeln?
Gestern beschließe ich dann, "Scheiß drauf, was interessieren dich die anderen?" und ab sofort kann, darf, (muss ist natürlich nur ein Scherz) ich Manuel meinen Freund nennen. Und das ist irritierend, dass ist ungewohnt, man könnte sagen, ich bekomme so im Nachhinein weiche Knie.
"Zu spät, zu spät".. krakeelt eine Stimme in mir. "Das hast du dir eingebrockt!"
"Stimmt, aber ich bin glücklich damit!" antworte ich und auch wenn ich gerade ein wenig stark irritiert und durcheinander bin, so stimmt es doch. Ich bin glücklich damit, nur eben ein bisschen überfordert, weil es mit Manuel doch so schnell ging und zwar auf der ganzen Linie. Vor kurzem noch, war da nur eine starke körperliche Anziehung, heute sind da Gefühle mit im Spiel. Gefühle, die immer weiter wachsen.