Hüttenzauber
Ich kenne eigentlich so gut wie keinen. Keinen einzigen der Partygäste, bis auf meine liebe Freundin und natürlich das Geburtstagskind, wenn auch lang nicht so gut wie besagte Freundin. Aber das ist das Schöne nicht wahr? Das Gute, der Ansporn? Unbekannte Leute, unbeschriebene Leinwände und volle Gewalt über Geschichten und ihre mögliche Veröffentlichung. Ein neuer Kreis, neue Männer, neue Möglichkeiten! Zwei Stunden Bergwanderung bis zur Hütte. Der Anstieg ist wirklich knackig. Aber du bist eine Sportlerin und als Sportlerin hat man einen Ruf zu wahren, auch wenn diesen außer dir und deiner Freundin niemand kennt. So bist du. Außerdem ist es eine nette Sache, wenn die beiden Mädchen als erstes ihren Almdudler kosten und auf den ganzen Rest warten müssen . Das ist es, was dich ausmacht. Das ist der Grund, warum du dich immer von den Mädchen in deiner Stufe und Umgebung abgehoben hast. Warum deine besten Freunde Männer sind. Tussi, Dame, schön und gut, kannst du auch sein, bist du auch, aber du bist mehr.
Eine Dusche später, fühle ich mich zwar erfrischter, aber nicht wirklich attraktiver. Ich bin erkältet und in eine dicke Fliesjacke gewickelt, die zugegebenermaßen die Farbe meiner Augen vorteilhaft zur Geltung bringt, ansonsten aber jede Weiblichkeit kaschiert. Wie sich im Laufe des Abends herausstellt, bin ich mit diesem Empfinden aber relativ alleine. Er ist groß, dunkelhaarig und eigentlich 100% mein Typ. Na zumindest habe ich mir so meinen Typ Mann, meinen McDreamy immer vorgestellt..
Wir essen Gebratenes, wir trinken natürlich nicht nur Almdudler und wir rauchen und damit verstoße ich dann wohl so ziemlich gegen die drei wichtigsten Gebote meines Arztes. Aber egal, man ist nur einmal jung und das Geburstagskind wird auch nur einmal dreißig. Wir lachen, wir tanzen und ich habe Spaß wie schon lange nicht mehr. Vielleicht liegt es an den Leuten, die wirklich alle total gut drauf sind. Vielleicht liegt es an mir und meiner Freude mich einmal in einem völlig anderen Kreis aufzuhalten. Vielleicht liegt es aber auch an der positiven Resonanz der Männerwelt (= gut für das Ego) und dem dunkelhaarigen McDreamy, der mir ständig einen neuen Drink spendiert, den Arm um mich legt und mir Küsse auf die Backe drückt. Am Ende gehe ich auf jeden Fall brav alleine ins Bett, na zumindest liegt er, Mr McDreamy nicht neben mir.
Es ist schließlich eine Sache die Alkoholenthaltsamkeit zu brechen, aber an meinen anderen neugewonnen Prinzipien halte ich fest. Zeit. Zeit nehmen, Zeit lassen. Nichts überstürzen, nichts überhasten.
Die zwei dünnen Wolldecken und mein langer Jogginganzug vertragen sich auf jeden Fall nicht mit meiner Erkältung vom Dienstag. Ich friere entsetzlich. Da trifft es sich natürlich gut, dass besagtes Geburtstagskind neben mir liegt und anbietet mich zu wärmen. Natürlich aus rein altruistischen Gründen (ernsthaft). Ich bin müde und erledigt, schlafen kann ich aber trotzdem nicht. Und daran sind allein die Schnarcher Schuld. In unserem Matrazenlager kommt aus jeder Ecke eine andere Tonlage und ich, die ja schon immer einen sehr leichten Schlaf hatte, kann partout nicht einschlafen. Und ihm, in dessen Armen ich liege, scheint es nicht anders zu gehen. Vielleicht bleibt er aber auch nur aus Loyalität wach oder ich halte ihm vom Schlafen ab, weil ich ja meist nicht wirklich still liegen kann.. Who knows..
Wie dem aber auch sei, mein Kopf liegt auf seiner Schulter, seiner Brust, seinem Arm, wir kuscheln. Während ich da so liege, stelle ich fest, dass ich möchte, dass es später einmal so sein wird. Ich möchte einen Mann, der kuschelt und nachts den Körperkontakt nicht scheut. Alles um uns herum schläft und ja, eigentlich bin ich kein romantischer Mensch, aber diese Nacht ist auf eine gewisse Art und Weise romantisch, magisch, wohltuend und ja, heilend. Er streicht über meine Haare, meinen Nacken, meine Wangen. Stille oder Lachen, weil die Tonlage um uns herum wechselt. Geflüsterte Worte, kurze Gespräche, über die Vergangenheit, das Leben und vor allem die Zukunft. Sport, Studium, Allgemeines. Seine Vorstellung von Frauen, der Grund warum er Single ist. Nähe. Körperlich, geistig. Klärend und heilend, denn du erkennst, was du willst, brauchst, was dir in der Vergangenheit gefehlt hat. Was man nicht kennt, kann man nicht vermissen. Man weiß gar nicht, dass es fehlt. Einvernehmen.
In der Früh trennt ihr euch, er geht duschen und du mit einem anderen Mädchen frühstücken. Kaffee, auch wenn du ihn eigentlich nicht auf nüchternen Magen trinken sollst und eine Honigsemmel. Du bist müde, still, in dich gekehrt. Kurze Abkühlung an der frischen Luft, um einen klaren Kopf zu bekommen, den Ausblick zu genießen. Das Tal unter euch im Nebel versunken, Glockenschläge, die nach oben dringen. Eine Szenerie, die du niemals vergessen wirst. Er kommt nach draußen, die Blicke zwischen euch zurückhaltend. Die Nacht ist vorbei und damit ihr Zauber. Noch eine Tasse Kaffee, packen, eine kurze Verabschiedung, der Abstieg allein mit deiner Freundin, damit ihr rechtzeitig zu eurem nächsten Termin kommt. Nebelschwaden, feuchte Luft, ein rebellierender Magen und eine immer leiser werdende Stimme. Unten im Tal angekommen fühlst du dich krank. Auf der Heimfahrt bekommst du plötzlich ziemlich hoch Fieber.
Fünf Stunden Schlaf später hast du eine SMS auf deinem Handy. Der dunkelhaarige Traummann, der sich "beschwert", weil du in der Nacht nicht mit ihm gekuschelt hast. 39° C Fieber. Tränende Augen, ein ständiger wachsender Berg von Taschentüchern.
Dich hat es erwischt und zwar so richtig!