Familienbande
Es ist mein Zuhause, ich bin hier aufgewachsen, doch es fühlt sich nicht wie ein nach Hause kommen an. Sie begrüßen mich freundlich, ich gratuliere meinem Vater und überreiche mein Geschenk, alles ist wie immer. Sie haben sich nicht verändert, die gleiche Routine, Kuchen gegen zwei Uhr anstatt Mittagessen, Alex ist nicht da. Ich bin alleine in der Höhle des Löwen, ich denke an Stefan, wie er immer dazwischen gegangen ist, wenn es zu schlimm wurde. Heute bin ich auf mich gestellt! Sie warten bis zum Essen, Obstkuchen, auch wie immer, es gab eine Zeit da wollte ich keinen Obstkuchen mehr essen, schlechte Erinnerungen eben. Doch mittlerweile bin ich darüber hinweg, mittlerweile ist ein bisschen mehr Zeit vergangen und ich habe Abstand gewonnen, der mit jeder Minute schrumpft. Anfangs sind ihre Fragen noch nett und ja, man könnte meinen sie interessieren sich wirklich für mich! Doch dann passiert das, was immer passiert, die Kritiken beginnen. "Na, deine Essstörungen hast du wohl noch immer nicht in den Griff bekommen, obwohl du ausgezogen bist!"
Ich verteidige mich nicht, weise sie nicht daraufhin, dass ich mittlerweile ein Gewicht habe, dass tragbar ist, sie haben ihre Meinung bereits gebildet. Und dennoch esse ich nur ein Stück Kuchen, einfach weil sie es mal wieder geschafft haben mir den Appetiet zu verderben. Gegen späten Nachmittag nach Stunden am See mit meiner Familie wird mir natürlich schwindelig, ich habe Unterzucker und füge mich damit wohl in das Bild, dass sie von mir haben. Blass und kraftlos, sie werden wohl niemals begreifen, dass sie die Ursache dafür sind und sie werden sich niemals ändern. Ich bin die Tochter, die aus der Reihe tanzt, die nicht in ihr Bild passt und ich bin die Tochter, die als Minderjährige den Wunsch geäußert hat auszuziehen und dies auch durchgesetzt hat. Ich glaube es hat ihnen das Herz gebrochen, man erfährt nicht gerne das man versagt hat. Ich habe mit ihnen geredet, ich habe sooft versucht ihnen klar zu machen, wie es in mir aussieht, was ich will, was ich mir wünsche, ich wollte, dass sie mich verstehen. Aber es war sinnlos, denn im Grunde wollten sie mich niemals verstehen, denn im Grunde hielten sie sich immer für die perfekten Eltern und waren nicht in der Lage Fehler einzugestehen, Fehler, die so offensichtlich waren.
Jetzt bin ich zu Hause, erschöpft, nicht körperlich, vor allem emotional. Ich wünsche mir noch immer, dass sie endlich verstehen, einsehen. Ich möchte vergeben und vergessen, doch sie lassen mich nicht, weil sie noch immer nicht aufhören. Ich betrachte ein Foto, mein Opa und ich als kleines Mädchen, eine heile Welt, zumindest nach außen hin, denn schon damals war nichts heil. Und ich denke an die Kinder, die ich einmal haben werde und ich nehme mir wieder einmal das Versprechen ab, dass ich anders sein werde, eine andere Mutter, eine bessere. Und ich bete wieder einmal dafür, dass ich ihnen irgendwann endgültig vergeben kann, schließlich sind sie meine Familie und sie werden immer meine Familie bleiben!