Ein Karton
Ein Karton. Ich brauche einen Karton. Ich habe seine icq-Nummer gelöscht, seine Handynummer, seine SMSes und E-Mails, die Fotos und sonstige Kontaktmöglichkeiten.
Nein, ich brauche eine Kiste. Eine große Kiste voller Erinnerungen. Eine Kiste, in die ich all die Dinge packen kann, die ich nicht wegwerfen mag. Erstaunlich was sich alles ansammelt in drei Jahren. Dabei sind die meisten Dinge noch in der Wohnung. Seit Februar wohne ich wieder in dem alten Zimmer bei meinen Eltern, schlafe auf einer Couch und lebe aus Kartons und habe die meisten meiner Sachen noch in der Wohnung. Die Wohnung. Die Wohnung, die mal „unsere Wohnung“ hieß. Jetzt ist es „die Wohnung“. Wir waren glücklich als wir zusammen gezogen sind. Es war im November und war schon immer recht dunkel draußen, wir haben sie abends eingerichtet, Möbel aufgestellt, Dinge eingeräumt, warmen Kakao getrunken, gelacht. Es war gemütlich.
Heute war ein sehr ruhiger Tag. Die Tabletten waren vielleicht ein wenig zu viel gestern abend, bin erst gegen Mittag aufgewacht und hatte heftigste Kopfschmerzen. Habe mir dann ein paar meiner Serien angeschaut und dann endlich mal mein Fahrrad geputzt. Abends gab es dann mal wieder einen heftigen Streit mit meinem Bruder. Es ging um das Haarsieb in der Dusche. Er hat seinen Willen nicht bekommen und ist ausgeflippt. Er hat die Beherrschung verloren und ist auf mich losgegangen. Ich habe wirklich Angst vor ihm. Er konnte sich gerade noch zurückhalten, mir ins Gesicht zu schlagen, dafür hat er mir dann gegens Bein getreten. Es ist schwierig wieder zu Hause zu wohnen. Zwei Jahre hatte er hier oben sein eigenes Reich, zwei Zimmer und ein Badezimmer. Nun muss er wieder teilen. Mittlerweile sollte er sich daran gewöhnt haben, hat er aber nicht. Er schikaniert mich und meckert rum, wo er nur kann. Zunächst habe ich versucht, es ihm Recht zu machen, mittlerweile habe ich aufgegeben. Er wird immer irgendwas finden, um mir zu zeigen, wie unerwünscht ich hier bin. Ich bin ziemlich deprimiert zur Arbeit gefahren. Kann man bei einem Putzjob, den man zweimal die Woche erledigt von „Arbeit“ sprechen? Es klingt zumindest besser, als wenn ich sage, ich gehe jetzt putzen. Ich hoffe, ich bekomme den Job als Vertretungslehrerin, dann sollte ich es mir leisten können, hier endlich wieder auszuziehen.