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Tagebuch ares
2009-12-22 18:41
Allgemein

So, mein werter Freund. Da bin ich wieder. War ein ganz schön weiter Weg. Vor allem wenn man bedenkt, dass ich mich spontan verlaufen habe. Aber auch das hat sich gelohnt. Eigentlich wollte ich Dir ja Bilder mit der Kamera machen, aber leider waren die Batterien leer. Das erste Mal in meinem Leben war ich froh, dass es Handykameras gibt. Die Qualität der Bilder ist zwar suboptimal, aber vielleicht hast Du ja dennoch ein wenig Freude an den Bildern.

Als ich mich verlaufen habe bin ich zu einer furchtbar alten Kapelle am Rande der Stadt gelangt. Alt, aber wunderschön. Ich glaube jeder Stein der Kapelle bettelt darum, mir seine Geschichte erzählen zu dürfen. Mal sehen, vielleicht verlaufe ich mich ja in den nächsten Tagen noch ein Mal freiwillig.

 

Aber eigentlich hat es mich ja ganz wo anders hin gezogen ...

 

 

Genau das war es, was ich hier gesucht habe. Einfach nichts. Aber ein schönes Nichts.

Ich kann mir gut vorstellen, dass hier im Sommer mächtig Betrieb herrscht. Aber wie Du weist bin ich kein Mensch der gerne unter Menschen ist. Je ruhiger desto gut.

Und während man dann so den Strand entlang schlendert gehen einem auf ein Mal so unglaublich viele Gedanken durch den Kopf. Schöne Gedanken, weniger schöne Gedanken, hässliche Gedanken ... ein buntes Potpourri, von allem ein wenig und doch wieder nichts.

Der Weg am Strand war lange und beschwerlich. Das Meer hatte sich kurz zuvor zurückgezogen um mich mit meinen Gedanken alleine zu lassen. Der Sand war aber noch nass und seicht. Irgendwann bleibst Du dann stehen und ...

 

... genießt diese unendlich scheinende Ruhe.

Ich stand mit offenem Mund da und war über die Schönheit der Landschaft, mit der uns die Natur völlig uneigennützig beschenkt, erstaunt. Zu diesem Zeitpunkt hatte ich die Kopfhörer an meinem Handy eingesteckt und hörte leise Musik ...

Sag mal, mein liebes Tagebuch. Hast Du heute Abend wieder Lust auf Kaminfeuer? Ich will mal allen Mut aufbringen und in Dir blättern. Vielleicht hilft mir der Rest de Rotweins von gestern Abend. Aber vorher sollte ich mir noch ein Kleinigkeit zu Essen machen.

 


Und wieder bemerke ich, wie schön so ein Feuer sein kann. Es strahlt irgendwie eine beruhigende Wärme aus. Schade, dass ich noch nie, wo immer ich auch gelebt habe, einen offenen Kamin hatte.

Ich kann mich erinnern wie wir früher Urlaub gemacht haben. Wir, meine Frau und ich. Manchmal haben wir auch ihre Eltern mitgenommen. Wir haben uns in Istrien einen Bungalow oder ein Appartement gemietet. Wichtig war nur, dass ein offener Grill mit dabei war. Abends, nachdem die Grillerei sein Ende fand, wurde der Grill zu einem Kamin umfunktioniert. Stundenlang saßen wir da und haben dem Feuer zugesehen und dabei Karten gespielt.

Irgendwie eine schöne Zeit, die wir damals hatten.

Wenn die Sonne so langsam der Dunkelheit ihren Platz bot und es kühler wurde haben wir uns in Decken eingehüllt ganz nah ans Feuer gesetzt. Die oberste Pflicht am ersten Tag war gleich nach der Ankunft los zu laufen und trockene Pinienzweige und -zapfen zu sammeln. Säckeweise haben wir dann alles an den Grill gestapelt um unsere Funde dann ganz allmählich dem Feuer zu widmen.

Viel geredet haben wir eigentlich all die Zeit über nie. Was auch. Ich hatte meinen Schwiegereltern nie wirklich viel zu sagen. Nicht, dass ich sie nicht gemocht hätte. Aber irgendwie waren die Themen, die uns gemein waren, sehr rar. Es gab auch nichts, was wir hätten gemeinsam unternehmen wollen. Wir waren einfach nur da. Wir waren einfach, aber da.

Heute wünsche ich mir manchmal diese Tage zurück. Sie hatten etwas geborgenes. Viel ist seit dem geschehen. Vieles, was ich gerne ungeschehen machen würde. Vieles, was mein Leben nachhaltig beeindruckt und verändert hat.

Wie gerne, mein lieber Freund, würde ich mich jetzt in Dich vertiefen und mir die Seiten von damals ansehen. Bereitwillig würdest Du mir alles liefern. Und ich würde es doch nicht lesen wollen. Zu tief der Schmerz und die Trauer, dass all das Vergangenes ist. Es bleibt in meiner Erinnerung.

Eigenartig. Damals, als wir am Feuer saßen, erschien mir die Zeit unendlich lang zu sein. Aber das ist wohl meistens so, wenn man dort lange weilt und sich dann langweilt. So war zumindest mein damaliges Empfinden. Aber wenn man so zurückdenkt ... schlecht waren die Zeiten dann doch nicht.

Warum ist man denn immer nur so unzufrieden mit dem was man hat? Warum wünscht man sich immer wieder, es wäre anders. Und plötzlich ist dann alles anders, aber ist es dann wirklich besser?

Heute hätte ich am offenen Feuer wieder nicht viel zu reden. Aber ich wäre gerne da. Mit Menschen, die mir vertraut sind. Mit den Menschen, die mir vertraut haben. Menschen, die ich dann bitterlich enttäuscht habe. Nun sind sie weg, aber ich bin da. Wieder am Feuer, aber nur ich.

Ich halte mal für einen Moment inne, mein Freund. Ich habe den Wein vergessen. Ich hoffe, Du bist ob meiner Worte nicht enttäuscht oder verwirrt. Bleib doch noch ein wenig, ich will gleich wieder da sein.


Wie gerne hätte ich jetzt Pinienzweige und Pinienzapfen. Ich kann mich an den Duft des Feuers erinnern. Heute, wenn ich die Augen schließe und unserem Feuer lausche ... ich kann ihn noch immer riechen. Ich habe auch noch das Bild vor Augen, wenn man die Zapfen ins Feuer legt und sie im Nu lichterloh brennen ... um dann scheinbar endlos vor sich hin zu glimmen.

Schon eigenartig, wie man sich solche Dinge einprägen kann ohne wirklich darauf zu achten.

Ich überlege gerade, warum mir die Urlaubsszene eingefallen ist. Mir hätten hundert andere Begebenheiten einfallen können. Aber warum gerade die? Urlaub war noch nie wirklich mein Thema. Ich war früher immer der Ansicht so etwas nicht zu brauchen. Wie sehr ich mich damals geirrt habe.

In meiner Kindheit hatte ich nie wirklich so etwas wie Urlaub. Zumindest kann ich mich nicht daran erinnern mit meinen Eltern weggefahren zu sein um irgendwo in der Welt einige schöne Tage zu verbringen. Wenn wir alle zusammen weggefahren sein ging die Reise meist zu meiner Großmutter nach Österreich. Toll. Auf über 2000 Metern Höhe in einem kleinen Bergdorf eingesperrt zu sein. Davon träumt die Jugend. Und dann umgeben von Menschen, die zwar verheiratet sind, sich aber nicht mögen. Ich kann mich an nur wenige Aufenthalte dort erinnern, die mir erträglich erschienen.

Irgendwann durfte ich mit meiner Mutter eine Busreise nach Griechenland unternehmen. Eine nie enden wollende Busreise mit über 50 mir damals völlig fremden Menschen. Heute sind es befremdliche Menschen. Wie kann man sich freiwillig einem solchen Gruppenzwang hingeben und so eine Reise unternehmen? Bitte, liebes Tagebuch, versteh mich nicht falsch: Es mag Menschen geben, die so etwas mögen. Aber ich? Ich bin bei so vielen Menschen doch ohnehin falsch aufgehoben. Kein Schritt, der nicht vorbestimmt ist. Kein Abweichen von der vorbestimmten Route des Reiseführers. Schönen Dank! Hatte ich, will ich nie wieder.

Ich kann mich an viele Einzelheiten dieser Reise erinnern. Griechenland habe ich trotz der widrigen Umstände in guter Erinnerung behalten. Ein Land, in dem Geschichte geschrieben wurde. Ein Land, dass aber, aus welchen Gründen auch immer, den Stift zu frühzeitig bei Seite gelegt hat. Nun gut, heute schreiben sie wieder Geschichte. Aber ich warne davor, darauf all zu Stolz zu sein.

Wenige Jahre nach Griechenland hat meine Mutter mich und meinen Bruder in die Türkei "entführt". Wir hatten die Gelegenheit, mit einer Freundin meiner Mutter und deren Freund (einem Türken) in dessen Heimat zu fahren. Ach, wie waren die Pläne groß als sie noch geschmiedet wurden. Und wie wenig blieb davon über. Man kann es kurz zusammenfassen in: Vier Wochen Arrest auf einem türkischen Zeltplatz mit eingeschränktem Ausgang.

Wir saßen doch in der Tat fast vier Wochen beinahe regungslos auf diesem Zeltplatz fest. Das einzige Fahrzeug, mit dem wir diese Reise unternahmen, war mitsamt dem besagten Freund auf und davon. Eigentlich nicht schlimm, aber eigentlich doch. Die wenigen Ausreißversuche die wir damals unternahmen, endeten zumeist in der nächstgrößeren Stadt. Wohin auch immer der einzige Bus, der am Zeltplatz vorbei fuhr, uns bringen konnte.

Das große Highlight, dass der Urlaub dann doch überraschenderweise bot, war ein Tagesausgflug nach Istanbul. Auch wenn ich mich an sonst in dieser Zeit nicht an viel erinnern kann, daran schon. Ich war tief beeindruckt. Aber am meisten beeindruckt hat mich die Gastfreundschaft und Freundlichkeit der Türken. Die hätte ich dort nie erwartet. Manchmal stimmt es mich ein wenig nachdenklich aber auch traurig, wenn ich die Türken hierzulande betrachte ...

Warum sind die Menschen in der Fremde eigentlich immer so anders als zu Hause? Dürfen Sie da endlich mal so sein wie sie wirklich sind oder vergessen sie einfach nur wo sie herkommen?

Wie, ich schweife ab? Gefällt Dir nicht, was ich Dir zu schreiben habe?

Ich gebe zu, das mach ich tatsächlich nur all zu gerne. In solchen Momenten bin ich der Gaffer auf der Autobahn, der auf der Gegenfahrbahn einen Unfall beobachtet. Lenkt schön von seinem eigenen Leben und eigenem Schicksal ab.

Aber vielleicht weißt Du jetzt, warum mir Urlaub in jungen Jahren recht bedeutungslos schien. Irgendwie hat mich das wohl geprägt. Oder warum habe ich mich immer wieder bereitwillig zu einem schematisch langweiligen Urlaub in Istrien hinreißen lassen? Ach so, ich weiß. Um meiner Frau eine Freude bereiten. Weißt Du aber, was sie mir nach Jahren hierzu gesagt hat? Sie wollte niemals dort hin! Sie tat es nur, um zum Einen mit mit ein paar Tage raus zu kommen, zum Anderen aber dachte sie, sie würde mir damit eine Freude bereiten.

Kommunikation ist was Feines, findest Du nicht auch? Ich geh gleich morgen früh los und kaufe mir ein großes Stück davon!

Wobei mir einfällt ... so kommunikativ wie früher bin ich in der Tat nicht mehr. Ich kann mich erinnern, dass ich früher stundenlang Menschen mit meinem Reden fesseln konnte. Damals ist mir das aber gar nicht so bewusst gewesen. Es war einfach so wie es war. Damals war ich noch eloquent und gesellschaftsfähig.

Komisch, schon wieder hänge ich in Gedanken bei meiner Frau. An unserem ersten Tag ... ich habe geredet und geredet ... und sie saß nur mit großen Augen und offenen Ohren da und hat mir zugehört. Und ich kann mich an fast alles erinnern, auch wenn es nun schon über 16 Jahre her ist.

Ich kann mich auch noch an das erste Telefonat mit meiner Frau erinnern. Wir arbeiteten damals beide für das selbe Unternehmen, aber an andere Standorten. Ich der Sachbearbeiter, sie das Mahnwesen. Und aus welchem Grund auch immer brauchte ich jemanden aus ihrer Abteilung. Ich war noch neu in der Firma und kannte keinen. Also habe ich mir das Telefonverzeichnis geschnappt und mir die Namen angesehen.

Den Namen meiner Frau habe ich mit Gedanken an eine "olle Schabracke" übergangen. Zugegeben, ihr Vorname ist nicht mehr ganz so modern. Und dann blieb mein Blick bei einer Getraud hängen. Zwar nicht minder altmodisch, aber irgendjemanden musste ich ja anrufen. Gesagt getan ... und wer war am Telefon? Meine "olle Schabracke". Getraud war im Urlaub und sie ihre Zimmerkollegin und Urlaubsvertretung. Na herrlich. Aber schon das erste Telefonat hatte was neckisch besonderes.

In der Folge schrieben wir uns dann Bildschirmmitteilungen.  Anfangs noch harmlos, aber irgendwann fing ich an, ihr Gedichte zu schreiben. Meine Frau hat sie damals ausgedruckt und aufbewahrt. Sie hat sie auch heute noch bei sich im Schrank liegen. Ich kann mich zwar erinnern, sie geschrieben zu haben, aber ich kenne sie nicht mehr. Schade eigentlich. Ich glaube, die waren wirklich gut.

Wie es dann so kommen sollte stand ich dann eines Tages bei meiner Frau vor der Türe. Vielmehr war es die Eingangstüre ihrer Eltern. Ich starrte mit hoffnungsvollem Blick auf den Spion in der Tür und erwartete ... keine Ahnung, was ich erwartet habe. Doch als die Tür aufflog starrte ich wie irr auf die Schafzimmertüre ihrer Eltern ... und Sie auf meinen Bauchnabel. Ich wusste ja nicht, dass sie fst 40 Zentimeter kleiner ist als ich. Alles wusste ich, aber das nicht.

Wir haben uns dann gemütlich ins Wohnzimmer gesetzt und geratscht. Stundenlang. Viele Stunden lang. Morgens um vier hat sie dann nur leise gemeint, sie würde nun langsam müde werden ...

Damals konnte wir noch reden. Warum ändern sich die Dinge im Laufe der Jahre? Warum verkehren sie sich manchmal so ins Gegenteil? Kann man Reden tatsächlich verlernen?

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Kommentare

22:09 23.12.2009
Sehe das wir Charlis und die Bilder gefallen mir sehr gut! Veränderungen gibt es ständig aber die können zum Glück gleichermassen positiv wie negativ sein... Denke schon, dass man "zusammen" Reden verlernen kann
Soll der Kommentar wirklich gelöscht werden?
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unbekannt
12:45 23.12.2009
eine schöne art zu schreiben...und obwohl so viel traurigkeit und wehmut aus deinen zeilen spricht, wünsche ich dir dass du ein schönes fest erlebst

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2009-12-22 18:41