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2011-06-07 14:26
Wie viel Traum darf sein?

In letzter Zeit denke ich oft darüber nach, wie lange man Träume haben oder verfolgen darf. Das Leben ist kein Wunschkonzert, irgendwann muss man auch mal Verantwortung übernehmen und Rücksichtsname ist im täglichen Miteinander vielleicht auch angebracht.

 

Ich bin da vielleicht negativ vorbelastet, weil mir mein Dad immer wieder vorgeworfen hat, wie rücksichtslos ich auf seine Kosten lebe, völlig egoistisch nur dem Lustprinzip folge. Ich habe ein schlechtes Gewissen meinen Eltern gegenüber. Geld, Geld, das ewige Geld, fast wünschte ich, ich hätte das 2-Stunden-Fahrtzeit-Pro-Tag-Angebot angenommen. Ein bisschen mehr Geld hätte ich dann ja immerhin zur Verfügung und somit hätte ich ein etwas besseres Gewissen. Und man könnte mir Faulheit nicht mehr vorwerfen, bei den Arbeitszeiten, die dieser Job mit sich gebracht hätte.

 

Ende März sind die Mieter aus dem Haus meiner Oma ausgezogen und haben einen ziemlichen Saustall hinterlassen. Seitdem wird alles quasi kernsaniert und das schluckt jede Menge Geld. Und immer kommt noch ein bisschen mehr dazu, jetzt wurde vom Anstreicher, der die Fassade machen sollte, festgestellt, dass am Dach auch etwas getan werden muss. In diesen Zeiten würde es mir wesentlich besser gehen, wenn ich nicht auch immer noch ein Kostenfaktor für meine Eltern wäre. Klar, einen Teil kann ich nun übernehmen, aber den Großteil der Kosten tragen sie immer noch.

 

Vor diesem Hintergrund überlege ich immer mal wieder, ob es wirklich ok ist, dass ich nun versuche, meine beruflichen Träume zu verwirklichen. Und das ist ja wirklich nicht so ganz einfach.

 

Beruflich verändern kann man sich wahrscheinlich in jedem Alter noch. Aber es gibt wohl günstigere und weniger günstige Zeiten. Und ich habe das Gefühl, dass gerade jetzt noch mal die Möglichkeit besteht, die Weichen anders zu stellen. Die große Hürde Berufseinstieg. Am Sonntag erschien in der FAZ dazu auch ein netter Artikel.

 

„Sie hatte alles, bis auf ein Pony. Sie dachte, sie sei für die Zukunft gerüstet. Exquisiter Lebenslauf. Und jetzt? Das satteste Leben liegt hinter ihr.“

 

In vielem finde ich mich wieder. In vielem auch nicht. Ja, ich hatte gute Voraussetzungen, wurde finanziell immer gut unterstützt. Aber meine Leistungen lagen doch eher unter meinem Potential und den perfekten Lebenslauf habe ich auch nicht. Da gibt es viele, die perfekter sind. Aber die Schrecken des Berufseinstiegs, die kann ich nachvollziehen. Wohin soll es gehen? Absage um Absage.

 

Mir hat nie jemand gesagt: „Bleib einfach so, wie du bist. So wie du bist, bist du genau richtig.“ Ich bin auch nicht unbedingt der personifizierte Erfolg. An mir wurde immer gezerrt, gedoktert.

 

Wenn man weiß, was man will, ist es egal, was man gemacht hat, dann erreicht man es auch. So etwas hört man immer mal wieder, mit dem richtigen Biss ist alles machbar. Ist es das?

 

Ich bin zurzeit ein wenig traurig und ein wenig…hm, wütend? Enttäuscht? Ich weiß es gar nicht so genau.

 

Ich weiß, was ich beruflich mit meinem Leben schon immer anfangen wollte, aber die Umsetzung blieb immer ein Traum. Und so schwer es mir fiel, jetzt habe ich endlich den Mut gefasst, an dem Traum zu arbeiten.

 

Meine Eltern sind…überrascht und ein wenig eingeschnappt.

 

Nach dem Termin in Bayern, als mein Vater mich vom Flughafen abholte, erklärte er mir, er sei ein wenig enttäuscht. „Wenn diese Richtung schon immer dein Traum war, warum weiß ich nichts davon, warum hast du nie mit uns darüber geredet. Ich habe das Gefühl, ich kenne dich gar nicht, weiß gar nicht, wer du bist. Wer weiß, was du uns noch alles nicht von dir erzählt hast, was du noch verheimlichst.“

 

Meine Ma blies am Sonntag in ein ähnliches Horn. „Ich habe das Gefühl, du weißt gar nicht was du willst, aus heiterem Himmel taucht da auf einmal ein Berufswunsch auf. Ich habe das Gefühl, das ist eine fixe Idee. Wenn der Wunsch so lange besteht, warum hast du nicht mal vorher darüber gesprochen, warum hast du nicht mal vorher versucht, in dem Bereich ein Praktikum zu machen.“

 

Ich fühle mich ungerecht behandelt. Weil das so auch nur die halbe Wahrheit ist. Aber wahrscheinlich habe ich einfach das bessere Gedächtnis.

 

Vor Jahren, zu Oberstufenzeiten, da wollte ich schon genau das machen. Ich besuchte Informationsveranstaltungen zum Thema, war kurz davor, Kommunikationswissenschaften zu studieren. Ich habe es mir ausreden lassen. „Meinst du denn, du bist die Richtige für diesen Beruf? Da braucht man Ellenbogen und Durchhaltevermögen und Biss, das hast du doch alles gar nicht.“

 

Auf den Informationsveranstaltungen erzählte man uns ähnliches. Hartes Business, wenn man nicht von frühster Jugend an bereit ist, für diese Berufsziel zu arbeiten, hat man gar keine Chance, Vitamin B ist alles, jeder andere ist Chancenlos.

 

In meinem Englisch-LK gab es ein Mädel, die so war. Eine, die aktiv an ihrem Traum arbeitete, schon zur Schulzeit diverse Praktika absolvierte und nebenbei für die Jugendsparte der Lokalzeitung schrieb. Dasselbe Mädel war auch im Deutsch-LK meiner Mutter. Am Mittagstisch hieß es dann: „Jemand wie sie ist prädestiniert für den Job, die hat den richtigen Biss, die Ausdauer, aber du bist ihr in so gar nichts ähnlich.“

 

Ein Schlüsselerlebnis war für mich der Besuch in der Redaktion der Lokalzeitung mit der Jugendsparte. Ich war dort mit einer Freundin. Die Hälfte der anwesenden Jugendlichen kannte ich, weil sie an meiner Schule waren. Unser schulinterner „Star-Reporter“ war auch dabei. Heute hat er tatsächlich eine eigene Produktionsfirma in Kiel. Ein Beispiel für einen schnurgeraden und erfolgreichen Lebenslauf. Ja, Erfolgstypen. Jedenfalls sollten im Rahmen dieser Mini-Redaktionssitzung Themenvorschläge gemacht werden und ich brachte keinen einzigen Ton heraus, weil mir mal wieder mein Gedankenkarussell dazwischenfunkte. Gehemmt, um es kurz zu sagen, weil mich die meisten dort kannten, weil ich ein gewisses Bild von mir in der Öffentlichkeit vertrat und weil ich Angst davor hatte, alle könnten doof finden, was ich zu sagen habe. Auf meiner Seite in der Abizeitung waren damals am häufigsten die Worte „introvertiert“ und „verschlossen“ zu lesen. (Wenn ich heute in Umgebungen komme, in denen ich keine Vergangenheit habe, sagt man mir, man empfinde mich als „offen“ und „kommunikativ“.)

 

Na jedenfalls kam ich damals zu der Erkenntnis, dass meine Eltern wohl mal wieder den richtigen Riecher hatten. Ich würde in diesem Berufszweig mit Pauken und Trompeten untergehen, daran glaubte ich nun auch und entschied mich für eine andere Fachrichtung. Losgelassen hat es mich nie. Und es ist auch nicht so, dass ich seit zehn Jahren nie wieder ein Wort darüber verlor. 2005 stolperte eine Freundin durch einen glücklichen Zufall in die Branche und hat seitdem einen Fuß in der Tür. Mehr als einmal sagte ich, dass ich toll finde, was sie tut und selber gerne Ähnliches mit meinem Leben anfangen sollte. Und die berühmte Frage tauchte dort wieder auf: „Meinst du denn, du bist dafür der richtige Typ?“ Nachdem mir diese Freundin von ihren ersten Erfahrungen mit den öffentlich-rechtlichen Sendern erzählte, kam ich erneut zu dem Schluss, dass ich in der Branche nichts verloren habe und verabschiedete mich von der Idee, mich ebenfalls mal auf die ausgeschriebenen Hilfskraftstellen dort zu bewerben.

 

Als das Thema „Uni“ erledigt war und wir zur Feier dieses denkwürdigen Ereignisses essen gingen, fragte mich mein Dad, was ich denn machen wollen würde, wenn ich es mir aussuchen könnte. Ich beschrieb genau den Bereich, in dem ich nun Fuß zu fassen versuche. Und auch da wieder derselbe Satz wie immer: „Meinst du denn, du bringst dafür wirklich die optischen und charakterlichen Voraussetzungen mit?“

 

Es stimmt, ich habe tatsächlich sehr selten mit meinen Eltern über diesen Berufswunsch geredet, ein paarmal alle Jubeljahre. Aber gerade weil sie es immer gleich abbügelten, habe ich es nur so selten erwähnt. Gerade auch deswegen habe ich es so oft für mich selbst wieder verworfen und habe mich nie aktiv darum bemüht. Und ja, es stimmt, meine Freunden wussten immer sehr genau, dass ich mit mir hadere, weil ich eigentlich genau das immer machen wollte, mich aber nicht traute. Meine Eltern bekamen davon nicht so viel mit. Ihnen und ihren Freunden gegenüber leierte ich brav immer die klassischen Berufsbereiche runter, die man eben mit so einem Studium wie dem meinen einschlagen kann. Sicherlich habe ich so auch zu ihrer jetzigen Überraschung beigetragen. Dass ich ein besonders gutes Gedächtnis habe und mich selbst an Kleinigkeiten noch lange erinnere, ist auch bekannt.

 

Aber ich bin trotzdem ein wenig traurig. Bei jeder Bewerbung in dem Bereich habe ich ein schlechtes Gewissen, ein ungutes Gefühl, ich traue mich nicht, mit Freude von guten Rückmeldungen zu berichten, ich verkaufe wirklich gute Angebote nicht überzeugend, weil ich mich schlecht fühle. Schlecht, weil sie die Branche eh immer für ungeeignet für mich hielten und schlecht, weil es für sie ja so aus dem heiteren Himmel kommt.

 

Ich fühle mich so ein bisschen wie ein egoistisches Kleinkind, das mit dem Kopf durch die Wand willen. Zum Ponyreiten trotz Pferdehaarallergie oder so. Die aktuelle Werbung einer Stromanbieters zeigt so ein schreckliches Quengelkind. „Ich will aber ein Pony.“ „Ich will aber…“ Egoistisch, rücksichtslos, nur auf die eigenen Bedürfnisse bedacht, so fühle ich mich manchmal.

 

Das sind die Momente, in denen mich das schlechte Gewissen packt, wenn ich mir die Adressaten meiner Bewerbungen anschaue. Auf der einen Seite ist wohl gerade jetzt der Zeitpunkt günstig, die Weichen für das Berufsleben noch mal umzustellen. Aber wie lange darf man das versuchen? Muss man es nicht irgendwann auch mal gut sein lassen, den Traum als gescheitert erklären. Irgendwann muss man schließlich mal erwachsen und vernünftig werden. (Dass es auch gute Chancen bei den schlechten Voraussetzungen, die ich habe, gab und gibt, ignoriere ich an der Stelle einfach mal.)

 

„Du lebst immer nur nach dem Lustprinzip, aber so funktioniert das Leben nicht, man muss auch mal irgendwann Verantwortung übernehmen, ich mache auch kaum das, worauf ich Lust habe, so ist das nun mal.“ Das sagt mir mein Dad mehr als einmal. Und wahrscheinlich hat er recht. Wo kämen wir dahin, wenn jeder nur das täte, worauf er Lust hat?

 

„Kleine Kinder wollen auch Astronauten werden.“, das schrieb die geschätzte Persephoneia in einem ihrer letzten Einträge. Ich glaube, so wirke ich gerade auf meine Eltern. Ich glaube, den Schuh ziehe ich mir selber auch im Moment viel zu oft an.

 

Selbstverwirklichung ist ein kleines Wort, was meinem Dad ein Kreidequietschen im Gehörgang ist. In einem seiner Ausbrüche der vergangenen Jahre schimpfte er über meine Therapeutin, die mir den Floh ins Ohr gesetzt habe, mich auf einen Selbstfindungs-/Selbstverwirklichungstrip begeben zu müssen. Ähnliches denkt er sich vielleicht derzeit auch immer mal wieder mal. Ähnliches denke ich derzeit an schlechten Tagen.

 

Es gibt genug Leute, die einfach mit irgendwas ihr Geld verdienen, ihren Beruf Beruf sein lassen, dort ihre 40 Wochenstunden erledigen und sich im privaten Bereich ausleben. Die vernünftigen Leute tun so etwas wohl. Die Leute, die wissen, dass sie nicht alleine auf der Welt sind und Rücksicht auf ihre Mitmenschen nehmen, die machen das wohl so.

 

Na ja, jedenfalls frage ich mich gerade wieder sehr oft, wie lange ich noch versuchen darf, das zu machen, was ich eigentlich immer machen wollte und wann ich es einfach mal gut sein lassen sollte.

 

Heute erfahre ich, wie viel Geld mir der Mai gebracht hat. Ich bin gespannt. Außerdem erwarte ich die Lieferung einer kleinen Sommerkollektion. Einen ganzen Schrank voller nichts zum Anziehen. Für den Sommer. Klar, irgendwie ja doch, aber irgendwie mag ich auch mal nicht mehr mit den Sachen von vor fünf Jahren herumlaufen. Sie gefallen mir zwar noch und sind auch meiner Meinung noch tragbar, aber ein bisschen Abwechslung darf es mal sein. Deswegen warte ich sehnlichst auf meine 30-Teile-Lieferung, die immer noch nicht abgeschickt wurde. Ich werde sie nicht alle behalten, die 30 Teile. Die Sachen, die ich auf jeden Fall haben will, habe ich mal in zwei Größen bestellt, vieles ist dabei zum „mal-gucken-ob-es-gefällt-und-sitzt“. Da wird also noch der ein oder andere Artikel zurückgeschickt. Blöder Feiertag. Blöde Menge der Artikel. Das verzögert das Ganze wahrscheinlich, dabei bin ich so gespannt.

 

Mein Arbeitgeber hat auch seine Homepage gepimpt. Jetzt sieht man dort Bilder von Leuten, die ich auch persönlich kenne. Da scheint es eine Art Fotoshooting geben zu haben, irgendwann in den letzten Wochen. Schick sieht sie aus, die Homepage. An den Dienstplänen hängt seit gestern ein Zettel. „Wir verloren ein iPad, dafür müsst ihr aber „Gefällt mir“ von uns bei Facebook werden.“ Sie haben arge Probleme, ihren neuen Social-Media-Marketingbereich ans Laufen zu kriegen. Ich bin froh, dass ich wahrheitsgemäß sagen kann, Facebook nicht zu benutzen. Ich bin froh, dass ich entweder am Tag des Fotoshootings für die Homepage nicht oder noch nicht dort war oder dass man mich deswegen nicht angesprochen hat. Für den Verein möchte ich mein Gesicht nicht hergeben, mit dieser Arbeit kann ich mich nun wirklich nicht identifizieren. Scheinbar geht es nicht nur mir so, denn auch seit der iPad-Verlosung sind die „Gefällt-mir“-Zahlen noch nicht gestiegen.

 

Ansonsten leide ich gerade ein wenig unter dem „Denken-Sie-nicht-an-einen-blauen-Elefanten-Syndrom.“ Meine Ma warf früher in ihre Hackfleischsauce gerne mal ein Paket Sprossen. Das war wirklich sehr, sehr lecker und irgendwie geht mir das Gericht nicht aus dem Kopf, ich würde es echt gerne gerade selber kochen. Nein, ich schließe mich der EHEC-Panikmache nicht an, schließlich würde ich die Sprossen in dem Fall ja auch nicht roh zu mir nehmen und gekocht sollten sie kein Problem darstellen. Aber ich habe festgestellt, dass der ein oder andere Anbieter sie bereits aus dem Sortiment genommen hat, erst die Gurken, dann die Sprossen. Aber…die Mehrheit würde sie wahrscheinlich derzeit auch nicht kaufen, von daher macht es wohl auch wenig Sinn, sie anzubieten. Und trotzdem hätte ich gerade so Bock auf Hackfleischsauce mit Sprossen.

 

Aber wie war das noch gleich? Man kriegt im Leben eben nicht immer nur das, worauf man Bock hat.

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