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Friday, 19. April 2024
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 1918-04-06 hh:mm
Wie lange soll die trostlose Zeit noch dauern?

Als ich am 4. d. M. Mittags nach Hause komme, ist mein alter Freund Wendt da (geschäftl. natürlich) und verspricht mir, am Abend zu kommen. Und er kommt auch um ¾ 8 Uhr. Eine bessere Jacke ziehe ich an, dann gehen wir zu Gneist. Bin schon lange nicht dort gewesen.

Die Unterhaltung ist mäßig, geistreich auf keinen Fall. Das Café ist nicht allzu sehr besucht, alles junges Volk. Da erscheint Freund Liebsch und L., wir gehen zu Dondi. Hier ist alles leer, wir trinken schnell eine Tasse Kaffeeersatz (Georg natürlich ein Glas Wein, der ist es ja so gewöhnt) Auch hier gefällt es den 'Herren' nicht, wir wandern also zur Philharmonie. Hier ist überhaupt keine Seele. Wir gehen in ein Nebenzimmer; Georg, der ja Stammgast ist, bestellt eine Flasche Sekt. Der Wirt stellt vor jeden einen spitzen Kelch, bald darauf ein Knall, und der Pfropfen fliegt zur Erde, in den hohen Gläsern schäumt das Getränk, das ich wohl noch nicht getrunken habe. Es schmeckt wie Wein, so feurig, nur das es schäumt und perlt. Georg erzählt Erlebnisse und schlüpfrige Witze, Liebsch spendiert Zigaretten. Ein fröhlicher Herzenston kann natürlich in dieser Gesellschaft nicht aufkommen. Es war natürlich ein teures Vergnügen aber dafür ist man jung.

Das goldene Zeitalter, die Jugend, bricht ja an. Ich bin froher, freier, glücklicher geworden. Lange Zeit war ich traurig, mein Beruf behagte mir nicht, ich war unsicher, ich hatte Furcht, Zweifel quälten mich, ich mußte kämpfen. Und da sich ja der Mensch immer vollendet glaubt, so meinte ich, das könne sich nie äußern. Ich glaubte mich nur glücklich, wenn ich von jeder Pflicht, von der verhaßten Arbeit entbunden sein würde!! Doch jetzt habe ich Furcht und Unsicherheit abgelegt, ich sehe mir die Welt geöffnet, sehe das goldene Zeitalter vor mir liegen. Die Jugend fängt ja erst an, denn bis jetzt habe ich erst das ängstliche Kind in mir unterdrückt, ich wollte schon an der Jugend verzweifeln.

Ich werde auch in Zukunft etwas 'mehr aus mir machen'. An Ausschweifungen, wie sie mein Freund huldigt, werde ich mich nicht erbauen, doch verbittern wie der andere Freund, will ich beileibe nicht. Am anderen Tage geht’s wieder an die Arbeit, aber ich gehe aufrecht, gern und freudig. Unser Geschäftsführer hat einige Tage Urlaub, wir arbeiten zusammen, jede Befangenheit habe ich abgelegt; ich fühle mich gar nicht als Lehrling.

Es ist herrliches, warmes Frühlingswetter, es macht Spaß, zu laufen. Ich erledige einige Gänge in die Stadt von der Reichsbank hebe ich Geld ab; es macht Spaß, die Scheine zu zählen. Auch am folgenden Tage bin ich ganz Kaufmann. Es ist Sonnabend + Feierabend ist nicht mehr fern. Nächsten Freitag ist Musterung, hoffentlich geht die böse Zeit bald zu Ende. Der 1335. Tag ist längst vorüber, er hat den Frieden nicht gebracht. Wie lange soll die trostlose Zeit noch dauern!

 

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