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2009-04-09 11:39
Wege der Trauer
Der Tag gestern war so schwer. Mein Bruder und ich trafen die Entscheidung, Papa nicht mehr im Krankenhaus zu sehen. Warum auch? Der Anblick wäre sicher nicht schön gewesen. Es tat gut, dass mein Bruder und ich uns so nah sein konnten. Wir fuhren zu meinem Wochenendgrundstück, wo ich die ganzen Papiersachen von Papa am Freitag hingebracht hatte und suchten nach den nötigen Papieren. Stolperten über seine Tagebücher und mußten schon feststellen, wie lieb er uns doch eigentlich hatte. Er war ein Knorzen, ein Unikat, ein nerviger Schreihals - der uns oft weh tat und auch den letzten Nerv raubte, aber er war unser Vater. Anschließend sind wir noch mal in die Wohnung gefahren, in seine, um ihn einen schönen Anzug rauszusuchen. Meinem Bruder ging der Aufenthalt in der Entseelten Wohnung sehr nah. Ich hatte meinen Abschied ja schon am Freitag zelebriert. Es war der entgültige Abschied von unserer Kindheit, von den Räumen in denen wir aufwuchsen, stritten, lachten, weinten und Mist bauten. Der Geruch in den Räumen war nicht mehr der von früher, es roch sehr nach Krankheit. Mein Bruder packte noch Werkstücke aus der unserer Schulzeit ein, die meine Mama liebevoll drapiert in jeder Ecke stehen hatte.

Kurz gingen wir dann noch zu der Nachbarin meines Vaters, die ihm in der letzten Zeit treu zur Seite stand und weinten und lachten mit ihr. Ja, uns war es schon irgendwie möglich über diesen verrückten Menschen zu lachen... Er war einfach bekannt wie ein bunter Hund in der gesamten Region. Mit seinem Schnauzbart und dem Tirolerhut glich er zu Lebzeiten eher einer Karikatur und wenn er in einem Wirtshaus saß, konnte man ihn schon von außen hören. Er war ein Unterhalter, der sich sicher nicht nur Freunde gemacht hatte, aber der respektiert wurde. Wie die Nachbarin sagte, so einen Menschen wird es wohl kein zweites Mal mehr geben.

Im Anschluß fuhren wir zu dem Bestattungsunternehmen.Wir hatten uns diesmal eines gewählt, dass seinem Heimatdorf nicht so fern war. Da empfing uns nicht etwa ein hochgestochener Anzugträger, der Traurigkeit vorgaukelte (wie es bei Mama war). Nein, es war ein Bestatter mit schmutzigen Nägeln, fettleibig und verschwitzt. Er hatte was unkompliziertes und so wurden auch die Formulare ausgefüllt. Als wir Papas Namen erwähnten, kam zu allem Überfluß auch noch heraus, dass mein Papa der Polier dieses Mannes war und er es nur 3 Monate unter ihm ausgehalten hat (oh nein...! aber irgendwie auch schön, denn es war gleich eine persönliche Beziehung hergestellt). Jedenfalls wird mein Papa verbrannt, so kann ich an der Beerdigung teilnehmen.

Auf dem Heimweg kehrten wir noch in einem Wirtshaus ein und fragten uns, ob wir uns Vorwürfe machen müßten, weil wir oft sauer auf ihn waren oder mit ihm schimpften, wenn er mal wieder irgendwelche Ämtergänge allein gemacht hatte und die eigentlich alles nur verschlimmerten. (Zumindest in der letzten Zeit.) Er hat ein Leben lang alles allein geregelt, wenn auch oft eher schlecht als recht. Nun kamen wir und erledigten die Angelegenheiten für ihn. Oft merkte er, wie sehr uns das nervte und wollte dann wohl keinem zu Last fallen und die Dinge wieder selbst in die Hand nehmen. Doch er schaffte das einfach nicht mehr. Wir waren so ungeduldig, sahen nur unser Päckchen, dass wir zu tragen hatten und waren ständig dabei ihn zu schelten. Dafür könnte ich mich im nachhinein ohrfeigen.

Ich konnte heute Nacht ganz schlecht schlafen. Mir kreiste ständig der Gedanke im Kopf, dass es das jetzt war. Ich bin jetzt Vollwaise (auch wenn ich schon auf eigenen Füßen stehe) und das mir dieses Netz dass einem Eltern geben einfach fehlen wird. Er hat mich sehr lieb gehabt, dass weiß ich. Ich sah ja, wie sehr er sich Freitag noch über meinem Besuch gefreut hat. Ich war ja seine Kleine, sein einziges Mädchen. Und meine Tochter vergötterte er. Sie war die einzige in der Familie, die ihn mit Liebe überschüttete und ihn ständig küßte und umarmte.

Jetzt klafft da tatsächlich so ein Loch, ich hätte es vorher nicht für möglich gehalten, aber jetzt wird mir erst klar, dass ich ihn - trotz seiner ganzen wirren Geschichten seit Mamas Tod - geliebt habe. Er war mein Vater.

Erst heute ist es mir wirklich möglich zu weinen, gestern geschah irgendwie alles wie maschinell gesteuert und unwirklich, heute hat mich die Trauer mit voller Wucht erwischt.

Ich war vorhin bei meinem Frauenarzt, ein so lieber Mensch. Wir haben lange drüber gesprochen, wie es ist, wenn man sich nicht recht zwischen Trauer und Freude über kommendes Leben entscheiden kann. Es gibt nicht so viele Ärzte die sich so viel Zeit nehmen. Kind geht es jedenfalls gut und wird wohl spät. am Sonntag eingeleitet. Ach, auch das ist mir jetzt egal. Nächste Woche hab ich meinen Sohn auf jeden Fall im Arm.

Der Abschluss wird wohl erst richtig gemacht sein, wenn wir Papa beerdigt haben. Dank dem Urnenbegräbnis, habe ich jetzt keine Sorge mehr, nicht dabei zu sein. Geh mal davon aus, dass wir die Bestattung erst auf Ende übernächster Woche ansetzen.

Meine Mama hat immer gesagt, als sie wußte dass sie stirbt: "Meinst Du ich lass Dich lang hier zurück???" Jetzt hat sie ihn wohl zu sich geholt. Nach nicht mal einem Jahr. Naja, so viel Urlaub sei ihr auch mal von ihm vergönnt gewesen.

Jedenfalls haben sie jetzt alle Zeit der Welt zusammen zu sein.

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Kommentare

09:24 11.04.2009
Auch ich wünsche Dir ganz viel Kraft. Jeder Mensch - und war er auch noch so ein Ekelpaket - hinterläßt ein tiefes Loch in unserem Leben. Denn jeder Mensch hat dazu beigetragen uns zu dem zu formen was wir jetzt sind.
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10:03 10.04.2009
Ich wünsche dir weiterhin viel Kraft...ich bewundere deine Stärke
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2009-04-09 11:39