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2006-03-07 18:05
Verbraucherschutz leicht verständlich
Das muss man doch wissen
Essen Sie möglichst viele Vollkornprodukte, damit Sie immer genügend Ballaststoffe aufnehmen und die Verdauung in Gang kommt.
Meiden Sie Fleisch, denn es enthält Cholesterin und könnte Ihre Adern verstopfen.
Bevorzugen Sie ungesättigte Fettsäuren anstelle von gesättigten, wenn Sie sich vor Herzinfarkt schützen wollen.
Trinken Sie einen halben Liter Milch täglich, um Ihr Osteoporoserisiko einzudämmen, aber bitte die fettarme Variante.
Wählen Sie Obst und Gemüse in verschiedenen Farben, damit Sie beim Biss ins Knackige Grün oder Rot auch ja genügend sekundäre Pflanzenstoffe erwischen, die Sie vor Krebs schützen könnten.
Trinken Sie wenig Alkohol, den aber bitte regelmäßig, damit Ihr "gutes" Cholesterin steigt.
Wenn Sie Joghurt essen, dann aber eines mit probiotischen Spezialbakterien, damit das Immunsystem auf die Sprünge kommt.
Verwenden Sie besser keine Mikrowelle, wärmen Sie Spinat nicht auf und Pilze schon gar nicht.
Überbacken Sie Gepökeltes nie mit Käse und achten Sie beim Grillen darauf, dass nichts in die Glut tropft und dass sich nicht zuviel braune Kruste bildet.
Lassen Sie Ihre Pommes nicht zu lange in der Friteuse und suchen Sie bei Knäckebrot und Lebkuchen nach einer besonders Acrylamid-armen Sorte. Trösten Sie Ihr Kind nicht mit Süßem und putzen Sie ihm und sich nach jedem Essen die Zähne!

Wer sich heute (unkritisch) mit gesunder Ernährung befasst, muss unweigerlich den Eindruck gewinnen, der -- an sich genussvolle und natürliche -- Vorgang der Nahrungsaufnahme sei ein äußerst schwieriges und extrem gefährliches Unterfangen, das sich ohne professionelle Hilfe und gewiefte Tricks kaum bewerkstelligen lässt.
Da lauern nicht nur Hüftspeck und Karies, auch Herzinfarkt, Diabetes, Krebs und Knochenschwäche bedrohen den arglosen Esser bei fast jedem Bissen.
Nur Grünzeug, Entfettetes und schwach Gegartes bekommt den Segen der Experten, wobei sich die Szene in zahlreiche Lager aufspaltet, die sich in keiner Weise einig sind, sodass sich die vielen Ratschläge meist auch noch widersprechen.
Eindeutig ist nur das Feindbild: ein reichliches Angebot an Essbarem und ein augenscheinlich stets gieriger Körper!
Beides gilt es mit Hilfe der Ratio und kluger Überlegungen zu bekämpfen.

Wer sich als Verbraucher Mühe gibt, und versucht, sich an all die wohlfeilen Tipps zu halten, erlebt nicht selten sein blaues Wunder:
Von allzu viel Vollkorn gibt es schon mal Blähungen und Darmpilze, und die Lust auf ein Stück Fleisch mag einfach nicht verschwinden.
Die Butter schmeckt trotz aller Drohungen immer noch besser als der Halbfettaufstrich mit Vitaminen, und seltsamerweise ist ja auch der Cholesterinspiegel trotz aller "Bütterchen" normal.
Auch bei der Milch mundet die vollfette Variante allemal mehr als die durchsichtige Magermilch.

Wie gut, dass sich bis heute keine Studie finden ließ, die den Konsum von Milchfett mit Herzinfarkt in Verbindung bringen konnte.
Im Übrigen fehlt bis heute der Nachweis, dass Cholesterin, Butter oder Ei dem Herzen tatsächlich schaden.

Doch den ernährungsmäßig rundum aufgeklärten Verbraucher quält bereits beim Frühstücksei das schlechte Gewissen.
Und wenn er seine täglich vorgeschriebenen fünf Portionen an verschiedenfarbigem Obst und Gemüse noch nicht intus hat, meint manch einer bereits zu spüren, wie die ersten Zellen entarten.
Es hat ihm ja auch noch keiner verraten, dass sich in einer sehr großen Studie gar kein Zusammenhang zwischen Gemüsekonsum und Brust- oder Eierstockkrebs finden ließ.
Auch das Aufwärmen von Spinat und Pilzen ist gar nicht schlimm, sofern die Speisen rasch abkühlen und recht bald gut durcherhitzt und verspeist werden.
Und das Verkohlte am Grillgut hat den Vorteil, dass es Schadstoffe besonders gut bindet und sie so unschädlich macht.

Es ist schon ärgerlich:
Nachdem man sich nur noch blasse Schlabberfritten gegönnt hatte, wird nun gemeldet, dass Normalpommesesser gar kein erhöhtes Krebsrisiko haben. Zudem gibt eine Forschungsanstalt bekannt, dass in der braunen Kruste von Brot und Braten eben nicht nur Stoffe wie Acrylamid stecken, die möglicherweise schädlich sind, sondern auch andere Bräunungsprodukte mit unaussprechlichen Namen, die sich gerade als gesundheitsförderlich erwiesen.
Am Gewicht des besorgten Verbrauchers hat sich übrigens trotz des Zählens von Fettaugen seit Weihnachten nichts Wesentliches geändert - allerdings macht das Essen keinen richtigen Spaß mehr.

Da hilft zum Trost etwas Schokolade, natürlich nur von der dunklen mit mindestens 70% Kakaoanteil, um den Herzkranzgefäßen nebenbei noch ein paar Polyphenole zukommen zu lassen.
Die Milchschokolade überlässt man wohl doch besser den Kindern, denn gerade erreicht uns die Meldung, dass Süßes bei Kindern (und nur bei ihnen) tatsächlich die Schmerzempfindung mindert.
Da hatte Oma doch Recht, als sie wegen des blutenden Knies ein paar Kekse rausrückte oder zum Trost einen Pudding kochte.

Was lernen wir daraus? Nach meiner sicher subjektiven Einschätzung folgendes:
1. Selbst gut gemeinte Ratschläge können falsch sein.
2. Die Ernährungswissenschaft ist weit davon entfernt, verstanden zu haben,
wie gesunde Ernährung biologisch funktioniert.
3. Ernährung ist etwas Individuelles, die eine richtige Kost für alle gibt
es nicht.
4. Die Verbraucher, zumal die gesunden, werden mit einer Fülle an
überflüssigen Halbwahrheiten und ungesicherten Erkenntnissen
tyrannisiert.
5. Der Appetit als ein wichtiger "innerer Ratgeber" wird zu Unrecht
ignoriert.
6. Allein mit dem Verstand lässt sich keine gesunde, wohlschmeckende und
bekömmliche Nahrung zusammenstellen.

Vielleicht sollten wir lieber etwas über Lebensmittelqualität und Warenkunde und vor allem sollten wir schlicht Kochen und Genießen lernen.
Dann würden wir auch qualitative Unterschiede bei Lebensmitteln eher erkennen (es ist leider oft genug nicht möglich) und zu schätzen wissen und würden nicht einfach nach dem Billigsten greifen.
Wird in den Laboren mal wieder Gammelfleisch, wurmstichiger Fisch oder umdeklarierter Hirschbraten entdeckt, folgt zwar der Ruf nach qualitätsbewußteren Verbrauchern auf dem Fuß.
Doch wie sollen sich den Käufern die Unterschiede zwischen den verschiedenen Angeboten erschließen, wenn sie nur bunte Fertigpackungen mit Werbesprüchen darauf kaufen? Wenn sie gar nicht wissen, wo ihre Lebensmittel herkommen, wie sie hergestellt werden, wie man sie schmackhaft zubereitet und warum gute Qualität eben manchmal etwas teurer sein muss als das Superschnäppchen beim Discounter.

Sicher, vor Betrug ist keiner gefeit.
Doch mit guten Grundnahrungsmitteln, ein paar Kochkenntnissen und ein wenig gesundem Menschenverstand ist gesunde Ernährung eigentlich ganz einfach.
Damit täten wir vermutlich mehr für die gesunde Ernährung der ganzen Familie als all die gut gemeinten aber ungeprüften oder längst überholten Ratschläge, die uns alltäglich umschwirren, und die uns oft genug vom Wesentlichen ablenken.

P.S.: Nach jedem Essen die Zähne zu putzen ist nicht nur mühsam: Nach sauren Speisen und Getränken beschädigt sofortiges Putzen den Zahnschmelz.


Quelle http://www.ernaehrgesund.de/artikel/01904497730fbd301/index.html

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