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Saturday, 27. April 2024
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 1940-02-11 hh:mm
Unsre gute Mutti ist gestorben ...

Meine lieben Jungen, Dietmar u. Günter. (Die Namen hat euch eure liebe gute unvergeßliche Muttel gegeben).

Am 3. Dez. 1939 nachmittag ½ 3 Uhr, hat uns unsre gut Mutti für immer verlassen. Ihr Kleinen seid nun mit euren 5 u. 4 Jahren schon Halbweisen. Lange hat sich euer gutes aufopferndes Muttel mit ihrer schweren Krankheit herumgetragen. Nun ist sie erlößt von ihren Leiden. All zu früh.

Am 15. Dez. war ihr 35. Geburtstag, den sollte sie eben nicht mehr erleben. Heute, nach 10 Wochen, da sich der allzu große Schmerz in mir etwas gelegt hat, will ich euch alles eintragen, wie sich alles zugetragen hat. Gern hätten wir über eure Entwicklung weitergeschrieben. Es sind nun beinah 2 volle Jahre verstrichen, da ich nichts mehr von euch geschrieben habe. Entschuldigt nur. Die 2 Jahre haben mir in der Siedlung viel Arbeit gekostet. Dazu war noch unser Muttel krank.

Ich will damit also schließen. Unser Muttel kann sich nicht mehr darüber freuen, so ist mir die Freude auch genommen. Wir hatten uns alles viel, viel anders ausgedacht u. heute stehe ich da, Witwer mit 35 Jahren. Alles ist vorbei.

Als euer Muttel ihre Mutter starb, war auch Mutti 5 Jahre alt. Leider konnte sie nichts erzählen an was sie gegangen ist. Ich will euch, liebe Jungens, alles aufschreiben.

Durch den Weltkrieg 1914 - 18 kam die Inflation, die aller Leute ihres Geldes beraubten. Nachdem kam eine große Erwerbslosigkeit, die mich faßt 6 Jahre lang betraf. Am 7. Oktober 1933 haben wir geheiratet. Habe immer auf Arbeit gehofft. Bis 35 für 7 Wochen. An der Forststraße wurden oben die 7 Häuser gebaut. Wir wohnten Im Heidenhäusern. Wie hat sich da unser gutes Muttel (dort habe ich mit gearbeitet) gefreut. Nun ja. Es wollte aber nicht werden.

Wir hatten wieder wenig Geld. 11,75M Unterstützung, 20M (...) Wir schlugen uns recht u. schlecht durch. Unser liebes Muttel trug alles mit Hoffnung. Nun stellte sich das große Unglück ein. Gerade zu deinem 1. Geburtstag, Dieterle, wurde Mutti krank. Schweren Herzens mußten wir uns am 28.11.35 zum 1. Male trennen. Nun bin ich mit dir Dieter zu meine Eltern.

Die Wohnung, unser Muttel ihr Stolz, habe ich einstweilen verschlossen. Am 1.1.36 haben wir einfach die Wohnung aufgegeben. Die Möbel bei den Eltern eingestellt. Neue Hoffnung regte sich in uns. Wir hatten uns doch mit zum Siedeln gemeldet. Und unser Häuschen sollte im Jahre 36 fertig werden. Ich fuhr jeden Mittwoch u. Sonntag zur Muttel ins Friedrichstädter-Krankenhaus. Mutti konnte solange sie nicht entbunden hatte nicht behandelt werden.

Am 5.1.36 wurde nun unser Günterle in Dresden geboren. Wir haben ihm mit Oma u. Tante Metl geholt. Mutti erholte sich gut, wurde behandelt u. alles ging gut. Am 8. März wurde Günter getauft, da war Mutti in Dresden entlassen, ein paar Tage zur Taufe unter uns, und ging dann bis zum August zur Weiterbehandlung nach Coswig. Bin jeden Sonntag mit den Rad nach Coswig zur Muttel gefahren.

Als unser gutes Muttel wieder unter uns war, dachten wir, alle Not wäre nun vorbei. Ich habe ihr nichts machen lassen, da sie doch noch aller 14 Tage nach Dresden zum Füllen gehen mußte, und das 2 Jahre lang. Mutti fühlte sich sehr wohl. Endlich war der Tag des Einzuges gekommen. Wie groß war die Freude. Alles war fix u. fertig, als unser Muttel das Häuschen betrat. Alle hatten mit einräumen geholfen. Am 1. Nov. 1936 war der Einzug.

Mit der Zeit aber fing Mutti immer mehr an zu arbeiten. Ja, so wie eure gute Mutti war. Erst war sie nach der Schule in Pulsnitz bei den Bauern. Dann im Gasthaus, Herrenhaus. Dann kam sie nach Radeberg und war 10 Jahre bei Baumeister Wunderwald in Stellung. Ehrlich, einfach, arbeitsam u. sparsam, so war eure liebe Mutti, ihr lieben Jungens, eingestellt. Und arbeiten ging ihr über alles.

1937 kamen eines Tagen meine Eltern, wie so oft Qwecken aus den Felde machen. Es war ein naßkaltes Wetter. (Ich hatte inzwischen Arbeit in Gläserkarosserie bekommen). Die Eltern wollten eben mich bischen unterstützen, da doch Mutti nichts machen sollte, als ihre Wirtschaft. Sie haben Mutti gewarnt, ließ sich aber nicht halten u. ging mit auf den Acker. Ich konnte es verstehen, fühlte sich wohl, arbeiten steckte in ihr, und wollte eben nicht, das sich nur die Eltern bei uns abplagen. Obwohl ich nach der Arbeit fest mit gearbeitet habe. Unser armes Muttel sollte es nicht tun. Gleich danach bekam sie angeblich die Grippe, und legte sich ins Bett. Ich holte nachts den Arzt Dr. Glück. Er sagte, Grippe. Kam einen Tag um den anderen. Mutti hatte Fieber, es wollte nicht weichen. (Glück wußte von Muttis erster Krankheit, er kannte sie von Wunderwalds aus.)

So waren bald 2 Wochen um. Glück bahandelt immer auf Grippe, an der Lunge konnte er nichts feststellen. Mutti sagte zu ihm. Ich bekomme aber doch keine Luft, es geht so schwer. Darauf beschlossen wir, das Mutti am kommenden Mittwoch, wie aller 14 Tage zur Füllung nach Dresden fahren sollte, ihr Arzt würde da schon was finden. Glück war ganz dagegen, das geht auf keinen Fall, wir sagten, eine Änderung müsse hier gemacht werden. Und so fuhr dann Mutti, auf seine Ratlosigkeit hin, nach Dresden mit 40 Grad Fieber. In Dresden stellte der Arzt sofort Rippenfellentzündung fest und war bis oben an voll Wasser. Er hat mächtig auf Glück geschimpft. Aber das nützte ja alles nichts. Mit 40 Grad Fieber kam euer liebes Muttel wieder heim. Habe sie vom Buss aus mehr getragen. Das Wasser war sie also los. Noch längere Zeit hat sie oben im Bett müssen liegen. Es renkte sich auch wieder bischen ein. Aber so recht gefiel mir meine Frau nicht. Es war immer so etwas Erdrückendes auf uns.

Ihr Arzt in Dresden, hatte gleich gesagt. Wollen wir hoffen das nichts zurück bleibt. Mutti wurde aller 14 Tage zur Füllung, (die war ja für den Pneumotorax auf der linken Seite noch nicht ganz beendet) beobachtet. Einmal sagte Mutti, es ist nichts in Dresden. Jedesmal ein anderer Arzt. Sie können mich ja garnicht richtig beobachten. Und sie sollte nur zu gut Recht haben.

Im Herbst 1937 war die rechte Seite angegriffen und euer schwergeprüftes armes Muttel mußte ihr Heim wieder für 5 Monate mit Coswig tauschen. Die linke Seite war wieder einwandfrei. Dafür war es nun rechts. Ein Pneu konnte nicht angelegt werden. Durch das Wasser war alles verschwardet. Sie kamen mit der Nadel nicht hindurch. So ließ sich das arme Muttel eine andere Operation machen und zwar Nervqwetschung. Am rechten Schlüsselbein wurde ein Schnitt gemacht und so wurde auf der rechten Seite die Operation vollzogen.

Mutti schrieb mir. Alles gut abgelaufen. Wir waren alle heil froh. Doch das Unglück verfolgen sie weiter. Nach längerer Zeit, war Mutti, als ich sie besuchte, niedergeschlagen. Sie sagte, Vati, es hat alles nichts genützt. Mir ist alles aufgegangen. Mir ist nun schon wieder was Neues angeboten worden. Die Plastik, (Rippenkürzen). Das hat aber unser armes Muttel abgelehnt. Ich konnte ihr wenig Rat geben. Aber sie hatte schon zu viel durchgemacht, und auch gesehen. Im Frühjahr 38 wurde Mutti auf ihren Wunsch als ungeheilt entlassen. Es ging auch ganz schön. Nur der Husten plagte sie oft. Mutti sang gern. Aber es ging nicht gut. Aber ihren guten Humor hat sie bald bis zuletzt nicht verloren. Auch nicht ihren Arbeitswillen. Es ging alles ganz gut. 1935 Weihnachten war sie in Dresden. 1936 haben wir zusammen alle 4 zum 1. Mal hier in der Siedlung verlebt. Denn Gitti war ja auch schon da. 1937 Weihnachten war Mutti in Coswig. 1938 haben wir wieder hier zusammen verlebt.

Und nun 1939 Weihnachten ist unsre liebste Mutti nun für immer von uns gegangen. Glaubt mir, lieber Dietmar u. Günter, mir ist alles wie ein Traum. Kann es immer noch nicht fassen. Mir ist, als ob Muttel wieder zur Kur wäre, so sehr habe ich mich daran gewöhnt. Oftmals sagte sie mir, glaub mir, Vatel, ich gehe auch mal so zeitig wie meine Mutter. Wenn nur unsre beiden Jungens wieder eine gute Mutti bekämen. Mir aber brach es bald das Herz entzwei, bei ihren reden, und schaute mich oft so betrübt an. Es war schwer für uns beide zusammen.

Nun ist das gute Muttel für immer von uns gegangen. Kurz zuvor, als sie sich legte, ich war in Arbeit, war Gitti auf den Wassertrog gestiegen, abgerutscht u. ins Wasser gefallen. Lieber Günter, kurz vor ihren Tode, hat dich dein liebes Muttel noch vor dem Ertrinken gerettet. Dieter hatte mächtig geschrieen.

Ich habe niemals ein Fluchwort von ihren Lippen gehört. Aber ihren guten Humor hat sie bald bis zuletzt behalten.

Am 1. Sept. 1939 brach der Krieg gegen Polen aus, in den Polen in 18 Tagen von Deutschland überrannt wurde. Ich laß jeden Abend aus der Zeitung vor. Mutti hatte großes Intresse daran. 5800 Volksdeutsche wurden ermordet auf Anstiftung Englands. England u. Frankreich erklären uns den Krieg. Mutti sagte oft: Vati, wenn du noch fort mußt, ich überlebe das nicht. Glaubt mir, meine lieben Kinder, unsre liebe Mutti wäre so u. so von uns gegangen. Wir wollen ihr die Ruhe gönnen, denn uns steht wahrscheinlich noch eine sehr böse bevor. Was bis heute an Krieg war, waren nur kleine Sachen. Der strenge Winter, wie wir ihn bis jetzt noch niemals gehabt hatten, ließ keine großen Kampfhandlungen zu. Als der Winter eintrat lebte euer gutes Muttel noch. Sie sagte noch zu euch, als du Dietmar u. Günter aus den Bett kamt. Guckt doch mal zum Fenster raus, draußen ist alles weiß. Das war natürlich für euch etwas Neues. Und heute, am 24.2.40 hat es mächtig gedauht. Eine Kälte bis 30 Grad wochenlang u. hoher Schnee.

(...) sehr große Erfolge gehabt. Nun geht langsam der Schnee, und so auch Mann für Mann zur Wehr. Zur Stammrolle bin ich schon gewesen, bald geht es zur Musterung, dann zur Ausbildung, dann an den Feind. Hoffentlich bekommt der Engländer einen Strich durch die Rechnung, als wie im letzten Kriege von 1914-18. Damals hatten wir eine schreckliche Hungersnot durchzumachen. Muttis Eltern hatten genau so wenig zu essen, wie meine für ihre Kinder. Wir waren gerade im wachsen. Unsere Generation war, von fast einen Jahr lang, nichts als Kohlrüben, mächtig zurückgeblieben.

Mutti hätte gern noch gewußt, wie der Krieg endet. Der strenge Winter, sowie der Krieg, wäre für euer liebes Mütterlein mit ihren schweren Leiden nichts gewesen. Das hätte sie doch noch zermürbt. Keine liebe Frau, außer meiner Mutter, wird um mein Leben bangen, wenn ich mit draußen stehe. Ihr kleinen Kerle versteht es noch nicht. trotz der kurzen Zeit, muß ich nun Umschau halten, nach einen Ersatz unsrer lieben Mutti für euch. Denn was soll werden, wenn ich eingezogen werde? Ich kann die Siedlung und euch zwei Jungens nicht den Eltern überlassen.

Nächste Woche werde ich gleich den Nachlaß von eurer lieben, unvergeßlichen Muttel vor Gericht bringen. Damit ihr nicht Mittellos dasteht, im 21. Lebensjahr. Ich glaube nun, am Ende meiner Aufzeichnungen zu sein. Ihr lieben Jungs Dieter u. Günter. Im Falle, das ich mit an die Front muß u. vielleicht bleiben sollte, dann wäret ihr recht zeitig Vollweisen, was wir aber nicht hoffen wollen. Dann wünsche u. hoffe ich, das ihr beiden ein paar rechte Männer werdet, im Sinne, wie es eure Eltern wollten. Ist es mir jedoch vergönnt, euch groß zuerziehen, dann will ich mein allermöglichstes tun, aus euch ein paar rechte ehrliche deutsche Männer zu machen. Eure liebe Mutti sage oft: Ich möchte auch aus unseren beiden Jungs ein paar guterzogene Jungs haben, auf die man sich verlassen kann. Und ich gebe ihr noch das Versprechen mit in die Ewigkeit, das ich alles nach ihren Sinn durchsetzen will.

geschrieben im Febr. 1940

Radeberg, Euer lieber Vater Willi Klaus. Randsiedlung

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