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 1991-06-07 hh:mm
Tagebuch von unserer ersten Deutschlandreise nach dem Mauerfall
Juni 1991
Von Margit Bräuer


Freitag, 07.06.1991
Am Vorabend unserer ersten Reise durch Deutschland beginne ich mein Tagebuch mit einem kleinen Vorspann.
Endlich, seitdem wir unser schönes Dresden noch im September 1989 verlassen haben und unseren Aufenthalt in Bayern wählten, fahren wir das erste Mal wieder in die Ferien, drei volle Wochen Urlaub in ganz D e u t s c h l a n d ! ! !

Die Zeit von unserer „Flucht“ am 25.09.1989 bis jetzt war wahnsinnig turbulent gewesen, so daß man sich im Nachhinein fragen muß: „Was kann der Mensch nicht alles in verhältnismäßig kurzer Zeit verarbeiten – ohne dabei Schaden zu nehmen?“
Die Gründe zur Flucht, die Vorbereitungen dazu, die Flucht des einen Sohnes über Ungarn, die geplante Ausreise des älteren Sohnes mit Frau und zwei kleinen Kindern, das Zurücklassen und die spätere Übersiedlung meiner Mutter, die familiären Probleme bei der Wahl des neuen Bundeslandes als Lebensumfeld, waren schon schwerwiegend genug.
Und, was wohl keiner vermutet hatte, begannen nun, nachdem so viele DDR-Leute die Flucht ergriffen hatten, die politischen Umwälzungen in Deutschland. Interessiert verfolgten wir damals diese einschneidenden Ereignisse jeden Abend an einem winzigen schwarz-weiß Fernseher in unserem kargen Zimmer einer Pension. Wie oft sagten wir: „Jetzt, wo wir weg sind, ist endlich etwas los und wir sitzen hier und müssen tatenlos zusehen!“

Nachdem wir dann glückliche Besitzer einer Wohnung (ohne jede Einrichtung) waren, bekamen wir, weil nun die Grenzen geöffnet waren, ganz oft Besuch. Bekannten, die ihr erstes Westgeld in den Händen hielten, boten wir eine Schlafstelle, die allerdings nur aus Luftmatratzen bestand. Jeden Abend wurde bis in die Nacht hinein diskutiert und der spektakuläre Mauerfall gefeiert.
Ehemalige Mitschüler unseres jüngeren Sohnes reisten an und baten um Unterkunft, bis sie etwas Eigenes gefunden hatten. Bis an die zehn Jugendliche blieben davon im Westen und waren dann oft abends unsere Gäste.



So sah der Neubeginn in Bayern für uns aus

Zu allem kam nun natürlich noch das umgehende Eingliedern in die neue Arbeitswelt. Arbeit bzw. Umschulung zu bekommen waren keine Probleme gewesen. Allerdings machte uns die Anpassung an westliche Arbeitsbedingungen schon Schwierigkeiten, und, woran wir überhaupt nicht gedacht hatten, das war der bayerische Dialekt. Ich verstand im Büro nicht, wer am Telefon war, noch was Derjenige wollte, geschweige denn, wußte ich, mit wem ich ihn an der Vermittlung verbinden sollte. Mein Mann und meine Söhne machten in der Arbeitswelt ähnliche Erfahrungen. Ebenso erging es allerdings den Bayern auch mit unserem Sächsisch.

Bisher hatten wir uns noch keinen Urlaub leisten können. Aber jetzt ist es endlich soweit! Morgen früh beginnen wir unsere Fahrt durch Gesamtdeutschland. Jetzt wollen wir damit beginnen, das kennenzulernen, was uns vierzig Jahre vorenthalten wurde.
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Kommentare

15:43 04.08.2012
neues Tagebuch von mir "Immer weiter..." unter meinem Namen "staunistauni" schreibe ich gerade täglich ein. MfG stauni
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01:08 01.03.2012
ist aber schade, daß Du seitdem gar nichts mehr geschrieben hast...
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01:01 01.03.2012
schön zu lesen
schade, dass eure reise nicht länger dauerte
Good luck!
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16:06 11.01.2012
Hallo Bonnie, danke für die netten Worte. Es war mir damals einfach ein Bedürfnis, meine Erlebnisse nieder :zu schreiben. Habe 2009 ein Buch über die Umstände der Ausreise/Flucht unserer gesamten Familie (Eltern um die 50, keine Rückkehr nach Verwandtenbesuch), ein Sohn 19 über Ungarn, ein zweiter Sohn mit Frau und zwei Kleinkindern über offiziellen Ausreise geschrieben.
Falls Du Interesse hast, kannst Du es bei amazon.de bestellen.
Zu finden unter: Margyt Brewer "Immer weiter...immer weiter",
ISBN 978-3-86870-094-7
Viele Grüße stauni
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13:22 11.01.2012
Prima, noch ein Leser... Euch beiden einen schönen Tag...

B. Doon
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10:23 11.01.2012
finde ich auch sehr interessant !!!
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10:16 11.01.2012
Liebe Margit,

vielen Dank, daß Du Deine Gedanken über Eure große Umbruchzeit hier mir (ich weiß nicht, ob es jemand anders wirklich wahrnimmt...) mitgeteilt hast.

Ein Neubeginn für Euch, der nun auch schon wieder soooo lange zurückliegt. Respekt für Euren Mut.

Auch vielen Dank für den interessanten Einblick in Euren Alltag (so ein Photo zeigt ganz genau diese veränderte Zeit). Das ist Alltagskultur UND ein Zeitdokument.

Gern lese ich mehr von Dir, falls Du mal wieder etwas einpflegen möchtest.

Sei gegrüßt

Bonnie Doon
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