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2018-04-27 11:52
Stigmatisierung psychisch Kranker im 21. Jh.

 

 

„Liebe Frau E. (…) wir werden uns also an dem Tag das letzte Mal sehen, an dem ich Ihnen diesen Brief hier gegeben habe.“


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- Auszug aus meinem Blog (gezaehltetage) auf Wordpress.

Ihr Lieben... ich bin wieder lange untergetaucht gewesen. Das liegt zum einen daran, dass ich meinen eigenen Blog habe, in dem ich regelmäßig schreibe und zum Anderen, dass ich vier Monate in der geschlossenen Psychiatrie untergebracht war. (15. Dez. 17 bis 19. April 18) Diesen Eintrag aus meinem Blog wollte ich mit euch teilen

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Heute, als ich vor der Arbeit nochmal den Arbeits-Laptop kontrolliert habe, den ich für den Home-Office bekommen habe, fand ich eine Glassicht Hülle mit „Unterlagen“. Diese Unterlagen – ha, dass ich nicht lache – haben mir einen tiefen Schmerz in der Magengegend versetzt.

Es waren einige Abschiedsbriefe, die ich am 11.12.2017 geschrieben habe. Darunter einer an meine Mutter… und einer an Frau E. Die Psychologin, die ich hier schon einmal erwähnt habe, in der „Davor-Zeit“.

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Davor-Zeit: Zeit vor der Klinik [„keiner kann mir helfen, ich weiß nicht was ich habe, niemand versteht mich, ich will sterben“]

Danach Zeit: Zeit nach der Klinik [„es könnte Fachleute geben, die mich verstehen, (def. aber nicht diese menschenverachtenden Psychiater in der Psychiatrie) ich weiß jetzt, wo mein Problem liegt, (es versteht mich zwar immer noch kaum jemand), ich will nicht sterben“]

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Ich habe ihr den Pseudonym „Nina“ gegeben.

Ich hätte die Briefe einfach zerreißen und wegschmeißen müssen, aber dummerweise … habe ich bis dahin nicht so weit gedacht, und den an Nina schon durchgelesen.

Das war ein komisches Gefühl. Jedes Mal, wenn ich mit der Davor-Zeit konfrontiert bin, egal ob durch Fragen, Erinnerungen oder eben solche Sachen, dann werde ich wehmütig. Ich weiß, total das seltsame Wort in Anbetracht dessen, wie hoffnungslos ich war.

Aber die Wehmut ist gar nicht auf die negative Seite dieser Zeit bezogen. Die Davor-Zeit bestand ja nicht bloß aus dieser Hoffnungslosigkeit. Die Wehmut stammt eher daher, dass ich in der Davor-Zeit ein Ziel hatte.

Es mag zwar der Tod gewesen sein, ja, aber diese Entscheidung, die ich damals getroffen habe, hat mich so unglaublich erleichtert. Sie hat mir so eine Last von den Schultern  genommen. Jeder Atemzug fühlte sich freier an, nicht wie in Blei getränkt, mein Herz schlug leichter, meine Tage wurden heller, denn ich hatte ja eine Aussicht auf Ende, dieser ganzen Scheiße (in der ich ja heute immer noch drinnen stecke, aber eben in anderer „Form“). Mir war klar, dass etwas passieren musste, damit das aufhört, und da mich niemand verstehen konnte/wollte, mir alle Therapien die ich suchte das Gefühl gaben, ein hoffnungsloser Fall zu sein, sah ich keine andere Möglichkeit als den Tod.

Ich will niemandem die Schuld geben, aber der Fehler, dass alles schlimmer wurde, ich keine funktionierende Therapie fand etc., lag nicht bloß an mir!

Keiner der Psychiater oder Therapeuten kam jemals auf die Idee, mich mal zu testen, genauer hinzuhören, weniger in Schubladen zu denken. Diejenigen die wussten, dass ich mit einer Borderline-Diagnose bei ihnen landete, fingen automatisch mit der DBT-Therapie an – und wunderten sich, dass sie selbst nach sieben Jahren bei mir einfach nicht funktioniert? Herrgottnochmal! Man müsste glauben, dass im 21. Jahrhundert die Fachleute etwas weniger mit Stempeln denken, aber die Stigmatisierung ist in der Hinsicht um keinen Deut besser geworden. Hauptsache Patienten nach Schema-F abarbeiten. Und wenn es nicht funktioniert, liegt es natürlich ausschließlich am Patienten.

Es gab so viele Anzeichen darauf, die mir eine „richtige Diagnose“ (falls es so etwas überhaupt gibt), hätten einbringen können. Oder zumindest eine, mit der ich durch eine andere Therapie-Form hätte mehr anfangen können – eine, die mich viel weitergebracht hätte.

Man kann einen Diabetiker ja auch nicht mit einem Hustensaft behandeln.
…kann man schon. Bringt aber halt so ungefähr gar nichts.

In der Hinsicht muss ich sagen, dass ich gottfroh bin um das Internet. Denn erst durch meinen allerersten, heftigen Blackout in der Klinik, habe ich mich ans Internet gewendet.

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Kurzer Rückblick an den Blackout:

Ich wurde wach, als mir Wasser in die Lunge lief und ich hustend nach Halt suchte, obwohl ich auf dem Boden lag. Mit Klamotten, Dusche an, Wasser mind. 5 cm hoch stehend, weil ich auf dem Abflusslag.
Ich bin quasi aus einer vollkommenen Schwärze erwacht.
Als ich mich nach dem Schock (ich zitterte am ganzen Körper, habe erst ewig gebraucht, bis ich überhaupt das Wasser mal ausmachen konnte). Weder wusste ich, wie lange ich im Wasser lag, noch wie ich da hingekommen bin und wieso.
Als ich aus dem Bad trat, spiegelte der Boden im ganzen Zimmer. Es stand komplett unter Wasser. Der Schock wurde noch schlimmer, mein Zittern, ich musste mich wieder hinknien, weil mich meine Beine nicht mehr tragen konnten. Vor panische Angst, welchen Ärger ich jetzt bekommen würde, war ich wie gelähmt. Ich wusste nämlich ganz genau, dass wenn sie das mitkriegen, mir wieder unterstellen, dass ich das alles mit Absicht getan hätte, um Aufmerksamkeit zu bekommen – ein Indiz mehr, mich in die Borderline-Schublade zu stecken. Ich saß noch ewig am Boden, weil ich nicht wusste, was ich tun sollte. Ich wollte das alles selber irgendwie wieder sauber machen, das Wasser raus kriegen, aber dafür hätte ich irgendwas gebraucht, und das alles musste ich bei den Pflegern anfragen. Sie hätten wissen wollen, wozu ich das brauche. Egal welche Möglichkeiten und Optionen mir kamen, wie ich es drehte und wendete (Handtücher habe ich bloß zwei, ich hätte mindestens ein Dutzend gebraucht, Eimer gibt es auch nicht, und meine Zeit, das wieder in Ordnung zu bringen, war auch bloß begrenzt), ich hatte keine andere Wahl, als mir Hilfe zu holen. Weil ich aber so fertig war, rief ich vorne an, die Pflege kam. Eine Pflegerin ging freundlich mit mir um. Sie reagierte gar nicht großartig darauf (ich war unfassbar dankbar dafür). Die andere hingegen zickte und pflaumte mich an.
Nachdem ich mit ihnen zusammen das Wasser mit so komischen Schiebern wieder ins Bad geschoben habe, sollte ich mich nach vorne in die Gruppe setzen. Das war das letzte, was ich gebrauchen konnte, deshalb setzte ich mich zwar aus an den Gang ließ aber meine Tür speerangelweit offen (so dass man mich nicht sehen konnte), und setzte mich an die Wand vor mein Zimmer. Ich war noch völlig unter Schock und konnte nicht verstehen, was passiert war.
Es wurde nie mit mir darüber gesprochen, keiner hat mir Antworten auf meine Fragen gegeben. Wie ich befürchtet hatte, hatten sie auch diesen Vorfall als Aufmerksamkeits-Aktion abgestempelt.

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Nach diesem Blackout wandte ich mich ans Internet. Ich weiß nicht mehr, wie ich ausgerechnet auf ein „Dissoziations-Forum“ gekommen bin. Irgendjemand hat mir den Link dazu geschickt – aber ich weiß auch nicht mehr wer.

Ich schilderte meine Situation offen und ehrlich:

   •  weshalb ich in die Klinik kam

   •  mit welcher Diagnose ich hier bin (die ich seit meinem 14. Lebensjahr habe, es aber erst seit Januar 18 weiß)

Außerdem erzählte ich:

   •  von den Visiten, an die ich mich danach nicht mehr erinnern konnte (als Beispiel den Vorfall als ich Frau Beier, die Psychologin, darum bat mir Entlassungspapiere auszuhändigen, sie dann aber ganz verdutzt vor mir stand und sagte: „Sie haben gerade in der Visite gesagt, Sie würden sich umbringen, sobald sie hier raus kommen. Und jetzt möchten Sie entlassen werden.“ Und ich, völlig verwirrt, als würde sie mich auf den Arm nehmen wollen: „Nein, das habe ich nicht!“ Und sie, als würde ich sie verarschen: „Natürlich. Das haben sie gerade eben, vor 30 Minuten in der Visite ausdrücklich gesagt.“ – Hi, Vivi . Wenn ich zu dem Zeitpunkt schon gewusst hätte, „was“ in mir drinnen so alles lebt, hätte ich diese seltsame Situation verstanden)

   •  von den Dingen die passierten, die mir Patienten oder Pfleger erzählten, etwas getan oder gesagt zu haben, woran ich mich nicht erinnern kann

   •  das Geld das ständig aus meinem Geldbeutel fehlte und ich behauptete, ich würde beklaut werden, bis mir im Februar Dank Sina klar wurde, dass ein Anteil von mir regelmäßig Klamotten shoppte… (und dann auch noch welche, die ich im Leben niemals tragen würde! -.-)

Etc. pp.
Das war die Kurzfassung.

Es kamen immens viele Rückmeldungen, die mir die Sprache verschlugen. Mehrere Leute schrieben, dass bei ihnen genau dasselbe „Dilemma“ vorgefallen sei. Klinikaufenthalte, erfolglose Therapien, Diagnose BPS (Borderlinepersönlichkeitsstörung) oder PTBS (Posttraumatische Belastungsstörung) – apropos, das war auch die erste Diagnose die die Gutachterin schließlich im Februar bei mir stellte, bevor sie beim zweiten Besuch noch die Dissoziative Amnesie hinzufügte. Oder irgendwie so – zeitlich ist bei mir alles verschoben.

Und mindestens 80 % der antworten wiesen mich darauf hin, mich dringend mit einer Traumaberatungsstelle in Verbindung zu setzen. Die Leute, die selbst mit DIS diagnostiziert waren, schrieben mir in den Kommentaren, dass sie zwar keine Ferndiagnose stellen können, schon gar nicht, weil sie keine Ärzte sind, aber dass sie das alles an sich selbst erinnert und sich für sie stark nach einer DIS anhört. Andere sagten, man solle mich nicht verrückt machen, es könne auch „bloß“ eine DDNOS (dissoziative Störung, die nicht näher spezifiziert ist) sein kann.

Natürlich googelte ich nach dieser DIS Abkürzung und las, dass das ein anderes Wort für eine Multiple Persönlichkeitsstörung ist. Allein deshalb habe ich mich schon nicht weiter damit auseinander gesetzt.

Ich bin nicht der Typ, der Krankheiten googelt. Ich habe nicht einmal das Buch von „Siddharta“ bis zum Ende durchgelesen (ich fand es total klasse!), weil ich mich nicht in meiner Lebenseinstellung beeinflussen lassen wollte. So war ich schon immer. Auch als Kind habe ich z.B. den Religionsunterricht nicht ausstehen können, weil ich Predigten und so eine manipulative Beeinflussung und Gehirnwäsche nicht leiden kann. Das ist bei Krankheiten und Diagnosen nicht anders. Ich weiß nämlich genau, dass wenn ich mich damit auseinandersetzen würde, was eine DIS genau ist, würde mich das beeinflussen und ich würde mir am Ende einbilden, das wirklich zu haben. Und ich wollte es nicht haben. Weder eine DIS, noch eine DDNOS oder sonstwas.

Deshalb las ich dann auch das Buch der Borderliner, das mir die Oberärztin mal in die Hand gedrückt hatte. In der Hoffnung, das passt. Borderline wird schon passen. Das kann man wenigstens behandeln, oder zumindest kann man damit leben. Denn wenn ich eins über diese DIS ziemlich schnell herausfand war, dass es kaum Psychologen oder Ärzte gibt, die sich damit auskennen – geschweige denn, daran „glauben“.

Ich weiß es ist dumm und vielleicht auch respektlos den Menschen gegenüber, die eine BPS haben (die sich vielleicht wünschten, das nicht zu haben)… aber dieser DIS-Scheiß hörte sich für mich an wie ein Abstieg in die Hölle.

Aber egal was ich in diesem BPS-Buch las, es stimmten bloß wenige Sachen mit mir überein – und mit denen hätten sich auch kerngesunde Menschen identifizieren können.

Als ich das Buch durchgelesen habe, mich knallhart selbstreflektierte, jedes einzelne Kriterium bis ins Detail auseinander nahm und mich analysierte, war ich mir absolut sicher: Ich habe alles, aber definitiv keine BPS.

Dass ich das den Ärzten nicht sagen brauchte, weil sie ja sowieso felsenfest von ihrem Wissen und Können überzeugt sind, war mir klar. Trotzdem versuchte ich es. Wie auch hier schon erwartet, wurde es gekonnt überhört. Nie wurde auch nur eine einzige Testung gemacht.

Na gut.

Aber irgendwas kann ja nicht mit mir stimmen, dachte ich mir immer wieder. Ich versuchte mich nicht damit auseinander zu setzen, mit all den Diagnosen und Theorien etc. Die Oberärztin fing ungefähr in dem Zeitraum auch an, mich als krankhafte Lügnerin zu beleidigen (das erfuhr ich über meine gesetzliche Betreuerin, einigen Pflegern und der Richterin). Mir gegenüber drückte sie das durch die Blume aus: Ich bilde mir das alles bloß ein, eigentlich bin ich ein gesunder Mensch und habe (plötzlich) gar nichts.

Aha, dachte ich mir ironisch, erst eine aufmerksamkeitsgestörte Borderlinerin und plötzlich eine kerngesunde junge Frau? Wer ist hier jetzt der Borderliner von uns beiden? Von einem Extrem ins Andere.

Ob sie mich wirklich als „krankhafte Lügnerin“ bezeichnete, weiß ich nicht. Natürlich hätte ich die Oberärztin gerne selber darauf angesprochen, aber sie redete ja nie mit mir. Und warum sollten mich meine gestzl. Betreuerin, die Gutachterin, die Richterin UND letztendlich sogar mein Direktor belügen? Sie wirkten alle sehr sauer und aufgebracht – das kam mir nicht so vor, als würden sie sich das ausdenken oder bloß etwas falsch verstehen.

Wie auch immer, es blieb mir also nichts anderes übrig, als mich selbst auf die Suche zu machen, was nicht mit mir stimmen könnte. Ich rief in Kliniken an, bekam Adressen von der besagten Psychologin, mit der ich die letzten sechs Jahre sporadisch durch meine beste Freundin Kontakt hatte – die leider nicht meine behandelnde Psychologin ist (ich glaube, wäre ich vor sechs Jahren einfach bei ihr geblieben, sähe mein Leben heute um einiges einfacher aus). Eine der Entscheidungen, die ich am meisten in meinem Leben bereue. Aber es hat ja alles seinen Grund, sagt man doch. Sollte wohl so sein.

Während ich mich an eine ziemlich bekannte psych. Psychotherapeutin wandte, Nummern von weiteren Traumapsychologen von Traumakliniken empfohlen bekam, mich versuchte mit dem Traumahilfezentrum zu verbinden, passierten immer mehr Dinge, die mir absolut suspekt erschienen. Unter anderem eben die verschiedenen Handschriften, Bilder, die mittlerweile ab und an Erinnerungslücken, die mir sogar auffielen.

Irgendwie kam es mir so vor, als würde mir jede Hilfe verwehrt. Das Traumahilfezentrum konnte mir auch bloß richtig weiterhelfen, wenn ich aus der Klinik rauskäme, die Nummern der Psychologen die ich bekam, waren alle (ausschließlich zwei) für Selbstzahler (genau, als könnte ich mir wöchentlich eine Stunde für 70 Euro leisten!)… die mit Krankenkassenzulassung waren voll, nahmen mich nicht einmal in der Warteliste auf.

Ich dachte, ich werde verrückt. Und weil mich das nur noch mehr verzweifelte, gab ich auf.

Stattdessen lernte ich dann eben „Tanja“ im Internet kennen. Eine Ehefrau und Mutter von zwei Kindern, die noch gar nicht so lange auf DIS diagnostiziert wurde und die trotzdem all die Jahre ihr Leben hat leben können, ohne dass das jemandem auffällt.

Sie war die Einzige, mit der ich sprechen konnte, die mich verstand, mit der ich mich austauschen konnte, weil sie sehr ähnliche Erfahrungen machte wie ich. Manchmal hatte ich das Gefühl, sie könnte aus mir lesen, ohne dass ich etwas sagen muss. Sie beendete meine Sätze – ich manchmal ihre.

Erst als sie einmal am Telefon plötzlich lange ruhig war und ich fragte: „Bist du noch da?“ Und sie sagte: „Ja, aber du warst weg“, wurde mir klar, dass diese Ärzte hier tatsächlich alle berufsblind sind – dass es vielleicht doch sein kann, dass ich irgendwas in die Richtung einer DDNOS habe, denn sie sagte noch: „Ich habe gerade jemanden kennen gelernt“ – und lachte freundlich.

Sie war die erste Person, die einen meiner Teilpersönlichkeiten „gefunden/entdeckt“ hat – über das Telefon! Ich hätte ihr als diese „andere Person“ von den Ponys erzählt, von einem Café in München und den Besitzerin dieses Cafés. Sie wusste Namen, Orte und Dinge, die sie nicht hätte wissen können, wenn ich nicht davon erzählt hätte. ICH konnte mich nicht ein kleines bisschen daran erinnern, dass ich das je erwähnt hätte – ich selbst habe an dieses Café schon seit Jahren nicht mehr gedacht – geschweige denn an ihre Besitzer.

Wenn ich im ersten Moment dachte, sie will mich jetzt „verrückt“ machen und „anlügen“ (immerhin ist sie ja doch auch „nur“ jemand aus dem Internet, man kann sich nie sicher sein) – war mir spätestens nach all dem, was sie plötzlich über mich wusste klar, dass sie die Wahrheit sagte: Sie hatte „Bekanntschaft“ mit einem meiner Teilpersönlichkeiten gemacht.

Nach ihr war es Sina, die mich darauf ansprach. Ich wäre nicht ich gewesen. „Also, du warst schon du, aber irgendwie nicht… du hast anders geredet, du mochtest andere Sachen… das warst einfach nicht du!“

Und erst nachdem ich diese Aussagen hatte – diese „Beweise“ – darunter von einem Menschen, dem ich blind vertraue, fing ich an, mich auf diese DIS Sache einzulassen, es einfach zu versuchen. Vielleicht stimmte das ja wirklich.

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Zur Anmerkung:

bis heute habe ich noch nie nach der DIS gegoogelt oder etwas darüber gelesen. Alles, was ich weiß, weiß ich durch Austausch von Tanja. D.h.: Wenn mir etwas seltsam vorkam, fragte ich sie oder eine Psychologin, mit der ich mich gut verstehe, dir mir oft gute Erklärungen geben konnten, die mich nicht so verwirrt zurückließen.

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Tanja war auch diejenige, die mir den Tipp gab, meine „Anteile“ anzuschreiben, wenn ich mehr über das System in mir herausfinden möchte.

Es widerstrebte mir, denn mir kam das zu verrückt vor. Lange habe ich ihren Vorschlag nicht beherzigt. Bis ich dann doch mal in den Block schrieb.

Natürlich kamen keine Antworten – zumindest nicht auf meinen Text bezogen. Aber dafür immer häufiger so etwas wie „Tagebucheinträge“.

Die Schriften im GTB tauchten auch im Block auf und erzählten völlig unabhängig voneinander von gewissen Situationen. Mir fällt gerade spontan auch nichts ein – das waren so viele, ich konnte sie mir unmöglich merken. Zumindest füllten sich meine Tage mit Erzählungen von diesen Handschriften/Teilpersönlichkeiten. Meine Erinnerungslücken waren zwar immer noch Erinnerungslücken, aber sie wurden zumindest mit „Bildern/Szenen/Erzählungen“ gefüllt, die ich mir zwar vorstellen konnte, mir aber dennoch keine Erinnerung daran kam, so dass ich mich jedes Mal beim Lesen dieser Einträge fragte: „Ist das wirklich passiert?“

Erst seit Neustem: Seit ganz genau dem 12.04.18 funktioniert die Kommunikation im Block so, dass ich meine Persönlichkeitsanteile manchmal auch auf die Texte der davor geschriebenen Texte von anderen Persönlichkeitsanteilen beziehen – oder auf Fragen, die ich stelle. Dabei fällt mir auf, dass es Persönlichkeitsanteile gibt (ganz sicher unter anderem „Vivi“), die ganz bewusst bestimmten Fragen ausweichen. Andere geben mir hingegen mehr Auskunft – sogar auf Fragen, die ich gar nicht stellte. Es gibt Anteile, die wissen mehr, es gibt Anteile, die kapieren überhaupt nicht, wieso sie überhaupt „entstanden“ sind. Genauso wie ich durch einen Anteil in mir, den ich persönlich „Summer“ nenne, den Sommer liebt. Summer weiß angeblich, wie man sich um einen Garten kümmert (wovon ich zum Beispiel selbst nicht den leisesten Dunst habe), sie liebt es im Sommer – vor allem in Ungarn (weil da haben wir einen Gemüsegarten, der mich immer herzlich wenig juckt), da würde sie sich angeblich oft um dieses Gemüse kümmern. Das hätte sie von meiner Oma gelernt. Als ich das gelesen habe, musste ich weinen, denn sie schrieb „Mamám“ – das Ungarische Wort für Oma – so, wie ich sie ja immer nannte, ein Wort, mit dem ich viel Liebe verbinde. Und ich musste weinen, weil mir aufging, dass Summer schon lange „existiert“.Laut ihren Aussagen hat sie schon als Kind von meiner Oma gelernt, wie man richtig schält, putzt und sich eben um das Gemüse im Garten kümmert. Sie wüsste sogar das Geheimrezept für Mamám’s furchtbar leckeren Pfannkuchen. Was heißt, dass meine liebste Oma eine Teilpersönlichkeit kannte. Ich weiß nicht, wieso mich das so bewegt. Ich habe irgendwie das Gefühl, diese Persönlichkeitsanteile in mir seien etwas ganz Intimes… und irgendwie fühlt sich das für mich so besonders an, dass meine Oma einen Anteil in mir kennenlernen „durfte“.

Summer erzählte mir noch sehr viel mehr in diesem Text. Und ich muss sagen, sie ist mitunter eines der mir am sympathischsten Persönlichkeitsanteile in mir. Sie erinnert mich an eine Art „Ruhepol“.

Hier verband ich schließlich die Gespräche mit vielen Freunden, Bekannten oder Verwandten von mir, die immer sagten, ich würde so eine immense Ruhe ausstrahlen. Vor allem diese heftige Situation mit Lara (52), mit ihrer kleinen Tochter (9), die ich ja seit zwei Jahren kenne. Als sie beim Essen mal mitten im Satz anfangen musste zu lachen und sagte: „Wahnsinn, Mi, du strahlst du eine Ruhe aus, ich muss mich selbst fangen, dabei bin ich nicht gerade eine hektische Person.“ (dazu schrieb ich schon einmal einen Beitrag, noch in der Davor-Zeit).

Das waren so Aussagen, über die ich immer herzlich lachen musste – ich und ruhig? Diese zwei Wörter dürfte man nicht einmal in einem Duden zusammen finden. Ich bin der vielleicht ungeduldigste Mensch den es gibt, lache viel rede gerne…

Seit diesem Eintrag sind mir tausende Lichter aufgegangen. Diese Ruhe, die andere in mir sehen, stammt nicht von mir – sondern von „Summer“. Sie selbst schrieb auch, sie sei nur selten im Vordergrund – wenn meine Freunde Trost brauchen zum Beispiel – oder eben in Ungarn, wenn sie sich um den Garten kümmern kann. Ich selbst würde von mir behaupten, ich kann überhaupt nicht trösten. Ich kann zwar zuhören, aber mir fehlen oft die passenden Worte und ich weiß meistens auch nicht, was ich tun soll. Summer hingegen meinte, sie könnte sehr gut trösten.

Hier ging mir das Licht auf, wieso sich immer wieder so viele Menschen an mich wandten/wenden, wenn es ihnen nicht gut ging/geht. Sie suchten nicht meinen Trost, sondern den von Summer. Denn mir war das schier nicht ersichtlich, wieso sich immer alle bedankten, wenn sie bei mir waren und es ihnen nicht gut ging.

So bin ich beim aktuellsten Stand.

Dem „Heute“.

Mir wurde klar, dass ich diese Sache nicht ignorieren kann – das funktioniert einfach nicht. Mir wurde auch klar, dass ich mich sehr wohl damit befassen kann, es aber nicht übertreiben darf, denn ich habe nun einmal zurzeit keine professionelle Unterstützung, die mich im Ernstfall mal auffangen kann. Ich habe Tanja und die Psychologin, aber bei beiden fühle ich mich nicht besonders wohl, weil mich Gewissensbisse plagen, wenn ich sie kontaktieren „muss“ (ich versuche das nur im äußersten Notfall, auch wenn Tanja sagte, sie wäre für mich da, wenn ich sie brauche, und auch wenn ich von der Psychologin weiß, dass sie mir immer helfen wird, solange es geht).

Aber die Gewissensbisse sind trotzdem da, denn:

Tanja ist selbsterklärend: Sie hat den Job einer Mutter und einer Ehefrau, muss sich gleichzeitig mit ihrem Thema beschäftigen, um die Sorgen ihrer Kinder.

Was die Psychologin hingegen: Sie hilft mir ohne auch nur einen Cent dafür zu kriegen, denn sie ist ja Kinder- und Jugendpsychologin und die Krankenkasse würde mich nicht mehr „annehmen“ nachdem ich ja im Dezember 21 geworden bin. Trotzdem nimmt sie sich manchmal eine Stunde lang Zeit, um sich mit mir zu „beschäftigen“, hat mich sogar einmal angerufen, oder mir Sprachnachrichten geschickt – ihre Hilfen und Vorschläge sind unsagbar wertvoll.

Ich wüsste gar nicht, was ich ohne die beiden wäre.

Auch in der Klinik gab es einige Leute, die mir immens weitergeholfen haben (Sina und *Kerstin zum Beispiel).

Aber jetzt bin ich im „Heute“. So wie ich Morgen auch im „Heute“ sein werde. Es wird weitergehen. Ich weiß es. Ich weiß auch, dass mich noch viele Zusammenbrüche einholen werden. Ich spüre das, und es ist auch gar nicht zu leugnen (so sehr ich das auch möchte und Angst davor habe), mit all den Erinnerungen, die Vivi mir „schickt“. So drücke ich das zurzeit aus, denn anders kapiere ich nicht, wo mir all diese Sachen aus meiner Kindheit plötzlich auftauchen, die (anders als bei den Erzählungen von den Erinnerungslücken in der Klinik) auch Gefühle in mir auslösen. Wie neulich eben diese paranoide Angst (nennt man das so)? Diese Todesangst, die mir ab und zu im Nacken sitzt, wenn ich jetzt im Dunkeln an Wäldern vorbeilaufen muss, ich Holzverkleidungen sehe. Dann eben diese Einbildung oder dieses Gefühl, dass die ganze Zeit jemand plötzlich in meinem Schrank, auf dem Balkon, im Bad oder vor der Zimmertür stehen könnte und mich beobachtet – immer dieses Gesicht des Mannes vor mir, der mich aus damals aus dem Wasser gezogen hat.

Aber es wird weitergehen. Irgendwie. Irgendwie geht es immer weiter. Ich muss mich einfach so gut wie möglich ablenken. Muss, solange ich „alleine“ bin (also keine professionelle Hilfe habe) mir irgendwie Strategien überlegen, wie ich mich aus diesen ab und zu auftauchenden Panikattacken oder Flashbacks wieder befreien kann. Und vor allem: Ich muss anfangen mir zu vertrauen, den „starken“ Persönlichkeitsanteilen in mir zu vertrauen UND das Wichtigste: Verantwortung „für jeden von uns“ übernehmen.

(Auch wenn mir das bei Vivi schwerfällt……. muss ich gestehen)

Kommentare

12:32 30.04.2018
hallo liebe Kali

ja... ich glaube schon, dass eine BPS-Diagnose auch auf ihre Art wahnsinnig erdrückend sein kann. Ich habe ja während meinem Aufenthalt viele kennengelernt und habe mich mit ihnen ausgetauscht - als ich noch der Ärztin glauben wollte, dass ich auch eine BPS habe. Aber ich konnte nichts von dem, was sie mir über sich, ihr Empfinden und Erleben erzählten... mit mir in Zusammenhang bringen. Es gab keinen einzigen Punkt, bei dem ich gesagt hätte: Das kenne ich!

Ich klammerte mich an den kleinsten Strohhalm, einfach, weil ich endlich wissen wollte, was "nicht mit mir stimmt". Aber alle mit denen ich sprach und denen ich dann im Nachhinein von meinem Empfinden und Erleben berichtete, meinten sie alle(!), sie glauben nicht, dass ich eine BPS habe.

Ich fand die Erklärung von Lea, meiner Zimmernachbarin, ganz arg... Sie erklärte mir das so gut, dass ich es kurz nachempfinden konnte und mir dabei dachte: "Du bist so bescheuert. Sei froh, dass du das nicht hast!"

Das war vor allem in Anbetracht der Sache mit der ständigen inneren Leere. Oder dass es bei ihr eben so schlimm ist, dass sie sich nicht vorstellen kann, je wieder ohne Medis zu leben. Weil die Gefühle, die dann so plötzlich da sind, zwar immer noch sehr stark, aber nicht mehr so extrem wie davor sind.

Jedenfalls konnte Ich mir nach mehreren Gesprächen ein total gutes Bild machen, aber einfach nicht im Geringsten mit mir identifizieren.. ... klar war ich erst niedergeschlagen, weil ich mir dachte: "Mein Gott, dann wüsste ich wenigstens WAS ich tun kann, welche Art von Hilfe ich mir suchen kann..." aber gleichzeitig war ich auch ein wenig "erleichtert"... diese innere Leere nicht zu kennen oder sich selbst nicht zu spüren. Das stellte ich mir nämlich am schlimmsten vor und wenn ich richtig herausgehört habe, fühlte sich das für die meisten auch am schlimmsten an. und ich schämte mich für meinen ersten Gedanken, "hätte ich doch bloß eine BPS"...

Danke für deine Rückmeldung Jeder mit dem ich rede, der eine DIS hat, sagt das, was du sagst: Dass sie genau dasselbe in Blau erlebt haben... einerseits beruhigt mich das, weil ich mir denke "Okay, du bist nicht alleine und nicht vollkommen verrückt"... andererseits... ja, du weißt ja... ein beschissenes Gefühl die letzte Stufe einer Traumafolgestörung "erklommen" zu haben.

UUUND natürlich auch danke für die Buchempfehlung und noch ein UND: Ich freue mich, von dir hier zu lesen
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07:28 28.04.2018
Erst mal freue ich mich sehr sehr, von dir etwas zu lesen. musste öfter an dich denken. habe mich gefragt, wie es dir geht.

als zweites, ich habe eine freundin, wir kennen uns nun 13 Jahre, sehen uns aber nie, weil sie weit weg wohnt, jedenfalls haben wir die ersten 2-3 jahre nah beieinander gewohnt und haben viel zeit verbracht - ich habe sie UND jede menge andere teile in ihr , gut kennen gelernt.

Im Grunde beschreibst du ganz genau, wie es bei ihr war. Ich wurde sogar mal indirekt beschuldigt, Sachen von ihr mitgenommen bzw. Geld weggenommen zu haben, weil ein Teil von ihr es ausgegeben hatte (ich war dabei).
Sie hat ständig Sachen gesucht. Ich habe ganz viele verschiedene SMS - Arten von früher von ihr. Von einem kleinen Jungen bis hin zu ihrem Selbst.

Erst vor kurzem hat sie endlich eine Therapeutin gefunden, die auf die "multiple Persönlichkeit"spezialisiert ist.
Sie hat auch mehrere Klinikaufenthalte usw. hinter sich. Typisch war immer die Diagnose BPS. (und ich fühle mich nicht angegriffen, dass BPS "nicht so wild" ist - und obwohl ich mich darauf nicht reduziere, ist ein Leben damit dennoch manchmal nicht lebenswert)....

Ich hoffe, es ist okay, dass ich von ihr erzähle.
Weil es ja um DICH bzw. euch geht. Ich weiß, dass es bei ihr ein längerer Prozess war.... und noch ist.

Ich habe dann damals zb. "Sybil" gelesen.. oder "ich bin viele". Mir als Freundin half das.
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2018-04-27 11:52