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Thursday, 28. March 2024
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 1989-11-30 hh:mm
Schwieriger Neuanfang

 

Elvira fuhr jeden Tag etwa 25 km mit dem Bus zur Umschulung. Sie fühlte sich dort auf Anhieb wohl und interessierte sich sehr für alles Neue. Die Räume waren wie ein großes Büro eingerichtet, jeder Arbeitsplatz hatte einen PC. Alles wurde so gehandhabt, als wäre es ein richtiges Büro. Es handelte sich aber um eine Übungsfirma, organisiert von der Angestelltengewerkschaft. In diesem Durchgang waren sehr viele DDR-Flüchtlinge, eine Polin und ein paar westdeutsche Frauen, die nach ihrem Hausfrauendasein wieder in den Beruf einsteigen wollten. Elvira hatte von dieser Übungsfirma schon von Ingeborg gehört, die hier vor fünf Jahren gewesen war. Da die Anzahl der DDR-Flüchtlinge in den letzten Jahren stark gestiegen war, hatte man darauf im Arbeitsamt reagiert, um nicht zu viele Mittel auszugeben. War bei Ingeborg noch vor fünf Jahren der „Ingenieurökonom“ als „Betriebswirt“ anerkannt worden, lehnte das gleiche Arbeitsamt bei Elvira die Anerkennung desselben ab. Bei ihr erkannte man nur ihren zweiten (in der Betriebsakademie erworbenen) Beruf, den „Industriekaufmann“, an und so bekam sie, heruntergestuft als „Facharbeiter“, gleich 400,--DM weniger an Unterstützung als damals ihre Freundin. Das Besuchen der Übungsfirma war eine Maßnahme vom Arbeitsamt, man konnte also, sobald man eine Arbeit bekam, sofort abbrechen. Elvira war die meiste Zeit in der Firma im „Verkauf“ tätig, außerdem lernte sie dort die etwas anderen Arbeitsmittel und Umgangsformen kennen. Sie übten, wie man sich schriftlich und auch mündlich bewerben sollte.

Während der sechs Monate, die Elvira dort war, versuchte sie sich natürlich zuerst bei der Bundesbahn zu bewerben. Sie hatte ja keinerlei Vorstellung von den hiesigen Arbeitsmöglichkeiten. So erfuhr sie, dass zur Bundesbahn eigentlich nur die Bahnhöfe und die Züge gehören. In der DDR zählten zur Deutschen Reichsbahn auch viele andere Bereiche, Fahrzeugbau, Instandsetzung, Ingenieur- und Brückenbau u.v.a.m. Sie erfuhr, dass sie mit ihrem Dienstgrad so einem Bahnhof wie z.B. Ingolstadt vorstehen könne. Dafür war sie aber gar nicht ausgebildet. So bot man ihr im Bahnhof München eine Stelle als Fahrkartenverkäuferin im Schichtdienst oder sie hätte als Schaffnerin fahren können. Den Schichtdienst wollte sie sich in ihrem Alter nicht mehr antun und als Schaffnerin war sie ganz am Anfang nach ihrer Ausbildung gefahren. So schickte sie etwa vierzig Bewerbungen an die Firmen der näheren Umgebung. Mit der Frage nach ihrem Alter hatte sich die Einstellung meist erledigt. Als Kassiererin hätte sie sofort beginnen können, nur wollte sie es doch erst mit Büroarbeit versuchen. Die Wochen vergingen, noch immer lebten Helmut, Elvira und Dirk in ihrem kleinen Hotel. Die Wochenenden verbrachten sie meistens bei Jörgs Familie. Allerdings warteten die jungen Leute immer noch auf die Kisten mit ihrem Hab und Gut. Martina musste alle Kleidungsstücke wie in alten Zeiten mit der Hand in der Badewanne waschen, besonders die verschmutzte Arbeitskleidung von Jörg kostete große Anstrengungen. Die Sachen von den Schwiegereltern und dem Schwager Dirk hatte vorerst die Freundin Ingeborg mit ihrem Waschautomat übernommen.

 

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