Mit den Mundwinkeln nach unten
'Hey Laura, kommst du heute abend eigentlich auch mit auf die Party?'
'Ich weiß nicht. Also, eigentlich hab ich gar keine Lust.'
'Ach komm' schon, du kannst doch nicht die ganze zeit in deinem zimmer hocken. Seit du hier bist, bist du noch kein einziges Mal mit uns weggegangen.'
'Ja, also, mal seh'n, vielleicht komm ich heute mal mit.'
'Ach, komm schon. Ich weiß, Polen ist nicht Spanien, aber wenn du immer einen auf Stubenhocker machst, wird's auch nicht besser!'
'Oh Mann, du kannst echt stur sein!'
'Danke! Also, bist du dabei?'
'Aber nur wegen dir, echt!'
'Uuii, du bist sooo toll!!'

Abends. Ich zog das fünfte T-Shirt wieder aus und pfefferte es frustriert in die Ecke. Darin hätte ich einfach viel zu fett ausgesehen. Warum hab' ich mich nur von Danni überreden lassen auf diese blöde Party zu gehen. Meine Haare sahen total scheiße aus, mein Pony lockte sich ständig und am Kinn hatte ich zwei Pickel. Aber was regte ich mich denn überhaupt auf, wahrscheinlich würden eh keine Typen, die mir gefallen, kommen. 'Ist doch eh egal', sagte ich zu mir und holte mein rauchblaues H&M-Shirt wieder aus der Ecke.
Ich war seit zwei Wochen in Polen und immer noch zutiefst unglücklich darüber. Ich nahm am ERASMUS-Programm meiner Uni teil, bei dem Studenten ein Auslandssemester an einer Gasthochschule in Europa verbringen konnten. Mein absolutes Traumziel war Spanien, und ich hatte schon fast damit gerechnet dass dieser Traum war werden würde, doch dann wurde ich nach Polen geschickt. Ausgerechnet Polen. Ich wollte Sonne, Tapas und heißblütige spanische Studenten. Bekommen hatte ich Wolken, Bigos und Patryck.
Doch ich glaube, langsam war die Zeit gekommen, aus meinem Schneckenhaus rauszukriechen und die neue Umgebung zu akzeptieren.
Ich glättete mein Pony, trug eine zweite Schicht Wimperntusche auf, tupfte mir 'Sun Delight' an die Schläfen und ging.

Die Party fand in einer typischen Studentenbude, etwa 5 Minuten von meinem Wohnheim entfernt, statt.
Ehrlich gesagt, war ich ein bisschen nervös, da ich nur die Mädels aus unserer Wohnung kannte und so stellte ich mich erst mal zu Danni, Steffi und Julia.
'Na sowas, du hier?'
'Danni hat mich überredet.'
'Gut gemacht, Danni. Dann kommst du wenigstens mal unter die Leute.'
'Du wirst schon sehen, es ist mindestens genauso gut wie in Deutschland. Nur, dass bei den Mengen an Wodka die es hier gibt spätestens um 12 alle dicht sind.'
'A propos Wodka, ich hol' uns jetzt mal was zu trinken. Wenn du mitkommst, dann stell ich dir ein paar Leute vor, Laura.'
'Ja, okay.'

Wir gingen in die Küche, wo auf einem Tisch mehrere Flaschen Wodka und andere Getränke standen. Einige Leute mixten sich gerade Drinks, andere durchsuchten den Kühlschrank nach etwas Essbarem. Mir wurden Markus, Alex und Jenny vorgestellt. Nach ein paar Minuten Smalltalk nahmen wir unsere Wodka-O und gingen zurück zu den anderen. Steffi war gerade in ein Gespräch mit einem Typ, den sie uns als Felix vorstellte, vertieft. Zu fünft stießen wir auf uns an. 'Na zdrowie! '
Die Zeit verging schnell und der Wodka floß noch schneller. Immer wieder stellten mir Danni, Steffi und Julia neue Leute vor. Um elf war ich bereits leicht angeheitert, deshalb setzte ich mich auf einen der Stühle in die Küche.
'Se party is good', sagte Felix der gerade neben mir aufgetaucht war. Ich sagte, um ganz sicher zu gehen, 'Now can come what want'
Und wir fingen beide an zu lachen, ziemlich dämlich eigentlich. Nachdem ich mich wieder beruhigt hatte, sagte ich:'Oh mann, ich hab noch nie n Mann getroffen, der sich auch immer Nippelmix von Tv Total reinzieht und das dann zitieren kann'
'Und ich noch nie 'ne Frau', sagte er grinsend.
Ich sah ihn mir genauer an. Ich wollte einen südländischen Typ und er war blond. Minuspunkt.
'Hey, da kommt grad Goosebumps von Seeed. Das ist so geil, da wollte ich immer drauf tanzen.'
'Echt? Ich auch immer, aber das kommt in Clubs nie.'
Okay, Pluspunkt.
Er trug eine Brille. Das war gar nicht mein Fall, Minuspunkt.
Doch dann nahm er meine Hand, zog mich zur Stereoanlage und fing an mit mir zu tanzen. Und das konnte er echt gut. Vielleicht ein bisschen abgedreht, aber absolut gut gelaunt und ansteckend. Das gab zwei Pluspunkte. Er animierte alle zum tanzen und die Party kam richtig in Schwung. In einer Verschnaufpause erzählte ich ihm, dass ich eigentlich nach Spanien wollte, und deshalb ein bisschen frustriert wäre, in Polen. Da sagte er, 'eigentlich müsste mir das ja für dich Leid tun, aber ehrlich gesagt bin ich ziemlich froh dass du hier bist.' Und als er danach lächelte, zogen sich seine Mundwinkel nach unten. Aaah, 1.000 Pluspunkte. Ich fand das immer schon total geil, wenn bei Männern wenn sich Lächeln, die Mundwinkel nach unten gehen.
Ein letzter Test noch, dachte ich:'Ohne dich wären die Gefühle von heute..'
'..nur eine leere Hülle der Gefühle von damals.' führte er mein Lieblings-Amélie-Zitat vor.
Ich drehte mich zu ihm hin, lächelte und küsste ihn mitten auf den Mund. Als wir uns voneinander lösten, lächelte er.
Mit den Mundwinkeln nach unten.