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2012-06-05 11:22
Manchmal kann man nur staunen...

 

Manchmal kann man nur staunen, wenn man so liest, womit sich Firmen in ihren Stellenanzeigen selbst anpreisen. Letztens fand ich Folgendes:

Das erwartet Dich bei uns:

Spannende Projekte und Aufgaben, viel Abwechslung und Dynamik

Fachlicher Austausch und Dialog

Nette Kollegen und gute Köpfe

  Entwicklungsmöglichkeiten: Interessante Karriereperspektiven und gezielte Weiterbildung im Rahmen der XYZ Academy

Wertschätzung: Kostenlos frisches Obst und kostenfreie Getränke, Massagen, Entspannungs-Kurse, Fitness-Raum, Rückenschule, etc.

Team-Spirit: XYZ Kickerliga, Sporttreffs wie Fußball, Laufen, Badminton, Tanzen, Feier-Abend-Bierchen und vieles mehr

Spaß: Regelmäßige Events wie Sommerfest, Oktoberfest, Karneval, Grillen, Poker-Night, LAN-Party und Weihnachtsfeier

Namhafte nationale und internationale Kunden aus verschiedenen Branchen

Internationale Partnerschaften: Google, Adobe und Facebook

Vor zwei Wochen bin ich schon einmal über die Anzeige gestolpert. Gestern wurde sie erneut in eine Jobbörse eingestellt. Heute habe ich mich beworben.

Es ist nun bei Weitem nicht so, dass mich dieses erstaunliche Work-Life-Balance-All-In-One-Wunschlos-Glücklich-Paket so sehr reizen würde, dass ich nur da und nirgends sonst arbeiten möchte. Das Gegenteil ist eher der Fall. Mir sind die ach so schönen Worte suspekt. Ich stelle mir ein knallhartes Ellbogengeschäft vor, ein Haifischbecken in einer steril-kalten BWLer-Business-Schickimicki-Welt, wo man die Mitarbeiter mit dem vermeintlich ach so tollen Bonus-Paket ruhig stellt.  

Aber hey, das Unternehmen ist relativ in der Nähe und ich bin neugierig. Ich rechne sowieso eher mit einer Absage, aber für den Fall, dass man mich doch zu einem Gespräch einlädt, ist der Weg nicht allzu weit und ich würde zu gerne wissen, ob sich meine Einschätzung dann bestätigt.

Mein letzter Chef hat mich ungern gehen lassen. Sagte er. Aber er bekommt kein Geld für eine weitere Stelle, die er bei all der Arbeit auch dringend gebrauchen könnte, wie er sagte. Was ich davon halten soll, weiß ich nicht. So viel habe ich von der vielen Arbeit nicht gemerkt in meiner Zeit dort. Gefühlt habe ich zu 90% herumgesessen und nichts getan. Klar, viel Arbeit war durchaus da, aber sie war nicht wirklich delegierbar.

Fest steht: Chef mochte mich. Er ist ein Kümmerer. Allerdings war ich zuletzt doch etwas unentschlossen, ob ich sein Kümmern noch als nett und hilfreich empfinde oder ob es nicht doch schon ansatzweise grenzüberschreitend war. Er fing mir an mit Küchenpsychologie und empfahl mir ein Persönlichkeitscoaching. Ja...Sicher habe ich meine diversen Defizite, die ja durchaus sehr plakativ im letzten Eintrag auch dokumentiert wurden, aber ob da ein Coaching weit genug greifen würde und ob Frauenselbsthilfebücher der Kategorie "größter Schund ever", an mich herangetragen von der Chefsekretärin, da die Lösung sind....Man weiß es nicht.

Chef meint auch, mein Glück liegt hier, genau da, wo ich jetzt bin. Umzug sei Gift für mich. Raus aus dem sozialen Umfeld, nee, bloß nicht. "Man braucht schließlich auch seine Freunde, bei denen man sich mal ausheulen kann. Ein neuer Job ist aufregend, toll, stressig und frustrierend genug, da muss nicht auch noch eine neue Umgebung hinzukommen." Also schickt er mir fleißig Stellenanzeigen von Unternehmen aus der Umgebung. Bei einem konnte er seine Kontakte spielen lassen. Ich bin gespannt, ob es etwas nützt. Ich zweifle eher daran, denn bisher habe ich nicht mal eine Eingangsbestätigung von der guten Frau bekommen, an die die mit Cheffes Lobeshymnen gespickte Bewerbung ging.

Natürlich sind seine Bemühungen durchaus nett. Es ist sicher keinesfalls normal, dass sich jemand so kümmert, auch wenn er selbst keine Perspektiven bieten kann. Aber manchmal bin ich mir nicht sicher, ob es nicht einen Ticken zu nett ist. Zumal seine Einschätzungen meiner Person zu mindestens in einem Punkt völlig unzutreffend sind. Ich war noch nie der Typ Mensch, der abends bei Freunden anruft, um sich auszuheulen oder auszutauschen. Selbst zu den Zeiten meines intensivsten Soziallebens war das nie so. Und heutzutage entwickele ich mich privat tendenziell doch eher zum Typ "kauzige einsame Katzenfrau ohne Katze".

Mittlerweile habe ich fast alle Brücken im Privatleben hinter mir abgebrochen. Manche mit Ansage. Manche verliefen einfach so im Sande. Und das ist auch völlig ok so. Ok vielleicht nicht, aber ich will es so. Lieber breche ich Kontakte selber ab als plötzlich mit einem Kontaktabbruch konfrontiert zu sein. Lieber gehe ich, ehe jemand anders geht. Dazu kam noch erschwerend hinzu, dass es sich besonders bei den beiden, mit denen ich zur Schule gegangen bin, seit Jahren schon abzeichnete, dass wir uns im Grunde nichts mehr zu sagen hatten, dass als einzige Gemeinsamkeit nur die Erinnerung an die Vergangenheit geblieben war.

Manche aber, die vermisse ich schmerzlich. Jan zum Beispiel. Am Wochenende wird es ein Jahr her sein, dass wir uns zuletzt sahen. Und leider trat er mir dann im Nachklang des Wochenendes und in den Wochen danach so sehr auf die Füße, dass ich zutiefst beleidigt war und ihn seitdem keines Wortes mehr gewürdigt habe. Und so dämlich das ist, es muss auch so sein. In diesem Punkt bin ich zu stur und zu stolz und kann und will nicht zurück. Obwohl die Tür durchaus offen stünde. Vor knapp zwei Wochen bekam ich eine SMS von ihm. Er fragte, ob ich am Abend Zeit für ein Treffen habe. Gefreut habe ich mich, geantwortet aber nicht. Natürlich weiß ich, wie bescheuert und kindisch das ist, aber...Dass hat er nun davon, dass er "meine Kompliziertheit unterschätzte" und dann so großmütig dazu bereit war, sie mir jederzeit zu verzeihen.

Jedenfalls...mich hält hier nichts. Außerdem glaube ich, dass so ein Persönlichkeitscoaching, wie es Chef für mich für sinnvoll erachtet, nur dann überhaupt erfolgreich sein kann, wenn man sich erst von den schädlichen Einflüssen in seinem Leben befreit. Und die kriege ich nachwievor nur mit dem größtmöglichen räumlichen Abstand in den Griff.

Aber ich habe aktuell die heilsame Kraft des Ausmistens für mich entdeckt. Es hat schon wirklich etwas Befreiendes, wenn man wirklich große Mengen an Kram einfach wegschmeißen kann. Mein Kleiderschrank war das erste und größte Projekt. Ich habe seinen Inhalt vermutlich mehr als halbiert. Fünf Vakuum-Kleidertüten und einen Schrank, der so voll war, dass man ihn nur noch zutreten konnte, nannte ich mein Eigen. Jetzt gibt es nur noch zwei Vakuum-Kleidertüten und der Schrank ist zwar immer noch voll, zu voll für Neuanschaffungen, aber das, was nun drin ist, kann nun erstmals wieder knitterfrei gelagert werden. Alles, was ich mindestens seit zwei Jahren nicht mehr getragen oder in den Kleidertüten vergessen und nicht vermisst habe, ist radikal rausgeflogen. Und manches war auch einfach nicht mehr schön. Wie zum Beispiel meine Lavalampe, die als erster Gegenstand außerhalb des Kleiderschranks am Samstag im Müll landete. Vor sechs Jahren hatte ich sie hier in meiner Wohnung direkt am Fenster platziert. Eine blöde Idee. Das ehemals blaue Wasser war schnell nur noch schmuddelig und ausgebleicht grünlich. Nicht mehr schön. Also raus damit.

Getragen von dem Schwung, den mir das Ausmisten in den letzten Tagen beschert hat, habe ich gestern endlich auch mal eine Bewerbung an den Traumarbeitgeber in der Traumstadt geschickt. Seit ich vor fast zwei Jahren von der Existenz dieses Verlages erfahren habe, will ich im Grunde dorthin. Ich habe mich aber nie getraut, etwas zu unternehmen, eben weil es so wichtig für mich war. Nun ist allerdings wohl so, dass ganz egal, wie viel ich noch mache, ich werde mich wohl nie perfekt genug für eine Bewerbung dort fühlen und irgendwann bin ich dann auch mal zu alt, um mich noch für ein Volo zu bewerben. Also: Wenn nicht jetzt, wann dann? Zwei Bewerbungen habe ich verschickt. Die Stelle im Lektorat hätte ich lieber, zu der Stelle in der Presseabteilung passe ich nach dem, was ich bisher so gemacht habe, eigentlich besser. Ich rechne mit einer Absage auf beide Stellen. Aber das ist ok. Wie gesagt, ich empfinde meine Qualifikationen als nicht perfekt genug für den Traumarbeitgeber in der Traumstadt. Aber wer bekommt heutzutage im Berufsleben schon noch seine Träume erfüllt? Jetzt bin ich jedenfalls doch ein wenig stolz auf mich. Weil ich mal alle Zweifel über Bord geworfen habe, weil ich es nicht länger vor mir hergeschoben habe, weil ich es mal einfach gemacht habe. Am Ende weiß ich dann wenigstens, woran ich bin und dass ist ja auch schon mal etwas.

Nächste Woche gehe ich den Bürgermeister besuchen. Juchhu. Ich freue mich. Ich kann den Mann nicht leiden, habe ihn nie gewählt und würde ihn nie wählen. Aber der Termin ist ohne mein Wissen und ohne meinen Wunsch entstanden, also muss das wohl sein. Er hatte beruflich immer mal wieder mit meinem Dad zu tun. Ich gehe mal davon aus, dass er sich mir gegenüber dann also ganz besonders großkotzig und gleichzeitig gönnerhaft präsentieren wird. Na ja. Ich bin gespannt.

Kommentare

19:04 08.06.2012
Coaching für alle Lebenslagen ist derzeit wohl voll der Renner... -.-
Ich drück dir die Daumen für die Job-Geschichte!!!
Soll der Kommentar wirklich gelöscht werden?
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2012-06-05 11:22