Willkommen auf Tagtt!
Thursday, 28. March 2024
Alle » News, Bilder, Videos - Online
2005-09-06 19:18
Kassandra - Revan - Herrschaftsdiskurs
Ein Text aus dem Frühjahr, spontan und unfertig, den ich schon lange hier reinstellen wollte.

SPOILERWARNUNG: Wer noch "Star Wars: Knights of the Old Republic" spielen will, sollte das hier nicht lesen.

Brainstorm Kassandra – Medea – Hexen – Revan

nicht, daß da tatsächlich ein Zusammenhang festzustellen wäre. Oder?
Revan, im Gegensatz zu Kassandra und Medea, die sich gerade über ihre Erinnerungsfähigkeit definieren, kann sich an ihre (wahre)Vergangenheit nicht erinnern. Sie leidet aber nicht unter Gedächtnisschwund mit Hoffnung auf Heilung in Form von Entschlüsselung, sondern sie hat durchaus einen Begriff ihres Ursprunges. Sie weiß, sie ist auf jenem Planeten geboren; sie scheint bestimmte Grunderfahrungen gehabt zu haben, die sich jetzt auf ihre Wertvorstellungen auswirken – alles scheint einige Zeit lang in bester Ordnung. Doch schließlich, ein traumatischer Augenblick der Erkenntnis, erfährt Revan, daß nichts von dem, was sie für real hält, wirklich geschehen ist. Ihr Gedächtnis wurde manipuliert, um ihre Loyalität sicherzustellen.
(1. Macht – Wissen – Ausschlußprinzipien...)
Hier begegnen sich wieder C.W.s Kassandra-Fassung und Revans Geschichte. Beide Frauen haben über Macht verfügt; doch diese Macht führt zu Gewalt. Solange sie ihre Macht ausüben, wie sie es gelernt haben, stützen Revan und Kassandra den patriarchalischen Herrschaftsdiskurs.
Revan ordnet sich erst der „hellen Seite“, dann der „dunklen Seite“ zu. Das ihr eindoktrinierte Denkschema läßt kein Dazwischen zu, erst recht kein „Beides gleichzeitig“. Es ist ihr nicht möglich, einen dritten, eigenen Weg zu suchen. Sie kann nur wählen zwischen der Verleugnung des Körpers und der Empfindungen auf der „hellen Seite“ und irrationaler Grausamkeit, Unterordnung bei gleichzeitiger Ausübung brutaler Macht-über auf der „dunklen Seite“. Die beiden Gesellschaften scheinen einen dualistischen Gegensatz, gut und böse, darzustellen, doch ihre Struktur unterscheidet sich nicht im geringsten. Die als erstrebenswert definierten Ziele Macht bzw. Erkenntnis sind letzlich dieselben, getragen vom Prinzip der Entfremdung. Beide sind nur den Eingeweihten zugänglich; vor der Einweihung wird vom Schüler verlangt, daß er der Weisheit der Meister folgt (ohnehin ist das Meister- Schüler-Prinzip allgegenwärtig; daß Revan in einem solchen Paar die Meisterin ist, kann nur dadurch zustandegekommen sein, daß ihre Person im ursprünglichen Konzept männlich ist. Wäre Revan weiblich konzipiert gewesen, hätte man sie mit hoher Wahrscheinlichkeit zur Schülerin gemacht. Im ganzen Spiel taucht nicht eine weibliche Jedi-Meisterin auf.) Erst nach Jahren des Gehorsams kann der Zugang zu tieferem Wissen gewährt werden, Argument dafür ist das übliche: Wissen wird als gefährlich bezeichnet, und nur die Eingeweihten haben die Fähigkeit, damit umzugehen. Alle anderen laufen angeblich Gefahr, zur „dunklen Seite“ überzuwechseln, wenn sie verfrüht mit dem Wissen konfrontiert werden.
Die „Dunkle Seite“ macht sich diese Muster zunutze: sie verspricht Wissen und Macht all jenen, die ihr die Treue schwören. Beide Seiten locken also mit Erkenntnis und Macht – die eine bedingt die andere – zum Preis von Einordnung in das System von Macht-über. Die beiden Seiten, die zuerst wie zwei gegensätzliche Extreme scheinen, ähneln sich so sehr, daß der Übergang zwischen beiden leicht ist und entsprechend gefürchtet wird.

Revan aber kann auf diese Strukturähnlichkeit nicht gleich stoßen; nicht nur, weil ihr Platz im Inneren des Systems sie blind macht, sondern auch, weil sie in diesem System privilegiert ist. Aufgrund ihrer Fähigkeit, mit der „Macht“ umzugehen, wird sie von beiden Seiten umworben und gelobt. Ihre „Machtempfänglichkeit“ öffnet ihr überhaupt erst die Türen in den Orden der Privilegierten, der Jedi, die für den Großteil der Bevölkerung für immer verschlossen bleiben. Hierin ähnelt Revan wiederum Kassandra: Diese bringt ihren Status als Königtochter mit, dazu ist sie noch das Lieblingskind ihres königlichen Vaters. Ihrer hohen gesellschaftlichen Stellung durch Geburt verdankt sie den Einfluß, den sie später als Priesterin ausüben kann, nicht ihren Seherfähigkeiten. Die „Macht“ bei Revan ist also nicht der „magischen“ Macht, in die Zukunft zu sehen bei Kassandra gleichzusetzen, sondern sie ist gleichsam die Entsprechung der hohen Geburt, die den Eintritt in die gesellschaftliche Elite ermöglicht. Revan ist wie Kassandra eine Prinzessin.
So machen, wie schon erwähnt, beide Frauen zuerst eine beispielhafte Karriere innerhalb ihres Systems. Kassandra wird Priesterin, Revan eine bekannte Jedi. Kassandra unterstützt ihren Vater, obwohl sie bereits an seinen kriegerischen Plänen zweifelt; Revan führt ein Heer in die Schlacht und gewinnt einen bereits verloren geglaubten Krieg.
Während Kassandras Erleben der darauf folgenden Zeit sehr genau beschrieben wird, gibt es in Revans Geschichte genau hier, nach dem Krieg, eine Lücke. Bekannt ist nur, daß sie gemeinsam mit ihrem Schüler Malak einige Zeit verschwindet, niemand weiß wohin. Als sie zurückkehrt, ist die verändert: sie hat sich der „dunklen Seite“ angeschlossen, ist deren Lord geworden. Hat Revan also am System, das sie kannte, gezweifelt? Ist sie deshalb zum Feind übergewechselt, weil ihr eine dritte Möglichkeit nicht zugänglich war?
Kassandra zweifelt, aber sie ist weit davon entfernt, sich dem Feind anzuschließen. Im Gegenteil hat sie bei ihm, bei den Griechen, schon früher als bei ihren eigenen Leuten die Entfremdung erkannt. Somit ist sie, auch wenn sie lange braucht, um zu akzeptieren, daß die herrschende Schicht ihres Volkes denselben Prinzipien folgt, Revan in ihrer Entwicklung voraus. Während Kassandra sich bereits auf die Suche nach einer völlig anderen Art zu leben außerhalb des herrschaftlichen Diskurses gemacht hat, pendelt Revan noch immer als Spielball zwischen zwei Seiten, die ihr beide nicht geben können was sie braucht, denen sie sich aber mangels Alternativen auch nicht entziehen kann.
(2. Erinnerung – Selbstbild – Persönlichkeitsentwicklung)
Darüber, was Revan genau tut, nachdem sie die Seiten gewechselt hat, ist wenig zu erfahren. Die neue Revan, ihres wahren Gedächtnisses beraubt, kann nur Bruchstücke ihrer früheren Identität aus den Erzählungen Dritter rekonstruieren – Dritte, die ihre eigenen Interessen vertreten. Der Rat der Jedi, die „Helle Seite“, entpuppt sich als ebenso manipulativ wie ihr Gegner: Das Gedächtnis der gefangenen Feindin wurde verändert, um sie auf die eigene Seite zu ziehen. Ihr Wissen und ihre Macht (s.o.!) sollen verwendet werden, um den Krieg zu gewinnen. Revan wird also instrumentalisiert, ohne daß sie selbst davon weiß; sie glaubt, nach ihrer eigenen Überzeugung zu handeln, zugunsten der Gruppe, zu der sie sich zugehörig fühlt. Genau wie Kassandra zu Anfang glaubt sie, daß ihre Interessen mit denen der Herrschenden übereinstimmen. Beide beobachten, welches in ihren Augen barbarische Verhalten die Feinde an den Tag legen, und mithilfe dieser Beobachtung können sie für sich die eigene Seite in einem helleren Licht erscheinen lassen, in dem (scheinbar) marginale Fehler des Sytems verblassen. Beide zweifeln durchaus am Diskurs der eigenen Partei und bemerken, daß er gut zur Ausschließung des Anderen, Verdrängten, Fremden geeignet ist. Doch sie glauben fest daran, daß sie zu den Ihren stehen müssen, um sich gegen die weit größere Bedrohung von außen verteidigen zu können.

Tags

Kommentare

Noch keine Kommentare!
Kommentieren


Nur für registrierte User.

2005-09-06 19:18