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Thursday, 18. April 2024
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 1991-01-04 hh:mm
Ins kalte Wasser geworfen ...

 

In der Firma hatte sich Elvira schon gut eingearbeitet. Ihre Aufgabe war es, Bestellungen, Lieferscheine und Rechnungen zu bearbeiten und am Freitag den Wochenabschluss zu machen. Da sie aber in einem Großraumbüro saß, fielen auch noch viele andere Arbeiten an. So verwaltete sie auch das Büromaterial. Aber das Schlimmste war, wenn sie an die Telefonvermittlung musste. Am Anfang verstand sie weder den Namen des Anrufers, noch seine Wünsche. Einige Male hörte sie am anderen Ende der Leitung einen Brüller, den sie aber zum Glück nicht verstand. Die Kunden, mit denen sie telefonieren musste, waren zum Glück aus Gesamtdeutschland. Im Sommer ging der Versandleiter in den Jahresurlaub. Elvira wusste, dass sie für die Vertretung verantwortlich war. Aber was sie, wie machen musste, sagte ihr keiner.

Das Bayrisch ihres Chefs verstand sie so gut wie gar nicht und die andern wussten nichts von dieser Arbeit. Er machte mit ihr die Übergabe, die noch nicht mal eine halbe Stunde dauerte und meinte, dass Produktionsleiter und Geschäftsführer ihr zur Seite stehen würden.

Aber diese Kollegen hatten auch ihre eigenen Aufgaben. Da konnte sie nicht dauernd mit Fragen kommen. Sie erledigte die Dinge so recht und schlecht. Der Mitarbeiter, der die Ware aus den Regalen holte und auf Paletten stapelte, machte nur das, was sie ihm sagte. Sie wusste aber nicht, welcher Käse in leichten oder in schweren Kartons verpackt war und auch nicht, wie viele Paletten auf den Lkw und den Hänger passten. Nachdem ein Kollege vom Hauptbetrieb bei der Ankunft der Ware ein Foto von einer saumäßig schlecht geladenen Palette gemacht hatte, bemühte sich Elvira noch mehr, die gestellten Aufgaben zu erfüllen. Dazu kam, dass es immer „pressierte“, und sie war heilfroh, als die 14 Tage Urlaubsvertretung vorbei waren. Eine gute Stütze fand sie dann doch. Nachdem sie einem Kollegen im Hauptwerk am Telefon erzählt hatte, wie sie „ins kalte Wasser“ geworfen wurde, konnte sie zu ihm mit allen Fragen kommen.

Nach der ersten Vertretung rief sie der Geschäftsführer in sein Büro und sagte: „So ist das bei uns: wenn man gute Arbeit leistet, wird das auch belohnt!“ Ab sofort erhielt sie monatlich 300,--Mark mehr. Allerdings war dies das einzige Lob, was sie in elf Jahren erhalten hatte. Andere Kollegen meinten dazu: „Seien Sie doch froh, die meisten von uns erhalten nie eines.“

 

Seit der Einführung der D-Mark im Osten und den damit verbundenen ständigen Lieferungen von westlichen Artikeln stieg auch in der Käsefabrik der Umsatz um das Doppelte. Das Personal aber blieb das gleiche. Tägliche Überstunden sowie Samstagsarbeit waren Normalität.

Besonders in der Urlaubszeit war die Arbeit kaum zu schaffen. Dafür waren dann die wenigen freien Tage umso schöner. In dieser stressigen Zeit musste Elvira oft an Goethes „Schatzgräber“ denken. Die Verszeilen: „Tages Arbeit- abends Gäste, saure Wochen- frohe Feste......“ bekamen für sie hier in diesem neuen Leben ihre Berechtigung.

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