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2011-03-01 19:46
hm

Sie wird also sterben.

Meine Güte...

Ich war immer noch nicht bei ihr. Jedes Mal, wenn ich damit komme, sagen sie mir ich solle sie "so in Erinnerung behalten wie sie war" und "das ist nicht mehr Oma". Ich weiß auch nicht. Sie machen mir Angst. Die ganze Angelegenheit macht mir Angst.

Das letzte Mal habe ich sie gesehen, als ich sie nach ihrem ersten Krankenhausaufenthalt mit meinem Bruder zusammen bei ihr zu Hause besucht habe. Wir haben zusammen Kaffee getrunken und Mensch-ärgere-dich-nicht gespielt. Als wir uns zum Heimgehen fertig machten, sagte sie noch "Am liebsten würde ich euch ja bei mir behalten...".

Sie hat irgendwie was geahnt. Mir läufts dabei eiskalt den Rücken runter. Als meine Eltern das letzte Mal bei ihr waren (es war der Tag bevor sie ins künstliche Koma gelegt wurde), sagte sie zu meinem Vater noch er solle zusehen, dass "die anderen ihr Geld kriegen" und meinte damit das Geld, das sie uns geliehen hat als mein Dad arbeitslos war. Mein Eltern sind schon ne Weile dran einen Kredit aufzunehmen, um das Geld zurückzuzahlen. Natürlich wollten sie das Geld Oma geben. Oma hatte sich aufs Erben bezogen, als sie das zu Dad sagte. Der Grund, weshalb die "anderen" (meine Tante und mein Onkel) so sehr dagegen waren, dass Oma uns aus der Patsche hilft. Damit mein Dad ihnen das geliehene Geld nicht "unterschlagen" kann, wenn Oma stirbt.

Als ob er das je tun würde...

...

Gestern Abend haben sie einen Priester zu ihr kommen lassen. Ich finde diese Priester-letzte-Ölung-Sache eigentlich irgendwie furchtbar. Irgendwie makaber, weiß nicht. Ich stelle mir vor, dass Oma auf irgendeine Art mitkriegt, was passiert. Wie schrecklich muss sich das anfühlen, wenn da auf einmal so ein Priester anrückt und einem den Rosenkranz vorleiert und man genau weiß, was das zu bedeuten hat.

Es ist irgendwie alles nichts. Alles ist falsch. Es fühlt sich falsch an.

Die Ärzte sagen Oma hat ein starkes Herz und ne gute Lunge. Andernfalls hätte sie bereits gar nicht so lange durchgehalten. Sie haben meinen Onkel gefragt ob er einverstanden ist, dass sie Oma noch einmal not-operieren. Ein Luftröhrenschnitt wieso auch immer. Und dass es sein könnte, dass Omas Herz während dieser OP aufhört zu schlagen und sie sie dann wiederbeleben müssten. Wodurch Omas Hirn Schaden nehmen könnte. Ob wir das Risiko eingehen wollen oder ob wir lieber möchten, dass Oma nicht mehr operiert wird. Mein Onkel hat gesagt, dass wir nicht wollen, dass sie Oma reanimieren.

Ich weiß, dass sie wahrscheinlich leidet. Aber es kommt mir so grausam vor zu entscheiden, dass sie in dem Fall dann sterben soll. Ich würde am liebsten alles tun, damit nur eine winzige Chance besteht, dass sie irgendwie überleben kann. Auch wenn das grausam und egoistisch ist auf eine Weise.

Sie kann doch nicht einfach sterben. Nach all dem, was wir zusammen erlebt haben...

Ich hatte immer eine besondere Verbindung zu Oma.

"Wir zwei, wir sind Freundinnen" hat sie immer zu mir gesagt, als ich noch klein war. Wir haben zusammen Pudding gekocht, sie hat mir das Lesen beigebracht, wir hatten wunderschöne Urlaube zusammen, sie hat mich zum ersten Mal mit in ein Musical genommen und mein Leben damit damals so unglaublich verändert.

An Opas Beerdigung hat sie, als wir vorm Grab standen, nach mir gerufen. Ich sollte bei ihr stehen. Ich hab sie die ganze Zeit über festgehalten. Wir haben uns gegenseitig festgehalten. Von all ihren Kindern und Enkelkindern wollte sie mich bei sich haben. Wie kann sie sich denn, nach all dem, was uns verbunden hat, so einfach davon stehlen?

Oma war schon lange nicht mehr Oma. Schon bevor sie ins Krankenhaus kam hat sie das Essen verweigert und nur noch getrunken. Niemand hat sie mehr wirklich interessiert. Weder das Abi von meinem Bruder und mir, noch die Geburt der Zwillinge, noch Papa, als er arbeitslos wurde. Sie hat zwar ständig angerufen, aber interessiert haben wir sie nicht wirklich mehr. Sie wollte wissen wer gerade wo und warum ist. Ständig. Die Gespräche dauerten selten länger als zwei Minuten, dann hatte sie es eilig aufzulegen.

Und die vielen Fragen.

Ich weiß bis heute nicht, was Opa und Oma auf einmal so unglücklich gemacht hat, dass sie mit dem Trinken anfingen, nicht mehr aus dem Haus gingen, sich an nichts und niemandem mehr freuen konnten. Es fing "plötzlich"an. Und es hat sich nicht mehr geändert. Opa ist schlimm gestorben. Und Oma stirbt gerade noch schlimmer. Mir kommt alles so ungerecht vor.

Ein ganzes Menschenleben. Die Kindheit, Verliebtsein, Heiraten, Kinder bekommen, Eltern sein, Großeltern sein, gemeinsam in Rente gehen...und dann stirbt man depressiv, alkoholkrank und qualvoll ohne Frieden mit sich und der Welt machen zu können. Das ist falsch. Das ist einfach nicht richtig.

Ich bin so wütend. Traurig. Konfus. Untröstlich.

Wir haben nichts dagegen tun können, dass Oma und Opa am Ende ihres Lebens nicht glücklich waren. Sie mussten und müssen diese Welt unglücklich verlassen. Das tut so weh. Es gibt keinen Trost mit diesem Wissen.

Und ich hab solche Angst vor allem, was jetzt kommt.

Kommentare

18:26 02.03.2011
Im Endeffekt musst du auf dein Gefühl hören und wenn du sie nicht besuchen kannst, dann ist es okay. Nur hoffe ich sehr, dass du es später nicht bereuen wirst.
Ich drück dich und wünsche dir viel Kraft!
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09:11 02.03.2011
geh nochmal hin. die gleichen sätze haben meine verwandten mir auch erzählt, als meine oma im sterben lag. im endeffekt bin ich aber froh, dass ich sie nochmal sehen konnte und mich von ihr verabschiedet habe.
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01:52 02.03.2011
ich denke auch, es wäre besser für dich, wenn du nochmal hinfährst und ein paar gedanken dort lässt. du bist ja kein kleines kind mehr, dass vor einem ambivalenten anblick bewahrt werden muss
und das leben, tja, es endet in aller regel eben nicht als grandioser höhepunkt, sondern verblasst einfach, wenn's einigermaßen ruhig geht, kann man schon froh sein. und es tröstet dann sicher und hoffentlich, wenn man zurückblicken kann auf viele schöne zeiten, die man erlebt hat. z.b. in deinem alter also, just do it!
Good luck!
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23:41 01.03.2011
Es tut mir Leid, dass es so gekommen ist mit deiner Oma. Das muss sehr schwer sein... Was den Besuch angeht- stimme MissSunshine zu: am Ende musst du für dich entscheiden, was das richtige ist. Kann deine Ängste verstehen, würde da glaube ich aber eher aufs eigene Gefühl hören. Also sie besuchen, sofern du das möchtest (und dir nicht so große Angst machen lassen).
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unbekannt
20:54 01.03.2011
Denk nur daran, dass es dann das eine letzte Mal ist oder nie, für den Rest deines Lebens. Es wird nicht schön, denke ich, aber du würdest Abschied nehmen können, als dass dir jemand sagt "sie ist fort".

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unbekannt
20:52 01.03.2011
Weißt du was... auch wenn es seltsam klingt: Ein Gutes hat das alles. Du kannst dich verabschieden (wie auch immer). Nutz die Chance - für dich!
Alles Gute dir Drück dich...


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20:43 01.03.2011
Ich kann deine "Ausrede", dass du sie (noch) nicht besucht hast, gut verstehen und finde ehrlich gesagt, dass das auch ein Grund ist. Ich hab das auch so gemacht, bei einer Tante von mir. Aber am Ende musst du für dich entschieden, was richtig ist.
Wirklich traurig, wie sich die Leben deines Opas und deiner Oma so verändert haben =(
Ich wünsch dir viel Kraft für die nächste Zeit!
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2011-03-01 19:46