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2011-06-21 13:27
Handschriften und Alltagsfetzen

 

Manchmal denke ich, ich sollte es mir angewöhnen, einfach ständig ein Notizbuch zu Hand zu haben.

 

Aus den verschiedensten Gründen.

 

In letzter Zeit habe ich während der totlangweiligen Momente auf der Arbeit angefangen, meine Emails per Hand zu schreiben, um die Texte dann später zu scannen und so zu verschicken.

 

In den letzten zehn Jahren ist die Computertastatur mehr und mehr zum Mittel der Wahl geworden, Texte zu verfassen. Seit ich nicht mehr studiere, keine Vorlesungen mehr besuche, keine Mitschriften mehr nötig sind, schreibe ich kaum noch mit der Hand.

 

Das ist irgendwie schade. Meine Handschrift war nie die schönste, ganz sicher nicht und ich schreibe fehlerfreier, wenn ich am PC sitze. Per Hand baue ich oft komische Buchstabendreher ein oder verschlampe den einen oder anderen Buchstaben. Oder man kann nicht unbedingt immer mit Sicherheit sagen, ob ich nun ein kleine „h“ oder ein kleines „k“ geschrieben habe.

 

Eigentlich schreibe ich ja ganz gerne per Hand. Die handschriftlichen Mails waren da eine willkommene Abwechslung.

 

Und ich frage mich, ob da nicht auch etwas verloren geht, wenn man nur noch mit der Tastatur schreibt. Ich weiß, ich bevorzuge seit Jahren die Tastatur, auch zum lernen, aber ich muss doch zugeben, habe ich einen Text gelesen, mit Randnotizen versehen und Zusammenfassungen per Hand geschrieben, blieben mir die Inhalte doch besser im Gedächtnis. Von der Hand ins Hirn, an der Weisheit ist wohl doch etwas dran.

 

Ich finde also, es könnte mir durchaus gut tun, öfters mal per Hand zu schreiben. Aber was?

 

Da kommt das Notizbuch ins Spiel. Ich beobachte gerne Menschen. Wenn man mit offenen Augen durch die Welt geht, begegnen einem oft so interessante Charaktere. Flüchtig denkt man mal über sie nach, aber meistens geraten sie doch schnell wieder in Vergessenheit.

 

Wie der Althippie im Bus, den ich in einer der letzten Wochen sah. Er war wirklich eine Erscheinung. Die mit mehreren Henna-Kuren behandelten rötlichen Haare waren in einem dünnen Zopf geflochten, pinke Old-School-Mädchen-Haarklammern hielten ihm die Strähnen aus dem Gesicht. Ich weiß, meine Ma hat früher als Kind schon diese Art von Haarspangen benutzt, ein ovaler Ring und ein Stab in der Mitte und die Haare werden dazwischen fixiert. Goldschmuck trug er, der Typ im Bus, viele goldene Ohrringe, hängende, baumelnde, Piratenohrringe und eine Goldkette mit einem Medaillon. Groß und schlaksig war er, weswegen sein Outfit wohl noch unvorteilhafter wirkte. Jeanshotpants und Batik-Schlabbershirt. Tennissocken und Sandalen. Die Beine rasiert, im Gesicht ein Dreitagebart. Mit sich trug er einen Fahrradkorb in dem eine wirklich alte Spielkonsole lag. Ich kenne mich damit nicht wirklich aus, aber ich würde schätzen, es war eine von Nintendo, eine aus den 90er Jahren.

 

Begegnet einem eine Erscheinung wie dieser Althippie, dann fragt man sich doch schon mal, woher er kommt, wohin er geht, welche Geschichte hinter ihm steht. Er beschäftigt mich tatsächlich immer noch, aber meistens vergesse ich Menschen wie ihn viel zu schnell.

 

Ich mag die Tage, an denen ich bei der Arbeit einen Fensterplatz oder fensternahen Platz ergattere. Wir sitzen direkt an einem zentralen Platz in Bonn, Busse, Bahnen, alles hält hier, fast ein bisschen wie am Bahnhof, man kann in alle Richtungen umsteigen und es ist einfach immer was los.


Ohne diesen Fensterplatz wäre mir bis heute wahrscheinlich nicht bewusst, dass sich meine Stadt an den Anti-Atom-Montagsspaziergängen beteiligt. Vielleicht verfolge ich die lokale Presse zu selten, das ist durchaus möglich. Aber aufmerksam wurde ich auf die Aktion eigentlich nur, weil ich an Montagen am Fensterplatz ab fünf, halb sechs immer wieder Menschen mit bunten Anti-Atomkraft-Transparenten auflaufen sah. Auch gestern kamen sie wieder, trotz des schlechten Wetters, mit Bollerwagen und Stickern und Shirts und Flyern bewaffnet. Eltern, Kinder, ja, wirklich viele junge Familien, nicht nur die typische linke Studentenschaft, die einfach Spaß am demonstrieren hat, fast egal, um welches Thema es dabei geht.

 

Wenn man manchmal gerade durch die Studentenbezirke von Großstädten fährt, hat man den Eindruck, die Leute hängen dort ihr Fähnchen in den Wind, sprichwörtlich. Im Moment sieht man in den Fenstern vieler Großstadtwohnungen die gelbe Anti-Atomkraft-Fahne. Sie hängt in Fenstern und aus ihnen heraus. Natürlich ist es gut, im wahrsten Sinne des Wortes Flagge zu zeigen, mit seiner Meinung nicht unsichtbar zu bleiben, denn nur so kann sich etwas ändern. Aber ich erinnere mich daran, dass vor drei Jahren in denselben Stadtvierteln überall die Tibet-Fahne zu sehen war und vor rund neun, zehn Jahren beflaggte man sich großflächig mit der Pace-Fahne. Heute sieht man sie dagegen nur noch selten, die auf diese Weise zur Schau gestellte Solidarität mit Tibet oder das Ja zur Friedensbewegung. Natürlich herrscht in den Wohnungen der Großstädte eine gewisse Fluktuation, gerade in den Studentenbezirken, aber ich glaube kaum, in den meisten Fällen landet so eine alte von Wind und Wetter gebeutelte Flagge bei einem Umzug dann doch im Müll, die wenigstens werden sie in ihr neues Domizil mitnehmen. So ist es einfach, aus den Augen, aus dem Sinn. Spricht man nicht mehr darüber, dann gerät es in Vergessenheit.

 

Es wäre verdammt schade, wenn es so kommt, aber ich gehe davon aus, dass auch die Anti-Atom-Aktionen nach und nach abebben werden und nur die, die wirklich von der Sache überzeugt sind, werden übrig bleiben. Irgendwann spricht man nicht mehr darüber und dann werden wohl viele zu bequem sein, um jeden Montag bei Wind und Wetter durch die Innenstadt zu marschieren.

 

Aber ich war bei meinem Fensterplatz stehen geblieben. Da sieht man so viele interessante Menschen. Der Mann mit dem Fertigblumenstrauß, der mit dem Fahrrad davonfährt. Wohin wohl? Zur Mutter ins Krankenhaus? Zur Gattin nach Hause.

 

Hemmungslos turtelnde Pärchen, gehetzte Mütter mit schweren Tragetaschen und quengelnden Kindern, Leute die von der Arbeit kommen, zur Arbeit gehen. Solche Eindrücke müsste man eigentlich festhalten, regelmäßig. Wer weiß, wofür es mal gut ist. Es ist zu mindestens eine Fingerübung. Um das Schreiben per Hand nicht völlig abzulegen.

 

Wenn ich mal irgendwann ein bisschen Geld zu viel habe und mich dann daran noch erinnere, hätte ich durchaus Lust, meine Handschrift mal von einem professionellen Graphologen prüfen zu lassen. Ich weiß, vor x-Jahren habe ich mal online irgendwo einen Selbsttest gemacht. Das Ergebnis habe ich sogar noch. Manches trifft durchaus zu. Manches überhaupt nicht. Manche Aussagen widersprechen sich. Manches schmeichelt einfach schamlos. Aber so ist das wohl immer mit diesen Tests im Internet.

 

Die entsprechende Seite ist immer noch online. Ich habe gerade mal nachgeschaut. Das kam damals im Juli 2004 dabei heraus:

Die Deutung der Handschrift brachte folgendes Ergebnis:

C. ist ein impulsiver, unsteter, vielseitiger und unkonventioneller Typ.
Es fällt ihr nicht leicht, sich anzupassen.

C. ist von sich überzeugt und hat eine eigene Meinung.
Sie lässt sich von anderen nicht so leicht beeinflussen,
auch nicht von einem "Das gehört sich aber so."

Sie ist intelligent und nicht der Typ, der mit dem Kopf durch die Wand muss.
Ihre rationelle Art und Weise kann auf Leute, die ihn nicht kennen, kühl und nüchtern wirken.

Sie ist lebhaft und kontaktfreudig.
Mit viel Verständnis für die Belange anderer.

C. ist ein sehr gefühlsbestimmter Mensch.
Oft werden Entscheidungen gefühlsmäßig gefällt, obwohl bei
rein rationeller Überlegung eine andere Entscheidung die richtige wäre.

C. ist überdurchschnittlich intelligent.
Nüchtern und zweckmäßig bewältigt sie ihre Aufgaben.

C. legt Wert auf eine Grunddistanz zu ihren Mitmenschen.
Auch gute Kollegen müssen nicht alles wissen.

Sie arbeitet sehr genau und zeichnet sich durch rationales, analytisches Denken aus.

C. ist sehr stark um Gerechtigkeit bemüht.
Sie versucht stets, sich für andere einzusetzen.

Sie ist ein sehr humorvoller Mensch, bemüht sich, mit diesem Humor niemanden zu verletzen.

C. wirkt oft etwas nervös und wenig entspannt.

Sie ist dickköpfig und neigt schon mal zu trotzigen Reaktionen.

C. ist insofern bescheiden und wenig aufdringlich,
als dass sie es nicht nötig hat, die Umwelt bei jeder Gelegenheit
auf die eigenen Stärken aufmerksam zu machen.


Diese Deutung wurde auf den Seiten von www.graphologies.de erstellt.

 

Eigentlich sollte ich mir ja wirklich mal die Zeit nehmen und den Selbsttest erneut machen. Es wäre schon interessant zu sehen, wie viel sich im Ergebnis dann heute noch mal wiederholen würde. Ja, vielleicht mache ich das sogar noch heute Abend, wenn ich nach Hause komme. Wenn ich schon derzeit nicht das überflüssige Kleingeld für so eine Spielerei wie eine echte Graphologie habe, dann doch wenigstens das Nächstbeste. Ja, ich glaube, das hole ich heute Abend tatsächlich noch mal nach.

 

Und bis dahin überlege ich, wie ich mehr Handschriftpraxis bekommen könnte. Ich habe auch schon mal überlegt, ein handschriftliches Traumtagebuch zu führen. Das, was ich mir da manchmal zusammenträume, gehört eigentlich festgehalten. So bunt, so verrückt. An viele der besonders hervorstechenden Träume erinnere ich mich ja lange. So habe ich bis heute nicht vergessen, dass ich einst von Filipe träumte, dass er mich am Traualtar stehen ließ, um einen gewissen Siggi zu heiraten. Und ich glaube, der Traum ist mittlerweile bestimmt schon neun Jahre alt. Aber er hat mich wohl so nachhaltig schockiert, dass ich ihn bis heute nicht vergessen habe. Aber man kann schließlich nicht alle Träume behalten, viele verwandeln sich im Laufe des Tages in bruchstückhafte Erinnerungsfetzen ehe sie völlig verschwinden. Das ist schade, wirklich schade. Eigentlich. Wo ich doch gerne auch mal so High-Action-Science-Fiction-Magical-Girl-Vampir-Träume habe.

 

Eigentlich gibt es also genügend Gelegenheiten, mal wieder die eine oder andere handschriftliche Notiz zu verfassen. Ich müsste nur mal damit anfangen. Ich müsste mir nur mal ein Notizbuch zum ständigen Begleiter werden lassen. Ja, das wäre doch mal fein.

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