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Saturday, 20. April 2024
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 1910-06-12 hh:mm
Große Gefühle
So schon wieder paar Monate vergangen. Und ziemlich viel erlebt.! I. mal sind wir jetzt im Seminar II. Darin sind in unserm Seminar noch eine Präparandenklasse hinzugekommen. Also sind wir jetzt 4 Klasse. Unsere Anzahl wird immer stattlicher. Aus meiner alten Pension b.) Frau Tempel Schulzenstr. 18. mußten wir fort u. sind jetzt bei einer Klassengenossin untergebracht u. ich muß sagen, wir haben es großartig u. vor allen Dingen läßt uns Herr Liebau (neulich Oberlehrer geworden) unter Herrn Heinickes Aufsicht sehr viel Freiheit, u. das ist ganz großartig –
In der Schule geht es ganz gut. Noch eine neue Lehrerin Frl. Nauk ist hinzugekommen. Wir haben tüchtig zu arbeiten. Aber es ist doch schön in Torgau! Am Himmelfahrtstag machten wir einen Ausflug nach Planthaus mit der Donnerstaggesellschaft, anschließend Tanz, Da lernte ich „Walter“ kennen.
O, es waren entzückende Stunden. Wir haben so viel zusammen getanzt u. wir waren so glücklich. Hätte ich je gedacht, daß ich ihn mal kennen lernen würde!
Diese Wonne! Ich war so glücklich, daß ich ganz wenig gesprochen hab. Wer kann es mir auch verdenken. Wenn ich so glücklich war.
Mein Bruder hatte mich besucht u. Walter hatte in sofort erkannt, denn sie waren zusammen in Quarta. Wie eigenartig! Mir war es etwas unangenehm. Aber warum sollte ich ihn belügen! Ich hatte soviel Vertrauen zu ihm. Ich Schaf! Es war ja die einzigste Gelegenheit mich mal ordentlich mit ihm auszusprechen. Ich bin aber auch so komisch. Ich könnte jetzt so schön mit zu den Tanzstundenausflügen nach Zwetau mitgehen. Walter ist immer dort. Aber auch Grete Lehnig. Er poussiert nemlich mit ihr. Aber in einer Art und Weise. Grete tut mit leid, daß sie so dumm ist u. nicht merkt, daß er sie nur veräppelt. Denn, soll der Mensch nicht eingebildet werden, wenn sie ihn immer mit verklärten Blicken anschaut. Ich finde es nicht sehr nett von Walter, daß er sich so viel erlaubt, aber warum ist sie so dumm u. läßt sich alles gefallen. Ich tät es vielleicht auch so, oder vielleicht auch nicht. Ich finde in gewissen Grenzen muß der Mensch bleiben. Deshalb gehe ich nicht mit nach Zwetau, ich kann so etwas nicht mit ansehen. Denn ich liebe Walter leidenschaftlich u. das wäre schon ein dunkler Punkt. Wenn ich denke, daß er das nun mit mir auch so täte. O, wie furchtbar. Ich bin jetzt auch so zurückhaltend zu ihm. Oft sieht er mich traurig, oft so leidenschaftlich an. O, ich liebe ihn! Aber ich bin ein Trotzkopf, er hat das gemerkt u. ich glaube nur daß er sich mit Willen mit der Lehnig auf diese Weise amüsiert. Wäre das nicht der Fall. O, so fahre hin jeder Glaube an etwas hohes u. heiliges, jedes Schöne u. Ideale in der Welt! O, ihr Augen, ihr könnt nicht trügen, ihr sagt die Wahrheit! Er liebt mich. Lange ist er ja nun nicht mehr in Torgau. Vielleicht studiert er mal in Halle u. dann kann ich ihn vielleicht noch mal näher kennen lernen. O, daß sie ewig grünend bliebe, die schöne Zeit, der jungen Liebe. Ich besaß es doch einmal was so köstlich ist. Ich lebe nur in der Vergangenheit. Und nachts träume ich von ihm. Oft so schön, wir unterhalten uns nur durch die Augen u. zwar am schönsten, wenn er abends ½ 8 allein nach Hause geht u. einen Blick nach meinem Fenster im III. Stock wirft. Ja, schön ist es doch! - - - - -
Pfingsten war es sehr schön zu Haus. Fritz ist Vizefeldwebel geworden. Nach den Ferien war hier das berühmte Fest der Geharnischten. Es war ganz nett.
Schön war es auf dem Karossell.-
Trude Fischer ist geschaßt worden, weil sie zu weit gegangen war. Sie hat zu leichtes Blut, sie poussierte zu viel. Das liegt im Menschen drinn, das ist krankhaft. Sie tut mir so leid. Bald haben wir Sommerferien.-Pfingsten besuchte uns Josef Neumayer, er ist wohl ein tüchtiger Mensch, mir aber sehr unsympathisch. Doch ist es mir furchtbar wie er immer um mich herum war. Er wurde gleich immer so zutraulich. Ich glaube ja, daß er es ehrlich meint, doch kann ich etwas dazu, wenn ich die Sympathie nicht erwiedern kann.
Es kommt im Leben meistens anders, als wie man es sich gedacht hat. Bewahre mich am Born der Freuden vor Übermut u. wenn schon mir selbst versage, sei Du mit mir. - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - -

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