Mehr fällt mir dazu nicht ein, wenn man bedenkt, was mir mein Vater am Telefon erzählt hat. Das Blutergebnis meiner Mutter war soweit okay, sie muß halt nur ein wenig abnehmen. Wenn sie merkt, daß sie beim Sitzen Atemnot bekommt, muß die Wassertablette erhöht werden. Passend dazu fiel mir ein, daß man meine Mutter ans Laufen kriegen muß. Ich will mich ja nicht unnötig beschweren, ich weiß ganz genau, wovon ich rede: es bringt nichts, wenn man das Essen reduziert, die Bewegung aber außen vor läßt. Im Gegensatz zu meiner Mutter ist es mit meiner Atemnot nicht ganz so schlimm. Es gibt Tage, da habe auch ich zu kämpfen, aber bei mir hat das andere Gründe. Darauf will ich nicht näher eingehen, denn es geht hier nicht um mich. Eigentlich war das, was die Ärztin gesagt hat, ein Wink mit dem Zaunpfahl. Auffälliger geht es schon gar nicht mehr. Meine Mutter sollte sich mal Gedanken darüber machen, ob es nicht besser wäre, sich ein wenig zu bewegen. Sie muß ja nicht den halben Vormittag um das Haus joggen, aber sie sollte irgendwann mal in der Lage sein, bis zum Aldi zu laufen. Und wenn sie für den Hin- und Rückweg anderhalb Stunden braucht. Sie versäumt doch nichts. Sie muß auch nicht alleine gehen, mein Vater geht ja mit. Das ist doch mal was. Wie oft hat mein Vater schon den Vorschlag gemacht, daß man in die Stadt fährt und einfach mal einen Schaufensterbummel macht. Es spricht auch nichts dagegen, wenn man sich zwischendurch mal hinsetzt und was trinkt. Die beiden versäumen doch nichts. Wie oft hat meine Mutter schon erwähnt, daß sie für ein paar Minuten auf den Stepper geht? Oft. Hat sie das einmal in die Tat umgesetzt? Nein, hat sie nicht. Auf der einen Seite jammert sie rum, daß ihr der Rücken weh tut und auf der anderen Seite schlurft sie von einem Zimmer ins andere und läßt den lieben Gott einen guten Mann sein. Daß die Rückenschmerzen davon nicht weg gehen, ist so klar wie Kloßbrühe. Doch das muß sie selbst wissen. Sagt man was, ist sie tödlich beleidigt und schmollt fünf Tage. So viel zum Thema, daß man sich die Meinung sagen kann.

Ich kann mir jetzt schon vorstellen, wie es am Bodensee abläuft: man schleicht zur nächsten Bank und lädt meine Mutter dort ab, während mein Vater und ich mehrmals die Promenade auf und ab laufen. Es ist zwar nett, wenn man auf den See gucken und die Seele baumeln lassen kann, aber das wird auf die Dauer auch mal langweilig. An der Nordsee ist es nicht anders. Meine Mutter setzt sich ins Auto und stiert auf den Parkplatz, während mein Vater und ich das Meeresrauschen genießen. Irgendwann heult meine Mutter rum, weil sie der Meinung ist, wir hätten die Biege gemacht. Ich weiß nicht, wann meine Mutter das letzte Mal mit einkaufen war. Das ist schon eine halbe Ewigkeit her. Aber dafür müßte man ja vor die Tür und das geht gar nicht. Es ist mir egal, ob das jetzt unfair ist. Ich kann mich einfach nur ärgern, daß meiner Mutter das alles so egal ist. Es kommt vor, da ist mir auch alles egal, aber ich komme auch irgendwie klar. Ich muß mich in den Hintern treten, damit ich zumindestens jeden Samstag zum Sport gehe. Glaubt eigentlich jemand, daß mir das eicht fällt? Ich würde auch mal nichts machen, aber das kann ich nicht bringen. Wenn man von mir gewisse Dinge verlangt, kann man das von meiner Mutter auch. Ich quäle mich auch durch die Tage, ob ich nun will oder nicht. Ich habe mich schon so oft gefragt, was meine Mutter macht, wenn mein Vater mal nicht mehr ist. Ich kann sie nich mal eben zum Arzt fahren. Sie wird sich dann ein Taxi rufen oder den Bus nehmen müssen. Was ist, wenn sie einfach mal ins Geschäft muß? Ich kann mich nicht mal eben nach Hause beamen. Ich helfe ja gerne, aber ich lasse mich nicht zum Leo machen, auch nicht von meiner Mutter. Es ist schon traurig, wenn man das so sagen muß. Ich habe nun mal keine Lust, meinen Ärger ständig schlucken zu müssen.