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2006-08-20 12:17
Gedanken zu einer neuen Weltordnung (3)
Ich denke viel darüber nach, bzw. da denkt ständig etwas "in mir" darüber nach, was die Prinzipien eines funktionierenden Systems sein müßten. Ein System, das nicht auf darwinistischen Prinzipien beruht, nach denen es legitimiert, ja wünschenswert ist, wenn der "Stärkere" über den "Schwächeren" obsiegt, mithin als Folge davon - auch wenn es abgedroschen klingen mag, ist es trotzdem die Wahrheit - wenn eine "Oberschicht" ein paar weniger Superreicher die gesellschaftlichen Geschicke der Weltbevölkerung bestimmen, sie in Lohnsklaverei halten und nach Belieben ausbeuteten kann.

Der Stärkere braucht sich im Darwinismus (ist das nicht auch so ein schöner -ismus?) nichts vorzuwerfen, wenn er den Schwächeren aus dem Weg räumt. Schließlich ist die "Evolution" auf seiner Seite. Er ist der Auserwählte. Und: es ist insgesamt für alle - also insbesondere für zukünftige Generationen - besser, wenn sich der Stärkere immer weiter durchsetzt. So kristallisiert sich nach und nach "die beste aller Welten" heraus.

[Um das ein bißchen zu relativieren, füge ich hier etwas hinzu, das mir gerade einfällt und aber nun nicht in dieses Bild paßt. So ist zum Beispiel der Satz Hitlers berühmt-berüchtigt, den er gegen Ende des 2. Weltkrieges und in Anerkennung der kommenden Niederlage gesagt hat (oder haben soll). Er sagte: "Die besten sind ohnehin schon in den ersten Kriegsjahren gefallen." Und wenn der Rest des deutschen Volkes nun untergehen würde, dann hätte er es auch nicht besser verdient. Offenbar also: falsche Reihenfolge.]

Die kapitalistische Auslegungsform von Darwins Beobachtungen ist quasi ein Persilschein für den Stärkeren, den Schwächeren notfalls auch skrupellos zu eliminieren und damit die Evolution im "positiven Sinne" (Cui bono? mal wieder) weiterzuführen. Ich finde in diesem Zusammenhang im Begriff des kapitalistischen Darwinismus eine Parallele zum (militanten, extremistischen) Islamismus: es sind eben beides extremistische Weltanschauungen.

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Als Gradmesser des darwinistisch legitimierten und definierten Erfolges, so kristallisiert es sich mittlerweile eindeutig heraus, dient der Profit (dahinter steht: die Rendite). Je höher der Profit, desto größer der Erfolg. Im Extremfall kann es eine einzelne Person als "Erfolg" werten, wenn sie alle anderen Menschen um sich herum vernichtet hat und nun "Weltherrscher" ist.

[Das erinnert mich gerade an diesen schönen Kurzfilm mit den Figuren auf der frei schwebenden Platte und der Schatzkiste, um die der Streit nun entbrennt. Nachdem das letzte Männchen alle anderen Konkurrenten von der Platte geschubst hat, steht es nun der Schatzkiste gegenüber, kommt aber nicht an sie heran, weil es sonst selbst mitsamt Schatz von der Platte fallen würde.]

Man muß sich darüber im Klaren sein, daß dies eine Weltanschauung ist, die anderen Anschauungen völlig fremd ist. Was sich hier mittlerweile als Normalität durchgesetzt hat, als gesellschaftlich akzeptiertes Erfolgsbarometer, das hat in anderen Kreisen, die nach anderen Weltbildern leben, keinerlei Bedeutung, bzw. zum Teil sogar einen negativen bis kriminellen Beigeschmack. Insbesondere wenn man an das Zinsverbot denkt, das in diversen religiösen Schriften zu finden ist (insbesondere im Islam und im frühen Christentum) und das in früheren Zeiten unter Todestrafe stehende Wuchertum.

(Ich bin übrigens kein Anhänger des Zinsverbotes. Man könnte aber vielleicht mal über den Zinseszins nachdenken).

Man kann vermutlich sogar soweit gehen zu sagen, daß die Profitgier, die sich im Laufe der Jahre von den Spitzen unserer Konzerne bis in die kleinsten Zellen des Volkes durchgefressen hat, auf Völker, die das nicht kennen, ähnlich befremdend, bedrohend und moral- und sittenwidrig wirken kann oder gar muß, wie der "Ehrenmord" eines religiös verblendeten Vaters an seiner Tochter unter Mithilfe diverser männlicher Verwanden, vor dem wir Westler fassungslos davorstehen (wie zuletzt in Italien geschehen).

Bei diesem "fassungslosen Davorstehen" vergessen wir allerdings nur allzu leicht, wie viele Menschenleben (physisch und hierzulande mehr psychisch) die westliche Profitgier bereits gekostet hat. Wer zählt all diese Leben denn schon noch? Wen interessieren noch dahinvegetierende Arbeitslose, außer diejenigen, denen selbst das bescheidene Existenzminimum dieser Menschen noch zuviel ist?

Wen interessiert die afrikanische Bevölkerung (Nigeria u.a.), die für die Ölkonzerne Platz machen muß? Die Menschen, die ihre Fischereigrundlagen verlieren, weil die Ölförderung - für den Westen versteht sich - ihre Gewässer für Jahrzehnte verschmutzt und für Fische unbewohnbar macht? Wen interessieren Millionen Chinesen, die für Staudammprojekte umgesiedelt werden? - Das alles ist rein darwinistisch legitimiert, hat aber nichts mit Menschenrechten, Menschenwürde und Menschengleichheit zu tun, die sich der Westen so gerne auf seine Fahnen schreibt.

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Ich habe für ein System, das funktioniert und das nicht auf der Ausbeutung (vermeintlich) Schwächerer beruht, zwei Vorschläge, zunächst der eine: Ähnlich, wie sich Personengruppen anmaßen, ein Existenzminimum für das Leben erwerbsloser oder einkommensschwacher Menschen definieren zu können, um ihnen dementsprechend nur das maximal zustehende Geld zukommen zu lassen (mal abgesehen von Mißbrauch etwa soviel, daß sie gerade noch nicht auf die Straße gehen und die Geschäfte plündern), bin ich für die Definition eines Existenzmaximums. Das könnte lauten: Kein Mensch sollte deulich mehr Besitz haben oder anhäufen können, als er für seine tatsächliche Existenz benötigt.

Selbstverständlich gibt es unterschiedlich teure Existenzen. Wer ein Haus unterhält, der braucht mehr Geld als einer, der in einer Mietwohnung lebt usw. Und ich bin gar nicht für die "Abschaffung des Reichtums" als irgendeine Maxime - sehr wohl aber für seine Begrenzung. Ich finde es nett, wenn ich Leute mit einer schönen Yacht über den Wannsee fahren sehe. Aber sicher ließe sich - eben genau so wie beim Existenzminimum - eine Obergrenze für Reichtum definieren, wo beim besten Willen nicht mehr nachvollziehbar ist, wofür einer noch Geld und Besitz darüber hinaus brauchen sollte (muß eine Einzelperson soviel Geld haben, daß sie sich auf Marbella - dies ist eine Tatsache - eine eigene Autorennstrecke mit eigenem "Club der besonders Reichen" bauen kann?).

Insbesondere setzt sich dann vielleicht auch die Erkenntnis durch, daß das Überschreiten einer Reichtumsobergrenze demokratie- und verfassungsfeindlich ist, da so eine extrem große Machtkonzentration auf ein paar wenige demokratisch nicht legitimierte Personen fällt. Diese können mit ihrer Macht Entscheidungen herbeiführen, die gänzlich am Bürger und seinen Interessen vorbeilaufen. Sei es durch einen diktatorischen Firmenkurs oder durch die gezielte Interessenbeeinflussung durch einseitig berichtende Massenmedien, deren Inhalt "über lange Arme" allein und unbemerkt diese wenigen Superreichen bestimmen (und was dann "freie Presse" genannt wird und "Meinungsvielfalt" suggerieren soll).

Da dies alles tatsächlich auch geschieht und mittlerweile zu schlimmen gesellschaftlichen Verwerfungen geführt hat und weiter führt (Entsolidarisierung, Isolierung, Egomanismus mit allen Folgen), sind für mich solche reichtumsbedingten Machtkonzentrationen die eigentlichen Terrorzellen unserer Zeit. Es sind die eigentlichen Agitatoren und Profiteure der "Reformen", die Maden, die am Ausbluten des Volkes verdienen und sich nicht einen Deut darum scheren, was aus dem Rest wird - das alles darwinistisch legitimiert.

Aber: man kann ihnen das nicht mal vorwerfen, und ich tue das gar nicht. Unser System erlaubt ihnen das, ja, es lädt sie dazu ein. Natürlich kann man freiwillig darauf verzichten noch reicher zu werden. Aber da wir nicht in einem statischen System leben, sondern in einem dynamischen (das bringt spätestens der Zinseszins unweigerlich mit sich), bedeutet Nicht-reicher-werden-wollen praktisch Freiwillig-ärmer-werden. Man muß sagen, daß dies dem ganz normalen Existenztrieb des Menschen zuwider läuft und daher nicht erwartet werden kann.

Ich bin ohnehin dafür, daß es prinzipiell Möglichkeiten gibt, noch reicher zu werden. Der Apfelbaum darf ruhig stehen bleiben und die Schlange verführerisch säuseln. Wem das wichtig ist und wer das spannend findet (für die wirklich Reichen ist das ja wohl zu einer neuen Sportart mutiert), dem soll dieser Weg offen stehen. Ich bin dann aber für eine asymptotische, das heißt: sättigende Anpassung nach oben hin, daß es also für einen bereits reichen Menschen ähnlich dem Traktor-Pulling umso schwerer ist, noch reicher zu werden, je reicher er bereits ist.

[
Beim Traktor-Pulling zieht ein Traktor ein Gewicht hinter sich her, das hinter ihm immer höher fährt und immer näher an ihn herankommt, wodurch es immer "schwerer" wird. Zum Schluß kann das Gewicht nur noch mit übergroßer - und nicht lohnender - Kraftanstrengung weitergezogen werden, bis der Traktor schließlich zum Stillstand kommt.


Quelle: Wikipedia
]

Wichtig zu wissen: gerade dies ist bezeichnenderweise in unserem heutigen System genau umgekehrt! Ab einer bestimmten Reichtumsschwelle wird man ganz automatisch durch Zins und Zinseszins immer reicher, ohne was dafür tun zu müssen (Beweis: alle Menschen unter dieser Schwelle müssen dafür immer ärmer werden, was leicht zu beobachten ist. Oder wird etwa das Geld, um das die Immer-ärmer-werdenden jedes Jahr immer ärmer werden als jährliche Zinszahlung auf unsere Existenzberechtigung in eine Rakete gesteckt und an eine extraterrestrische Vermögensverwaltung geschickt?).

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Um eine obere Begrenzung des Reichtums auch lohnenswert zu machen (Frage dahinter: "Was habe ich davon? Warum sollte ich nicht noch reicher werden wollen, wenn doch die Möglichkeit dazu besteht?"), komme ich zu meinem zweiten Vorschlag für ein funktionierendes System und eine funktionierende Gesellschaft: ich bin für die allgemeine, gesellschaftliche Ächtung von Tätigkeiten, deren einziges und eigentliches und erklärtes Ziel es ist, - noch mehr - Profit zu machen.

Natürlich: wir sagen, unsere Konzerne und zuletzt jedes kleine Unternehmen hat genau diese Aufgabe: Geld zu erwirtschaften und Profit zu machen. Aber 1.: Wer sagt denn, daß es über den erwirtschafteten Profit noch mehr Profit erwirtschaften soll? Und 2. sagen das womöglich nur WIR! Warum soll das denn überhaupt stimmen und für alle Zeiten stimmen? Wir, das ist unser Darwinismus, ich möchte sagen: unser extremistischer Darwinismus. Warum soll denn nicht jemand eine Tätigkeit ausüben, weil sie seinem Wesen entspricht? Weil er/sie das gut kann, weil sie ihm Freude macht, weil dabei etwas Gutes für die Menschen herauskommt, weil für ihn/sie die Belohnung bereits in der Arbeit an sich liegt? Und der geldliche Lohn ist dann einfach nur eine logische Folge seiner/ihrer Tätigkeit, die Wertschätzung, aber eben nicht der eigentlich Antrieb. Warum sollte so eine Ansichtsweise von Arbeit nicht irgendwann auch Allgemeingültigkeit haben?

Wer in so einer Arbeitswelt arbeitet, nur um seinen Profit zu maximieren, der würde sofort schief angeguckt werden. Mit dem würde etwas nicht stimmen. Der hat offenbar keine Freude an seiner Arbeit und an seinem Leben, und muß das mit dem Geld aufwiegen, das er/sie heranholt für eine Tätigkeit, die er/sie eigentlich gar nicht ausüben will. Profitmaximierung wäre geächtet, es wäre schlicht "schlechter Stil", eine "schlechte Umgangsform". Es braucht dazu gar kein Gesetz. "Bequemlichkeit" und "Faulheit" (mithin: Arbeitslosigkeit) sind ja heute auch geächtet, ohne daß es dafür ein Gesetz geben würde.

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Ich bin fertig. Ich habe hier zwei Gedanken für eine funktionierende Gesellschaft etwas ausführlicher beleuchtet. Der eine: Begrenzung des privaten Reichtums, also entsprechend dem Existenzminimum die Definition eines Existenzmaximums mit asymptotischer Anpassung. Der zweite: Gesellschaftliche Ächtung von Tätigkeiten um des (noch größeren) Profites Willen.

Für mich wären das Maximen einer wirklichen "Neuen Weltordnung". Es ist praktisch genau das Gegenteil von dem, was unser tägliches Leben bestimmt.

Michael

Kommentare

21:37 22.08.2006
@mo: schon klar...aber kurz kannte ich bisher noch nicht,
werd mich mal schlau machen.
nur - da "kapitalismus" ja nicht wirklich als ideologie auftritt,
sondern quasi als "naturgegebener normalzustand"
und damit unklar wird, wo er anfängt und wo aufhört,
ist es halt ein grundsätzliches problem, die "opfer" so zu quantifizieren,
wie sich das "schwarzbuch: kommunismus" anheischig macht...
aber, wie gesagt - werd mich mal um den kurz bemühen...
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19:07 20.08.2006
moritours: es gibt ein schwarzbuch kapitalismus, und zwar von robert kurz. darüber hinaus gibt es eine fülle an kapitalismuskritischen büchern und ideologien, daran mangelt es bestimmt nicht.
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14:44 20.08.2006
tja - was könnte man dazu sagen, ausser: du hast sehr recht...
und - da bin ich pessimistisch - keine chance damit.
geld hat sich ja als wert inzwischen dermassen verabsolutiert und
von seiner quelle entfernt, dass es schon (fast) egal ist, ob es jemand mit
kinderpornos oder waffenhandel verdient hat...
es gab vor jahren mal ein "schwarzbuch: kommunismus", in dem penibel
alle aufgeführt wurden, die ihm zum "opfer" fielen.
nun - warum nicht...
- aber auf das "schwarzbuch: kapitalismus" warte ich vergebens.
und noch eine anregung: was wäre daran falsch, gehalt als
ausgleich für berufliche unbilden zu sehen ?
mercedes - ceo muss schliesslich keiner werden
( auch das noch: im verhältnis zu den einfachen angestellten sind
deren gehälter um ein zigfaches gestiegen - obwohl deren job
mittlerweile auch ein gut dressierter affe übernehmen könnte...
ist es doch so, dass mit den reallohn-senkungen der angestellten
u.a. auch versicherungen gegen fehlentscheide des managements
finanziert werden... )
so gesehen -
die wannsee-yacht eher für die krankenschwester oder putzfrau...
ist eigentlich auch erstaunlich: gerade die, die sich um unser aller
wohlergehen kümmern, werden am schäbigsten entlohnt.
dazu verabschiedet sich der staat von jeglicher finanziellen steuerung
und ist geradezu dankbar, wenn millionäre auch ein bisschen
steuern zahlen - oder von dem, was sie uns abgeknöpft haben,
etwas "stiften"...
ich könnte vor wut platzen, über das, was da im moment abläuft,
höre deswegen jetzt einfach auf und sage nur:
natürlich hast du recht.....!
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2006-08-20 12:17