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2008-04-18 21:25
Fußballtrikot-Träger in town
Das Berliner Straßenbild war heute in der Innenstadt geprägt von Fußballtrikots tragenden Männern, die oftmals nicht ohne Stolz einen wohlgeformten Bierbauch vergeblich darunter zu kaschieren versuchten. Morgen findet in Berlin das DFB-Pokalspiel zwischen Bayern und Dortmund statt, weshalb sich wie jedes Jahr die Fangruppen am Kudamm und auf der Fanmeile am Brandenburger Tor zum überteuerten Biertrinken treffen. In Berlin sprechen wir daher etwas abwertend vom Touristen-Nepp für Wessipack.

Einer meiner alltäglichen Lieblingsbeschäftigungen ist das Bücherlesen. Kaufen wäre mir zu teuer, aber es gibt ja diesen sensationellen Service der beiden großen Buchketten (Dussmann und Hugendubel), bei denen man sich einfach so die aktuellen Neuerscheinungen aus den Bücherstapeln heraussuchen kann, um sich dann bequem in einen Lesesessel zu pflanzen und die neuen Werke zu studieren. Ich verbringe oft stundenlang meiner Lebenszeit in diesen Läden und bin so ganz nebenbei zu einem ganz gutem Kenner der aktuellen Roman und Sexualbuchliteratur geworden. Vielleicht platziere ich in meinem Tagebuch ja demnächst auch mal eine Buchkritik.

Jedenfalls war ich heute wieder auf den Weg in eine Kudamm-Buchhandlung als mir mitten auf dem Kudamm Andreas Brehme, der Fußballer, der Weltmeister, der Millionär, entgegen kam. Überraschender Weise lief hinter ihm ein Bodyguard, sodass er alleine deswegen die volle Aufmerksamkeit auf sich zog. Ich würde aus dem Stehgreif bei dem Herren diagnostizieren: akutes Aufmerksamkeitsdefizit-Syndrom. Jedenfalls schritt Herr Brehme so demonstrativ auf wichtig machend den Kudamm entlang. Dies hatte jedoch auch eine sehr wohltuende Wirkung. Die disharmonischen Gesänge an der Bordsteinkante wurden plötzlich abrupt eingestellt und ersetzt durch offen aufgerissende Münder der Fans - vor Erstaunen.

Überhaupt fiel mir heute wieder mal auf, wie viele Touristen aus dem Ausland diese Stadt immer noch anzuziehen versteht. An der Ampel hört man sehr häufig französich oder englisch sprechende Menschen miteinander parlieren. Und so langsam dämmert es sogar mir, der Berlin eigentlich immer nur für eine überdimensionierte Provinz gehalten hat, dass die Hauptstadt womöglich tatsächlich auf den Weg zur Weltstadt sein könnte. Allerdings sehen die Außenbezirke und die Pfade fern jeder Touristenattraktion ärmlich aus, weil die Verhältnisse bekanntlich in Berlin größtenteils ärmlich sind. Unser Regierender Bürgermeister prägte diesbezüglich vor Kurzem den prägnanten Spruch: Berlin ist arm, aber sexy.

Die Zunahme der Obdachlosen ist unverkennbar und obwohl die Preise in Berlin in etwa ein Drittel unter dem Niveau in Westdeutschland liegen, so können sich die meisten Berliner nicht viel leisten. Wer mit offenen Augen durch die Stadt geht, wird die Armut sehen. Wie verhält es sich nun mit der vom Bürgermeister attestierten Sexyness der Stadt? Da Berlin nie eine Sperrstunde kannte (rührt noch aus der alten Zeit des Viermächtestatus her), hatte die Stadt schon immer eine sehr ausgeprägte käufliche Sexszene, die sich nicht in einem Sperrgebiet (wie oftmals in Wessiland) sondern über die ganze Stadt verteilte. Typisch berlinerisch sind die sogenannten Wohnungspuffs, als große Mietshäuser, in denen eine Wohnung rotlicht-gewerblich genutzt wird. Meinte der Bürgermeister das, als er Berlin als eine sexy Stadt bezeichnete? Ich weiß es nicht.

Wenn erst mal die Fußballfans wieder in ihre Heimat abgereist sind, kehrt hier endlich wieder die provizielle, verschlafene Ruhe ein, die in Berlin eben auch einfach typisch ist.

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2008-04-18 21:25