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Thursday, 28. March 2024
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 1919-05-18 hh:mm
Es ist unmöglich, von den Erei...
Es ist unmöglich, von den Ereignissen der Jetztzeit ein auch nur einigermaßen klares Bild zu geben! Jede Stunde bringt neue Sorgen, neue Qualen! Wir leben in beständiger Angst und Sorge, ausgewiesen und über den Rhein befördert zu werden! In Dillingen und Saarlouis werden 2 mal wöchentlich ganze Transporte Ausgewiesener weggesandt! Alle Spitzen der deutschen Behörden, Bürgermeister, Stadträte, Schuldirektoren, Lehrer und Lehrerinnen werden entfernt, um anerkannt franzosenfreundlichen Kandidaten Platz zu machen! Am schlimmsten ist jedoch, daß das Denunziantentum (die anonymen Briefe) in vollster Blüte steht und daß die frz. Kommandantur, dadurch irregeleitet, oft genug unschuldige Menschen in die Verbannung schickt, die von rachsüchtigen Spartakisten verleumderisch als Franzosenfeind bezeichnet wurden. Besonders sind es die früherern Nationalliberalen, welche über den Rhein gesandt werden, sowie die Zeitungsbesitzer, sodaß wir, d.h. ich, nun schon wochenlang in qualvoller Unruhe leben, ob mein Mann hier bleibt oder nicht. Unter der frz. Censur ist die Herausgabe der Ztg. derart erschwert, daß wir nun wissen, daß Rudolf unmöglich die Druckerei behalten kann. Mein Mann und ich sind am Ende unserer Kraft, wir müssen das Geschäft abgeben. Deshalb reisten wir gestern zu einem Sachverständigen nach Saarbr., um über die Gründung einer G.m.b.H. mit ihm Rücksprache zu nehmen! Gott gebe seinen Segen, daß wir endlich frei kommen! Die Art und Weise, wie wir während des Krieges bis jetzt lebten, ist kaum mit dem Ausdruck Leben zu bezeichnen. Die tägl. Sorgen mit dem Personal, welches unerhörte Forderungen an Lohn stellt, dabei immer weniger arbeiten will und nach dem Vorbild der Roten seine Forderungen mit Androhung von Streik durchsetzt – diese Sorgen drücken uns zu Boden! Dazu der Verlust von Vaterland und vielleicht auch Heimat, ferner der drohende Vermögensverlust – es ist zu viel für alternde Menschen! Täglich sterben hier Leute über 60 Jahre und es ist erwiesenermaßen nicht Nahrungsmangel, der sie zu Tode bringt – es ist Kummer u. Leid über die schlimme Zeit, die wir jetzt durchleben!
Dabei haben wir hier noch einen guten Kommandanten und bis jetzt noch keine Ausweisungen, aber die tägl. Sorge, in der wir leben, drückt die Bevölkerung nieder. –

In Saarbr. wimmelt es von Samoanern, Irganern, Engländern und Franzosen – es gibt kein deutsches Rheinland mehr. Die linksrheinischen Städte sehen bereits französich aus. Die Preise der eingeführten Lebensmittel sind so hoch, daß nur Wenige dieselben kaufen können: Käse a´Pfund = 13,50 M. Eier das Stück 1,20, Kaffee a´Pfund = M. 14, Häringe das Stück M. 1.10 !!! usw. Am teuersten sind Kleider und Kleiderstoffe, letztere kosten per Meter M. 70, 67 60, 45 etc.! Schürzenstoff pro Meter M. 14!!! – Herrenanzüge, gewöhnlicher Stoff, kosten M. 375!!!! Hosen M. 80!! Handschuhe Glace´, M. 27,25 etc, Bonbons Pfund = 15 M!
--- Die Reise nach Saarbr., welche früher hin und zurück M. 4,50 kostete, kostet jetzt 10 M!!
--- Zwei Tassen Kaffee mit 2 Stück Kuchen = M. 4,50 !!
Dabei kaufen die Arbeiterklassen überall die teuersten Sachen und werfen das leicht verdiente Geld mit vollen Händen fort, anstatt wie früher zu sparen. Die Revolution und der Bolschewismus haben den früheren, guten deutschen Volkscharakter total verändert.
Die neue Regierung hatte, nach dem Eintreffen der schrecklichen Friedensbedingungen, die vergangene Woche als Trauerwoche für das deutsche Volk bestimmt! Hier „erlaubte“ der frz. Kommandant, daß getanzt werde und als der kath. Pastor in der Predigt es tadelte, daß das Volk in dieser Zeit der Not tanze, wurde sofort, auch in der Woche, noch außer dem Sonntag, eine Tanzunterhaltung bestimmt und das rheinische, vergnügungssüchtige Volk tanzt während der schwersten Tage des Vaterlandes! --- --- ---

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