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2009-07-27 23:24
Endgültigkeiten
Da hängt man sich fast tagtäglich an Kleinigkeiten auf.
Man schimpft über das unbeständige Wetter.
Man findet sich in der neuen Jeans zu dick.
Die Haare liegen nicht.
Die Uni stresst einen.
Und die Freunde sind vielleicht auch gerade wieder mal blöd.
Womöglich ist man unglücklich verliebt.
Oder man ist gar verlassen worden.
Man ist erkältet...oder die Kopfschmerzen bringen einen mal wieder fast um den Verstand.
Man hat Zukunftsängste und weiß vielleicht manchmal nicht wie man alles schaffen soll.
Man fühlt sich womöglich (grundlos) einsam.
Oder man hat einfach einen schlechten Tag.
Man hat vielleicht Geldsorgen.
Oder Streit mit den Eltern.
Man ärgert sich, wenn der Bruder mal wieder die Musik zu laut aufdreht, wenn man lernen muss.
Man hat Zahnschmerzen und fürchtet sich vorm Zahnarzt.
Oder vor irgendeinem anderen Arzt.
Man zieht sich ängstlich die Decke über den Kopf, wenn draußen ein Gewitter tobt.

Vielleicht glaubt man gar der unglücklichste Mensch auf Erden zu sein.

Doch irgendwann fällt einem vielleicht auf wie sinnlos es ist sich wegen solchen Dingen auch nur eine Sekunde zu ärgern, zu ängstigen, zu sorgen.

Gestern erfuhr ich, dass Stefan, einer der beiden Jungs, mit denen Anne und ich vor kurzem in der Disco waren, am Wochenende gestorben ist. Ich erfuhr davon, weil plötzlich eine ganze Kaskade Beileidsbekundungen in sein Gästebuch geschrieben wurden. Und eine geraume Zeit lang hielt ich das sogar für einen makaberen Scherz. Als ich Anne fragen wollte, was da bloß passiert sei, meinte sie sie wolle nicht darüber reden.
Da wusste ich, dass es stimmen musste. Und dennoch konnte ich es nicht realisieren.
Ich hatte den ganzen gestrigen Tag eigentlich zum Lernen nutzen wollen. Doch anstatt zu lernen saß ich den ganzen Tag neben meinen Büchern und starrte Löcher in die Luft.
Ich glaubte schon verrückt zu sein. Das konnte unmöglich der Realität entsprechen.
Dieser lebenslustige junge Mann....

Ein verrückter Hardcore-Freak. Er hatte sich den ganzen Rücken mit einem riesigen Hardcore-Logo tättowieren lassen. Er hatte eine Freundin mit zwei kleinen Kindern, die nicht seine eigenen waren. Dennoch kümmerte er sich um sie. An dem Abend, an dem wir zu viert weg waren hatte er Anne noch mit ihrem Outfit beraten. Sie hatte einen schwarzen Rock und ein schwarzes Oberteil an. Er wollte sie überreden einen weißen Rock anzuziehen.
"So siehst du aus als würdest du zu einer Beerdigung wollen, " meinte er und fügte danach noch schmunzelnd hinzu "farblich natürlich. Wenn du im Minirock auf einer Beerdigung auftauchen würdest, käme das vielleicht doch etwas komisch."
Auf der Fahrt in die Disco outete er sich stolz als Miley-Cyrus-Fan und gab zu im Kinofilm von ihr geweint zu haben.
In der Disco wollte er mir zeigen wie man auf Hardstyle tanzt, was daran scheiterte, dass ich der Meinung gewesen war silberne Pumps anziehen zu müssen.
Später als wir zu dritt im Pool saßen, war er ganz fasziniert von dem vollbusigen Mädchen, dass sich auch zu uns gesetzt hatte.
"Du hast wirklich keine Ahnung von der Planung, " sagte er vorwurfsvoll zu mir als ich zugab eine elektronische Musikrichtung nicht von der anderen unterscheiden zu können, "aber ich kann dich trotzdem leiden."
Er lud mich sogar ein mit auf die Nature zu fahren dieses Jahr.
Dazu wird es nun aber nie kommen.

Er und Annes bester Freund waren vergangenes Wochenende auf einem anderen Event. Zumindest Stefan sollte nie davon nach Hause kommen.
Offenbar hatten sie einen Unfall. Ich weiß keine Details.
Während sich Annes Freund irgendwie verletzt aus dem Wagen retten konnte, verbrannte Stefan darin.

Verbrannt....mir läuft eine Gänsehaut den Rücken hinunter, wenn ich es nur aufschreiben soll. Ich bin sprachlos angesichts dessen.
Ich kannte Stefan kaum und dennoch kann ich an nichts anderes denken.

Man hört immer wieder von solch tragischen Unfällen.
Doch wenn man plötzlich jemanden kennt, dem so etwas passiert, dann wird einem bewusst, dass einem irgendwie doch nie so richtig klar war, dass solche schrecklichen Dinge tatsächlich passieren.
Wenn man weiß wie seine Stimme sich anhörte, wenn man sich beim Feiern umarmt hat, wenn man zusammen gelacht hat, sich voneinander erzählt hat. Wenn man noch genau vor sich sieht wie sich winzige Lachfalten in sein Gesicht drücken, wenn er lacht. Wenn man noch seine kurzen Stoppelhaare unter der Handfläche fühlen kann, wenn man ihm scherzhaft über den Kopf gestreichelt hat.
"Kaninchenfell" haben Anne und ich seine Haare genannt.

Und zu begreifen, dass all das nun...nicht mehr da ist, dass dieser vor Leben strotzende Mensch verbrannt ist, tot ist...dass dieser Mensch nirgendwo auf dieser großen Erde mehr auffindbar sein wird, egal wie weit man laufen würde, egal wie viel Zeit verstreichen würde...
Diese Endgültigkeit, die einem auf einmal wie ein eisiger Wind ins Gesicht weht....
Man fragt sich ob man vielleicht nur träumt, doch einen Augenblick später fällt einem auf, dass alles andere nur ein Traum war.

All meine sogenannten "Sorgen"....
Die Zahnschmerzen.
All diese Jungs und Männer....ob Dominik mich nun liebt oder nicht...
Ob ich mal heiraten werde.
Ob ich meine Klausuren bestehe.
Die nie enden wollende Lernerei.
Panikattacken.
Wenn Lissy und Klara mal wieder nerven...
Wie klein und unbedeutend ist das alles doch angesichts der Tatsache, dass jede Sekunde die letze für einen sein könnte.
Angesichts dieser Tatsache erscheint jeder noch so kleine Augenblick, in dem ich mich wegen so etwas sorge oder ärgere, als eine so große Verschwendung, dass es mir den Atem nimmt.

Wie glücklich ich mich doch eigentlich schätzen kann !
Sicher...man kann nicht immer glücklich sein.
Aber man lebt immerhin und alles kann sich noch zum Besten wenden !

Irgendwann verlieben wir uns vielleicht doch richtig ineinander, Dominik und ich. Vielleicht werden wir ein Paar.
Vielleicht auch nie.
Vielleicht kommt ein anderer irgendwann.
Vielleicht werde ich mal eine erfolgreiche Schauspielerin !
Vielleicht auch nicht.
Vielleicht werde ich auch etwas ganz anderes.
Vielleicht kommen irgendwann richtig schöne Zeiten mit Lissy und Klara. Und vielleicht kommen wir auch nie auf einen Nenner.
Dafür lerne ich vielleicht andere Freunde kennen.

Solange man lebt...besteht die Chance, dass alles gut wird.
Auch wenn einem alles schlecht und übel vorkommt.
Es besteht immer die Möglichkeit, dass man bald wieder glücklich ist. Dass man dauerhaft glücklich ist.
Und daher kann man doch eigentlich immer Hoffnung haben und braucht nicht zu verzweifeln was auch immer kommt.

Und dennoch kann man sich kaum rühren vor Schreck, in dem Augenblick, in dem man das erkennt.
Weil sich für Stefan nichts mehr wenden kann. Nicht zum Guten und nicht zum Schlechten...

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Kommentare

14:27 28.07.2009
Seltsamerweise hatte ich gestern dieselben Gedanken wie du. Habe mri gedacht, wie unwichtig doch manchmal unsere Probleme sind.
Es hört sich schlimm an...ich drücke dich ganz fest, Süße!
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09:13 28.07.2009
Auch wenn sich das jetzt vielleicht hart anhören mag:
Jedes Problem ist es wert, als solches gesehen zu werden, denn es beschäftigt einen Menschen, macht ihn traurig, wütend, verletzt ihn oder schädigt ihn.
Klar, der Tod ist immer das Schlimmste, aber auch nur dann, wenn man den Menschen gekannt hat. Sonst ist einer von vielen.
Du dir selbst einen Gefallen und verlier dich nicht in Sentimentalitäten und philosophier über das Endgültige und nie wieder Auffindbare, denn so ist es nunmal wenn einer tot ist. Das ist verflucht hart, schwer zu begreifen (wenn überhaupt) und macht einen schwindelig. Aber es hilft dir nicht und ihm auch nicht mehr.
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08:34 28.07.2009
das ist wirklich schrecklich traurig, der arme kerl.
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02:08 28.07.2009
schlimm. und ähnlich wie du, denke ich bei solchen anlässen, ob er sein leben bis zum tod wirklich gelebt hat. ob er's richtig gemacht hat. ob er so glücklich war, wie er es hätte sein sollen? und dann die entsprechenden fragen an einen selbst. was will ich? mach' ich's richtig? deine antworten und gedanken finde ich tough und zielgenau. die richtige ausgangsbasis!
Good luck!
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2009-07-27 23:24