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2018-05-04 13:00
Einträge "gemeinsam" schreiben

Meistens ist es ja so, dass ich "in Ruhe gelassen werde", wenn ich schreibe. Am Laptop funktioniert das meistens leichter als in meinem eigenen Tagebuch, weil ich mit dem Schreiben per Hand meinen eigenen Gedanken nicht so schnell hinterherkomme wie durch's Tippen.

Wie ich darauf gekommen bin, dass auch im Internet mehrere Anteile etwas zu sagen haben (ich will das Wort Anteile ja eigentlich vermeiden, aber mir ist noch kein besserer Ersatz dafür eingefallen), lag an meinem Blog.

Gut, die ersten Wochen der Klinik fehlen mir absolut. Ich erinnere mich an Bruchstücke, an Gesichter, einige Situationen sind aber eher wie im Traum oder so entfernt, dass wenn ich nach ihnen greifen will, sie mir einfach entschwinden - nervig!

Ich weiß nur, dass mein Blog mir scheinbar immer ein Verhängnis war. Immer wieder wurde ich von einem Arzt auf meinen Blog angesprochen - ich weiß bis heute nicht, woher sie von meinem Blog wissen. Ich habe ihnen sicher nie etwas davon gesagt.

Es kamen immer wieder Fragen wie: "Haben Sie die letzte Zeit wieder in ihrem Blog geschrieben?" (diese Frage wurde irgendwann Standard). Und jedesmal antwortete ich ganz ehrlich: "Nein", wunderte mich aber selber, dass plötzlich soooo viele Einträge in meinem Blog waren. Ich weiß nicht, ich habe mich gar nicht so großartig damit beschäftigt in der Zeit... ich keine Ahnung... auch in dem Bezug ist in meinem Kopf ganz viel Nebel.

Jedenfalls bekam ich dann irgendwann vorgeworfen, ich würde sie anlügen, denn die Kripo (ja, die Kriminalpolizei! - mit der ich ja letztendlich in die Klinik gebracht wurde), würde regelmäßig anrufen, weil ich im Blog Suizid ankündige.

Ach, so ein Scheiß! Ich bin bei diesen Anschuldigungen richtig wütend geworden, habe gesagt, dass ich mir so etwas nicht unterstellen lasse, etc. pp.

"Das steht aber in Ihrem Blog."

Himmelnochmal!

Ich war SO sauer, weil ich mir zu 1000 % sicher war, dass ich niemals öffentliche Suizidankündigungen mache - schon gar nicht, wenn ich

a) weiß, dass das die Kripo mitliest

b) gerade in einer Geschlossenen bin und

c) als aufmerksamkeitsgestörte Borderlinerin abgestempelt war

Ich habe mir nicht die Mühe gemacht, alle meine Einträge durchzulesen, denn ich weiß doch, was ich in meinem Blog schreibe! Ich war einfach nur wütend und all das führte weiter dazu, dass ich noch misstrauischer wurde und schon verschwörte, dass die Ärzte mich nun "verrückt machen wollen", um mehr Geld mit mir zu verdienen. Ich weiß, klingt bescheuert, aber was würdet ihr denn an meiner Stelle denken?!

Jedenfalls war das noch relativ lange bevor ich das erste Mal von dieser DIS erfahren habe oder allgemein, dass man in so einem dissoziativen Zustand ganz bewusst Dinge macht, an die man sich danach nicht erinnern kann.

(Ich meine, hey: Ein Anteil von mir kann Klavier spielen. Ich habe ein Beweisvideo, das iich meiner Mutter geschickt habe, auf dem ich "River flows in you" auf dem E-Piano spiele. Ich schwöre aber bei Gott, dass ich kein einziges Lied auf einem Klavier kann, außer vielleicht Alle Meine Entchen - aber definitiv nicht zweihändig).

Nun, jedenfalls... irgendwann, sehr viel später, kam die Besitzerin der Ponys mal zu Besuch - da war dann das mit den verschiedenen Handschriften und Erinnerungslücken etc. schon aktuell... und dann meinte sie: "Du, Jessi... du darfst dich aber nicht wundern, dass sie dich nicht rauslassen. Im Blog schreibst du etwas ganz anderes, als was du mir hier gerade sagst. Erst letzte Woche steht da noch, dass du dich vor den nächsten Zug schmeißt, wenn du hier draußen bist."

Mir ist das Herz stehen geblieben. Diese Anschuldigung von Ärzten zu hören ist eine Sache. Die andere ist aber die, es von einer Person zu hören, der du blind vertraust und bei der du weißt, dass sie viel Ahnung von Menschen und Psychologie hat. Und sie war diejenige die sagte: "Hast du schon einmal daran gedacht, dass vielleicht nicht bloß du deine Blog führst?"

Ich hätte kotzen können, so schlecht ist  mir bei dem Gedanken geworden.

Ich habe an diesem Abend sofort meinen Laptop mit dem Internet verbunden und so viele Einträge wie möglich durchgelesen.

Boah, ich glaube das war eines der krassesten Erkenntnisse kurz nach der Idee mit der DIS.

Tatsächlich waren da Einträge, die... na ja, von der Überschrift her kannte ich einige - aber nicht alle. Und die Inhalte waren mir teilweise völlig fremd, andere bloß bruchstückhaft.

Am krassesten fand ich ja aber, dass es zu jedem verfickten, einzelnen Tag einen Eintrag in der Psychiatrie gab! Ich dachte, ich falle vom Glauben ab!

Die ersten Einträge habe ich noch gelesen. Und es ist seltsam, das zu beschreiben.

Die Einträge lesen sich für mich so, als würde jemand ein Buch über mich schreiben, der mehr Infos über meinen Alltag hat als ich. (kompliziert? Ja - ich kapiers immer noch nichts ganz). Bzw. weiß ich nicht, wie ich es in Worte fassen soll.

Es waren in den Einträgen unter anderem schon Situationen dabei, die ich bildlich dann wieder kannte... wie zum Beispiel... ich weiß jetzt gar kein Beispiel... aber zu einigen Absätzen kamen mir Bilder hoch. Andere blieben mir völlig fremd.

Wie ich die erste Fixierung zum Beispiel miterlebt habe - und das auch noch von einer Patientin, die ich schon seit fünf Jahren über die Arbeit kenne. Ob ich mich daran erinnere? Nein. Ich kann mir das nicht einmal im Traum ausmalen, obwohl (paradoxerweise) die Bilder zu diesem Eintrag wie im Traum in meinem Kopf herumschweben...

Jedenfalls... ich habe es nicht geschafft, alle Einträge zu lesen - die meisten habe ich nur überflogen und musste mehr als die Hälfte löschen oder zumindest passwortgeschützt einrichten, weil das Dinge sind, die im Leben niemals jemand wissen muss. Echt nicht.

Und tatsächlich... Himmel, mich schüttelt es immer noch bei dem Gedanken - ich kriege Gänsehaut!

An irgendeinem Tag im Dezember... oder Anfang Januar... steht diese Situation, in der ich eine Klinge geschluckt habe. Das ist aber eine so irre, abgefahrene und anstrengende Geschichte für mich (meinen Kopf) - und alle anderen in mir, dass ich das hier nicht weiter ausbreiten will.

Diese Erinnerung ist auch bloß wie ein Traum. Ich weiß, wie der Arzt sich sprichwörtlich "auf mich warf"... irgendwie war alles voller Blut, er drückte mich aufs Bett, eine Betreuerin packte mich am Kopf - Unterkiefer und Kopf eben.... und schüttelte... ich schmeckte Blut/Metall und SCHOCK! Da ist was in meinem Mund! Ich spuckte und eine Klinge flog auf denn Boden.

Danach erinnere ich mich nur noch an Gesichter. Ganz viele Gesichter um mich herum und Pieptöne. Die Pflege muss den Alarm gelöst haben. Ein Dutzend (mehr) Pfleger und Ärzte standen in meinem Zimmer.

Und danach liege ich plötzlich fixiert im Bett.

Wie das alles passiert ist... fragt mich nicht. Ich würde ja gerne zu dem Anteil, der die Klinge geschluckt und das alles bewusst erlebt hat sagen: "Hey, komm mal raus und erzähle, wieso das passiert ist und was genau passiert ist"... aber leider kann ich das nicht. Ich habe nicht das Sagen über das System in meinem Inneren.

In diesem Eintrag stand nur kurz und knapp: "Heute habe ich eine Klinge geschluckt und wurde fixiert" (so oder so ähnlich).

Und nach diesem Eintrag folgten immer wieder welche, in denen stand: "Keiner kann mich davon überzeugen, dass irgendwas besser wird. Ich habe mich entschieden und ich werde sterben, egal ob sie mich heute oder in sechs Monaten entlassen." So in der Art kam es immer wieder vor.

Mich wunderte gar nichts mehr.

Natürlich wurde ich als verlogen dargestellt, natürlich war ich eine Borderlinerin, die in der Öffentlichkeit nach Aufmerksamkeit sucht. Alles, was in diesem Blog stand, bestätigte die Ärzte bloß in meiner Fehldiagnose.

Ich habe diesen Anteil so lange so sehr dafür gehasst.

Ob diese Suizidankündigungen aufgehört haben, nachdem ich ja nun davon wusste? Ob ich beeinflussen konnte, dass nur noch ich vorne bin, wenn ein Eintrag entsteht? Nö. Es hat nichts geändert. Die Suizidankündigungen liefen immer fort.

Ich weiß nicht, welcher Anteil das war. Instinktiv würde ich Vivi sagen, sicher bin ich mir nicht und will es deshalb nicht festlegen.

Aufgehört hat es erst, als FVH (Die Psych von meiner besten Freundin) mir eine Sprachnachricht schickte, in dem sie uns alle ansprach: "Jessi, es ist jetzt ganz wichtig, dass mir alle gut zuhören: Damit ihr da rauskommt, müsst ihr alle, wirklich jeder Einzelne von euch, an einem Strang ziehen! Solange ihr da drinnen seid, wird euch nicht geholfen."

Ich will nicht behaupten, dass es an dieser Sprachnachricht lag. Lustigerweise wurde plötzlich alles besser und ab da na erinnere ich mich auch ein wenig besser an meinen Aufenthalt. Zwar nicht lückenlos, aber nicht mehr ganz so schlimm Erinnerungslücken-mäßig wie zuvor. Und nur zwei Wochen später hieß es, es geht mir ja jetzt so gut, dass ich in zwei Wochen entlassen werden kann.

Da ja "ganz plötzlich" alles funktionierte - fast wie von einem Tag auf den Anderen - stempelte mich die Ärztin als "krankhafte Lügnerin" ab.

Ab dem Zeitpunkt hieß es ja dann nämlich auf einmal, dass ich "gar nichts" habe und alles bloß schauspiele und kerngesund bin.

Deshalb hat sie das Indikationsschreiben an die Traumaklinik der Gutachterin nicht unterschrieben, etc pp.

Total absurd. Dieser Psychiatrie-Aufenthalt kann echt gut einem Klischee-Psychiatrie-Film nachkommen (Menschen werden festgehalten, mit Medikamenten zugepumpt, Betten befüllen um Geld zu machen, Ärzte sind Götte - Patienten sind krank und unzurechnungsfähig: alle!).

Einfach nur krass.

Dieser Erfahrung hat mir jetzt aber gezeigt, dass diese Psychiatrie-Filme scheinbar nicht von irgendwoher kommen.

Und ich will ja niemandem Angst machen, aber vor kurzem lief doch "Unsane" in den Kinos.

80 % von dem, was da abging im Film, war gar nicht so realitätsentfernt.

Ich habe diesen Film deshalb auch nicht wirklich gut ausgehalten. Er war eigentlich gar nicht so schlimm und nicht besonders gut. Aber eben weil so vieles so dermaßen wahr ist, haben mich einige Szenen extrem getriggert. Was noch viel unheimlicher ist: Ich empfand das Umfeld in der Psychiatrie gar nicht mehr als unnormal. Erst als ich das erste Mal nach vier Monaten wieder raus - und nach Hause durfte für eine Nacht, dachte ich mir bei meiner Rückkehr: Oh mein Gott, wie habe ich das all die Monate hier drinnen bloß ausgehalten?

Jetzt ist mir klar - anhand schon der fehlenden ersten Wochen des Aufenthaltes: Ich war gar nicht wirklich dabei. Das meiste haben meine kleine Helferlein weggesteckt (HEY! Das ist doch mal ein geniales Wort! Foot in mouth)

 

Aber jetzt bin ich mal wieder aboslut vom Thema abgekommen. Jedenfalls. Das Ding mit dem "gemeinsam Einträge schreiben", ist so:

Wenn ich diesen Eintrag hier schreibe, müsste ich die nächsten Tage noch einmal alles durchlesen und schauen, ob wirklich alle Sätze, oder sogar ganze Abschnitte/Absätze von mir sind, ich mich daran erinnern kann, oder ob zwischendurch mal jemand nach vorne gesprungen ist, um mitzureden.

Weil ich das nicht mitkriege, kann ich diese Stellen auch nicht während dem Schreiben markieren. Also quasi: Wenn Vivi vorne ist, markiere ich die Absätze ...meinetwegen rot, oder wenn Summer vorne ist, markiere ich die Absätze blau.

Kein Plan - das funktioniert nicht, denn ich merke es ja nicht.

Und wenn ich jetzt diesen Eintrag noch einmal durchlese, woher weiß ich, ob ich ständig vorne bin, während ich das lese, oder ob das nicht vielleicht sogar ein ganz anderer Anteil liest?

Das vermute ich ja mittlerweile nämlich. Denn ich kann mich erinnern, dass alle Einträge direkt nach dem Schreiben noch einmal durchgelesen werden, kann mich an das geschriebene danach aber nicht mehr erinnern... ich denke mittlerweile, dass Judy die Aufgabe des "Korrekturlesens" übernimmt. Sie kümmert sich dann meistens bloß um die Satzzeichen oder Rechtschreibung, etc.

Allerdings auch nicht immer - manchmal veröffentliche ich einen Eintrag und der bleibt unkontrolliert so wie er ist.

 

Nun ja... da ich ja nun weiß, dass es einige Anteile in mir gibt, die sich der Welt auch gerne mitteilen, ist das nicht mehr möglich.

Ich nehme mir schon vor, nach ein paar Tagen immer wieder mal Einträge durchzulesen und anschließen die Stellen zu markieren, die nicht von mir geschrieben sind (so einen Eintrag gibt es schon in meinem Blog) Falls der Link sich öffnen lässt:

https://gezaehltetage.wordpress.com/2018/04/23/chaos-alltag-eintrag-mit-switchs/

 

falls nicht, einfach bei Google eingeben: "gezaehltetage Chaos Alltag (Eintrag mit Switches). Also falls das jemanden mal interessiert, wie das dann aussieht.

 

so... jetzt muss ich aufhören (Kopf laut, Faden verloren)

 

 

Kommentare

07:29 06.05.2018
Ich selbst habe es immer geschafft, um die Psychiatrie herum zu kommen. Aber ich kenne viele Menschen.. und habe auch in den Kliniken immer wieder genug getroffen, die mir wahre Horrorgeschichten erzählt haben. Viele , die mit neuen Traumata aus der Psychiatrie wieder herausgekommen sind.

Ich versuche immer rational zu denken. Dass die Pfleger und Ärzte einfach keinen Schimmer haben und sich nicht anders zu helfen wissen. was soll man sonst mit einem menschen tun, der sich akut töten will ? als ihn zu fixieren und ruhig zu stellen....? Aber es ist unmenschlich. unsozial. traumatisierend.
Soll der Kommentar wirklich gelöscht werden?
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