Willkommen auf Tagtt!
Thursday, 18. April 2024
Alle » News, Bilder, Videos - Online
2010-09-07 07:47
Der weinende Clown - 47

Als er fünf Stunden später erwachte, stand die Sonne bereits hell am Himmel. Bruno frühstückte ausgiebig, ging ins Bad und zog sich an.

Etwa zehn Minuten vor zwölf machte er sich auf den Weg zur Parkbank. Sie saß bereits dort und wartete auf ihn, neben ihr ein kleiner, dunkelblonder Junge, ungefähr fünf Jahre alt, der konzentriert ein Comic-Heft betrachtete und dabei seine Beine baumeln ließ. Als sie ihn kommen sah, winkte sie von Weitem.
„Hallo Sarah“, begrüßte er sie.
„Na – schon ausgeschlafen? Das ist übrigens mein Sohn.“
Der Junge stand auf, reichte Bruno die Hand, sah ihn etwas befremdet an und sagte schüchtern: „Hallo.“
„Ich bin Bruno – und du?“
„Ich bin Karsten.“
„Deine Mama hat mir schon von dir erzählt.“
„Sie mir auch von dir. Du schreibst Bücher, hat sie gesagt. Und sie findet dich toll.“
„Stimmt. Ich bin Schriftsteller.“
„Ich mag Bücher. Vielleicht schreibe ich auch Bücher, wenn ich mal groß  bin und dann lesen ganz viele Leute das, was ich geschrieben habe“, meinte der Junge.
„Das solltest du dir gut überlegen, es ist nicht so einfach“, erwiderte Bruno.
„Warum ist das nicht einfach? Man muss sich doch nur Geschichten ausdenken und dann hinschreiben.“
„Irgendwie hast du schon Recht“, meinte Bruno und grinste.
„Na also“, sagte Karsten altklug. Seine anfängliche Schüchternheit war wie weggeblasen.

Sarah saß daneben und lächelte, dann meinte sie: „Nein Karsten, so einfach ist es nicht. Es genügt nicht, sich nur eine Geschichte auszudenken. Sie muss auch gut sein. Und dazu sollte man sehr gut mit Sprache umgehen können.“
„Aber ich kann doch schon ganz toll reden“, entgegnete der Junge.
„Zwischen Reden und Schreiben besteht ein gewaltiger Unterschied.  Aber das verstehst du noch nicht.“
„Mama! Immer sagst du, ich verstehe das nicht! Ich verstehe aber schon eine ganze Menge!“, entrüstete sich Karsten.

„Wie wäre es, wenn wir jetzt ein Stück rausfahren?“ Zu Bruno gewandt meinte sie: „Ich habe meinen Wagen ganz in der Nähe geparkt.“
„Klar, gerne.“
„Au ja“, rief Karsten begeistert und lief voraus, Sarah stand auf, suchte Brunos Hand und gab ihm einen Kuss auf die Wange. „Na? Alles im grünen Bereich?“, fragte sie.
„So einigermaßen, ja. Geht schon.“
„Klingt ja nicht sehr überzeugend.“
„Doch. Alles in Ordnung. Mich beschäftigen nur so ein paar Dinge, weißt du.“
„Darf ich neugierig sein?“
„Ich schreibe gerade an einem Roman, der mir etwas suspekt vorkommt.“
„Aha – ein Roman, der dir suspekt vorkommt“, wiederholte sie etwas verständnislos.
„Ja, suspekt. Ich weiß nämlich nicht so genau, was ich da schreibe und warum ich es schreibe, doch innerlich drängt mich etwas dazu, es zu tun“, antwortete er wahrheitsgemäß. „Aber das eigentlich Faszinierende daran ist, dass ich erst immer dann den Sinn erfasse, wenn es geschrieben steht. Zumindest etappenweise.“

Eine kurze Pause entstand. Er hätte ihr gerne mehr erzählt, woher seine Inspirationen kamen und auch über die Gespräche nach oben, doch es war ihm strikt verboten worden und zudem hätte sie es ohnehin nicht geglaubt, ihn höchstwahrscheinlich für verrückt erklärt oder für einen Spinner gehalten.
„Nun ja, Künstler sind immer etwas exzentrisch, oder?“, nahm sie das Gespräch wieder auf.
„Mag sein. Aber ich halte mich nicht für einen Künstler. Ich bin nur ein einfacher Schreiberling, nicht mal das, was man landläufig unter dem Begriff Autor versteht – eher ein Wortklauber und Buchstabenverdreher.“
„Könnte es sein, dass du untertreibst?“
„Das kannst du doch gar nicht beurteilen“, murmelte Bruno.
„Kann ich doch! Ich habe mir vorgestern in der Buchhandlung ein Buch von dir besorgt, sofort zu lesen angefangen und dann konnte ich nicht mehr aufhören. Ich habe mich halb tot gelacht! Unheimlich witzig, wie du schreibst. Wie kommt ein Mensch nur auf solche Ideen?“
„Na ja, das liegt mir so im Blut, weißt du. Vermutlich nur genetisch bedingt. Das ist Nichts“, meinte Bruno etwas abwertend und grinste.
„Ich finde es gut. Wenn man Menschen zum Lachen bringen kann, dann ist es eine besondere Gabe.“
„Ach was. Humor haben doch viele.“
Sie sah ihn von der Seite an „Mag sein. Ihn jedoch aufs Papier zu bringen, das ist die Kunst.“
„Schon möglich. Aber eigentlich wäre ich lieber ein ernsthafter Schriftsteller, weißt du. Einer, der den Leuten wirklich etwas sagen kann. Das Dumme ist: Ich bin auf diese Humorschiene festgelegt und komme aus dieser Narrenrolle einfach nicht raus. Die Leute und auch mein Verlag erwarten das von mir. Andererseits weiß ich aber auch, dass ich mich mit meinen Büchern nicht überall beliebt gemacht habe. Ich habe eine Menge Leute veräppelt. Die Leute nehmen aber fast alles zu ernst, lassen sich nun mal nicht gerne veräppeln, auch dann nicht, wenn man es sehr dezent und humoristisch tut ... Einen ernsthaften Roman würden sie mir wohl kaum zutrauen und wahrscheinlich auch nicht akzeptieren. Es ist ein Dilemma. Aber können wir jetzt das Thema wechseln?“

„Nein.“
„Nein?“
„Nein, weil ich glaube, dass du die falsche Einstellung hast. Deshalb.“
„Du bist zäh wie Schuhleder.“ Bruno schüttelte lächelnd den Kopf.
„Nein. Aber ich bin eine Frau. Und Frauen haben besondere Antennen.“
„Wo hab ich das bloß schon mal gehört?“, brummte Bruno grinsend und zog die Stirn in Falten.

Kommentare

Noch keine Kommentare!
Kommentieren


Nur für registrierte User.

2010-09-07 07:47