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Thursday, 28. March 2024
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 1946-01-03 hh:mm
Das letzte Mal sah ich ihn am ...
Das letzte Mal sah ich ihn am Donnerstag den 3.I. Da kam ich von der Schule und meinte, der Micha würde wohl kommen, mich zum Kino abzuholen, wie er wollte. Bei Borch plötzlich: [russisch]! Ich gucke! Aha, er gerückte abzusteigen. Was für Rad wir zu tauschen hätten? Damenrad, äh, nee. Warum ich nicht zu ihm ins Zimmer kommen wollte? Wollte ich, dass er komme? Was wollte ich denn? Ich wollte überhaupt nichts! Lachen. Gib mir einen Kuss! Damit trat er auf mich zu. Ich glaubte nicht recht zu hören. Da machte er eine Bewegung mit dem freien Arm, den ich rasch zurückschlug, um gleichzeitig zurück zu treten. Wohl sah ich sehr empört aus, denn beide lachten los. Na, [russisch]! Wir trennten uns. Und heute, am 8.I. ist er wohl mit allen Albrechtshofern weggekommen. Aber das Kapitel Micha ist sorgenvoller und schwerer. Nicht, wie gesagt, sondern erst am Sonntag den 30., tauchte er wieder auf. Es waren die Tage, wo Mutti mit ihrem Latein ganz zu Ende war. Keine Kartoffeln mehr. Micha war ganz traurig. Selbst als Papa mal raus musste, dachte er intensiv und traurig an diese Probleme. Ja, er habe für die Arbeit ein Brot vom Vorgesetzten erhalten, das wolle er bringen. Das war mehr wert, als wenn der Käfer einen halben Sack Mehl gegeben hätte. Ach, wie lieb und gut ist der Micha, der kleine Junge, doch. Aber ich liebe ihn nun einmal nicht. Kann mir das nicht einreden oder vorstellen. Es ist ein Kummer für mich geworden. – Jedenfalls am Montagabend wollte er mit den Kameraden feiern, Dienstag aber bestimmt kommen. Am Montag war unsere Stimmung doch recht mau. Das heißt, Muttis besonders. Mit mir ist das so merkwürdig. Sowohl Weihnachten, als Neujahr habe ich wohl noch nie so feierlich gefühlt. Es hat mich so tief angerührt, dass es schlecht zu sagen ist. Ich fühlte mich wie getragen vom Schicksal, in Leid und Freuden, aber in einem Meer von Erleben in Tief und Weite. Als die Glocken läuteten am Sylvester, da schwang es seltsam in mir mit. Es war so leidvoll ruhig, fast abgeklärt, und doch so heiß sehnend in mir. Irgendwo aber läuteten auch die Glocken und zwei graue Augen leuchteten hart und verschlossen, klar und in durchsichtig zugleich. Oder verlor sich dieses alles in einem Meer von Wärme und inniger Liebe? Wie kann dieser Blick sich doch wandeln für den, dem er sich wirklich zeigt? Wie kann ich wandeln für den, dem er sich wirklich zeigt? Wie kann ich nur so maßlos unvernünftig sein? Aber diese 8 Mal möchte ich nicht in meinem Leben missen, trotz des Schmerzes, den sie mir machen. – Und ich habe nun in dem kleinen, sauberen Jungen eine vielleicht ähnliche Verwirrung angerichtet, obwohl ich nicht glaube, dass er so lange wie ich sich nicht wieder zu Recht finden wird. Doch der Reihe nach: Am Montag nahm ich den Schein Iwans und Nikolaus, da es keinen Weißkäse zum Anstellen gab, als letzten feigen Vorwand, als es bei Ludde noch nicht einmal 11 Uhr war, da half es nichts, Wie gezogen und geschoben ging ich Schritt für Schritt zur Kommandantur. Hatte ich doch jeden Mut verloren, als ich mich am Sonntagvormittag erkundigte, ob die Kommandantur arbeiten werde und so ein kalter Rußki mit förmlich vernichtender Deutschenverachtung in den Augen knappe Antwort gab. Und doch zog es mich nun in die Tür des großen Gebäudes, in das Sprechzimmer, an das Fenster. Spreche, zeige das Papier. Dabei stellt sich raus, dass der Stanchi-Leutnant gar nicht Deutsch kann. „Dolmetscher!“ meint er. Da versuchte ich es Russisch. Und es klappte großartig. Der Major kam mal runter. Sprach, sah das Papier an, usw., verschwand. War es der Kommandant? Ich weiß nicht. Jedenfalls vermerkte der Kommandanturgehilfe: An den Bürgermeister von O bg: Ich bitte, sich in dieser Frage zu orientieren und dem erwähnten Dr. Witte die nötige Hilfe zu leisten. Schluss. Nun, damit wollte ich also im neuen Jahr zum Bürgermeister Schmidt gehen. So hat das alte Jahr noch einen Aufschwung und hoffnungsvollen Ausklang. Abends saßen wir, Papa lag schon und hörten dem Radio zu. Moskau klang fast auf der ganzen Shola mit. Um 10 Uhr war dort Neujahr, um 12 Uhr sangen die Russenstimmen wieder durch die Nacht, Raketen gingen! Die Sterne funkelten hoch im Dunkel, kein Wind ging. Und die Russen sangen. Am Dienstag kam Micha schon früh. Er strahlte und lachte. Erzähle von dem Sylvesterabend, da er Wache stand und das Lösungswort ihm entfallen war. Und davon, dass der eine Major mit Begleitung rumpurzelte, den er abschleppen musste, bis ein baumstarker Soldat ihn sich unter den Arm klemmte. Doch er hatte seine eigene Hausnummer vergessen. Am vierten Eingang standen sie bei einem Vorgesetzten. Der ließ alles in den Keller sperren. Aber als sie unten waren, baten sie, er solle sie doch wegen Sylvester rauslassen. Und alle konnten gehen, selbst der Major, der den Vorgesetzten hatte verhauen wollen. Und Als Micha nicht lange wieder auf dem Posten stand, kamen welche von der Korona und wollten mit ihm einen trinken, Es muss ja recht lustig gewesen sein. – Der Mich war nachdenklich und froh zugleich. Er wollte spazieren gehen, doch ich hatte doch nicht Lust ihn durch ganz Eden zu geleiten. Also stimmte ich für [russisch] und Micha musste sich fügen. Er erzählte gern und viel, doch um vier Uhr erhob er sich. Wir gingen nachhause. Um fünf Uhr wollten sich alle Kameraden treffen. Doch nachher, falls er nicht betrunken sei, wolle er wieder kommen. Nun, ich meinte, er solle lieber ausnutzen, dass es Wodka gäbe und morgen kommen, denn ich hatte doch einige Bedenken. Aber er wollte gern kommen. Und Tatsache, gegen 7 Uhr erschien er und erzählte wie er mit dem Brot sich das gedacht hätte. Die Kameraden hätten ihn im Zimmer mit „Hallo“ empfangen, er solle trinken und singen. Also er sang und trank wenig. Ob die Kameraden schon gegessen hätten? Nein, man beschloss zu gehen. Und Micha nahm rasch Brot und Jacke und zog los. So war er durchaus nüchtern da. Er wollte schon gar nicht gehen. Papa legte sich ins Bett und Micha setzte sich auf den Sessel gegenüber, Mutti aber auf Papas Sessel. So saßen wir und träumten zum Teil, Radio spielte und die Uhr ging weiter. Spät er riss sich der kleine Mischa los. Und auf dem Flur bat er dann mit mir in ein anderes Zimmer zu gehen. Ob es nicht ginge. Ich sagte ihm, dass ich nicht mit ihm schlafen werde. Er tat merkwürdigerweise verstört. Aber habe ich Dich denn darum gebeten? – Hast Du einen anderen? Nein, ich, habe nicht! [russisch]! Ja, war. Wo ist er jetzt? Ich weiß nicht, vielleicht in Russland! Ja und nicht der Leutnant!? Nein, was ich sage, ist ganz richtig! Ich weiß nicht, ob ich ihn wieder sehe, ich glaube, ich sehe ihn nicht wieder. Er strahlt auf: „Aber mich siehst Du wieder.“ Aber im Verlauf der Verhandlung auf dem Flur verlor er seine Freude mehr und schließlich zog er recht erregt (nicht böse), aber voll Sehnsucht, ab. Wie ich später hörte, hat er sich noch so betrunken, dass er auf der Straße einschlief und in der Kommandantur erwachte.

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