Aufmerksamkeitsgier
Der Besuch bei meinem Vater war, wie zu erwarten war, anstrengend und zäh. Da mein Bruder und ich beide selbst gefahren sind, war ich diejenige, die früher eintraf und saß so am Kaffeetisch und wußte nicht was ich mit ihm reden sollte. Ich sah ihm zu, wie er einfach das Gebäck vom "Auslageteller" nahm anbiss und immer wieder zurücklegte, anstatt sich sein Stück einfach auf seinen Teller zu legen. Mir sog sich der Magen zusammen und Ekel stieg in mir auf. Endlich kam mein Bruder. Anders als erwartet, war er nicht erheitert und man sah ihm die Beklemmung direkt an. Auch er zog es vor, sich hinter den Papierbergen zu verstecken. Allerdings mußten wir feststellen, dass viele Rechnungen und Kontoauszügen fehlten und wir so nicht hinter das Geheimnis von Papas überzogenen Konto kamen. Alles was wir tun konnten war, einige Dinge zu kündigen, die allerdings erst nächstes Jahr greifbar werden. Die Lösung für seine finanziellen Probleme habe auch ich nicht bieten können. Befremdlich war mir dieser Mann und ich konnte es nicht ertragen, wenn er sich direkt hinter micht stellte um mir über die Schultern zu sehen. Letztlich war es Zeit zu gehen und Papa nahm uns in die Arme und küsste uns ab. Erst meinen Bruder und ich sah, wie er das Gesicht verzog und es ihm einfach zuwider war. Dann war ich an der Reihe. Als ich den 4. Schmatzer erhalten hatte, schob ich meinen Vater weg und er wankte auffällig. Ich dachte nur, jetzt bitte nicht stürzen...

Jedenfalls rief er mich gestern schon wieder an um mich zu fragen wann ich und mein Bruder denn wieder zu ihm kämen, denn er müsse mit uns seine finanziellen Probleme noch mal besprechen. Ganz ehrlich, ich kann nicht ständig zu ihm fahren. Er wohnt ja auch nicht um die Ecke. Außerdem hab ich auch noch ein eigenes Leben und muss selbst schauen wie ich zurechtkomme... Ich hab ihm jedenfalls gesagt, dass wir sein Auto nicht so einfach verkaufen können, bzw. zum Verkauf ausschreiben können, da wir anhand der Auszüge sehen mußten, dass er für das Auto Geld von meinem anderen Bruder erhalten hatte. Scheinbar hatte der meinem Vater das Auto bereits abgekauft und nun stand es bei Vater in der Garage... Er solle das erst mal klären. Außerdem sagte ich ihm, dass wenn er so weitermache wie bisher, es unmöglich für ihn wäre weiter eine private Pflegekraft zu bezahlen... Als mein Papa mit meinem Bruder telefonierte erzählte Papa ihm, dass er meinem Kredit fürs Wochenendgrundstück tilgt. Blödsinn....

Ursprünglich war es das Grundstück meiner Eltern, dass mir inkl. Schulden überschrieben wurde. Ich war bereit die Schulden zu zahlen und er könne es weiterhin nutzen. Die Raten hätte er im Leben nicht aufbringen können. Das einzige was wir machten war, dass wir den Kreditvertrag weiter auf Papa laufen ließen, aber letzlich ich ihm jeden Monat die Rate dafür überweise. Jetzt steh ich bei meinen zwei anderen Brüdern als die da, die dem Vater die letzte Kohle aus der Tasche zieht. Krass! Hab mich tierisch geärgert. Papa will um jeden Preis als das Opfer dastehen und wird im Grunde genommen gepuffert wo es nur geht. Er spielt alle gegeneinander aus.

Jedenfalls erhielt ich kurze Zeit nach dem Telefonat einen Anruf von der Nachbarin meines Vaters, die mir berichtete, dass mein Vater angekündigt hat, er würde sich aufhängen, weil er sich seine Pflegekraft nicht mehr leisten kann. Ich war ziemlich sauer. Wie oft hatte er Mama mit solchen Sprüchen genervt und letzlich war es nur heiße Luft. Die Welt soll sich nur um ihn drehen, und er checkt wohl nicht, dass ich selbst in 8 Wochen mein Kind habe und eigentlich mit anderen Dingen beschäftigt bin. Allerdings gestehe ich, dass ich nicht wie mein Bruder sagen kann: dann soll er doch schauen wo er bleibt. Mich treibt da mein schlechtes Gewissen um. Ich kann doch nicht die Verantwortung für meinen Vater einfach an seine Nachbarschaft abschieben.

Ich finde er sollte sich langsam mal ein wenig fangen und nicht dauernd verlangen, dass man ihn besucht. Alle zwei Wochen???!!! Das ist echt zuviel. Eigentlich sind wir 4 Kinder, d.h. wir könnten uns eigentlich so abwechseln, dass er jeden immer alle 4 Wochen trifft. Aber meinen 2 Brüder nehmen sich ganz toll aus dem Spiel. Er gesteht mir einfach mein Leben nicht zu, bzw. sieht vor lauter Selbstmitleid nicht, dass mir meine Wochenenden auch irgendwie heilig sind und ich da auch ganz gern mal mit meiner Kleinen was mache.

Ach, wenn ich nur nicht von Natur aus mit solchen Schuldgefühlen und einem solch unpassenden Verantwortungsbewußtsein gesegnet wäre, dann würde ich es vielleicht auch durchziehen, mich unregelmäßiger blicken zu lassen. Aber ich kenn mich. Ich hab dann wieder das Gefühl, was Unrechtes zu tun, denn schließlich hat er ja keinen mehr. (Wem er das letztlich zu verdanken hat, ist ja klar. Sich selbst als prügelnder, jähzorniger Koleriker).

Ich fühle mich heute jedenfalls, als hätte mir jemand einen ganz schweren Stein auf die Brust gelegt, denn nachher muss ich mit ihm telefonieren. Ich hab es satt mich aus Pflichtgefühl um ihn kümmern zu müssen, denn von Liebe spricht hier doch keiner. Aber auch als Kind steht man in einer gewissen Verantwortung. Am leichtesten hat es da mein Bruder, der 700 km entfernt wohnt. Der hat sich seit dem Tod von Mama (letzten Mai) nicht mehr blicken lassen und damit ist wohl auch nicht zu rechnen...

Ach herrje, das ist doch alles ein ganz großer Misthaufen. Ich hoffe ich bin nicht so Aufmerksamkeitsgeil wie mein Vater, komm ich in die Jahre. Bzw. wird es bei mir hoffentlich so sein, dass ich mein gutes Verhältnis zu meiner Tochter (bzw. zu meinen Kindern) weiterhin so aufrechterhalte. Dann kommen die vielleicht auch gern mal bei mir vorbei und besuchen mich, weil sie mich sehen wollen. Das hätte ich bei Mama jedenfalls so empfunden.

Um das mal am Rande zu erwähnen, war ich gestern beim Frauenarzt und hab wieder mal meinen Kleinen im Bauch belauschen dürfen. Jedesmal das gleiche, sobald die seine Herztöne abhören wollen, scheint er der König des Swings in meinem Bauch zu sein. Hat nonstop ne halbe Stunde die Hüfen kreisen lassen und keine Ruhe gegeben.

Abgesehen davon war er gestern total aktiv und hat sich vielleicht genauso mit mir über Papa geärgert. Sein Fuß kamm total oft gestern als Beule zum Vorschein und es war für mich total schön, immer wieder hinzufassen und in gewisser Weise so mit ihm in Kontakt zu kommen. Ich hab immer versucht ihn durch die Bauchdecke am Fuß zu kraulen.... Ob es ihm jetzt gefallen hat, weiß ich nicht, jedenfalls kam es mir vor, als würde er mit mir dieses "Spiel" immer wieder spielen wollen und das war schon irgendwie witzig.

So, jetzt geh ich mal den Ausschalter suchen, damit ich den Stress und dieses zugeschnürte Gefühl in mir los werde, dass mein Vater bei mir verursacht.