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Wednesday, 24. April 2024
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 1919-01-19 hh:mm
Am heutigen Sonntage findet di...

Am heutigen Sonntage findet die Wahl der Abgeordneten, oder „Volkvertreter“ für die Nationalversammlung statt! Zum ersten male wählen die deutschen Frauen auch mit! Auch ich ging heute Morgen mit meinem Mann nach dem Wahllokal, um diese neue Pflicht gegen unser armes zerschmettertes Deutschland zu erfüllen. Immer tiefer wird der Schmerz um unser verlorenes Vaterland, jeden Tag mehrt sich die Sehnsucht nach dem, was vergangen – und nicht wieder kehrt! Viele alte Leute sterben – die alten Verhältnisse gewöhnt, können sie die entsetzlichen Wirren dieser Revolutionszeit nicht ertragen! In der vergangenen Woche hatten die Straßenkämpfe in Berlin ihren Höhepunkt erreicht.
Unter der Führung von Liebknecht und Rosa Luxemburg wurden die Anhänger der Spartakusgruppe immer zügelloser, bis endlich die „Regierung“ sich nicht mehr anders helfen konnte und die bei Berlin noch stehenden Garderegimente zu Hilfe holte. Unter regelrechter Belagerung der von den Spartakusleuten besetzten Gebäude, vornehmlich Zeitungsdruckereien (Mosse, Ullstein, Scherl, Langenstein) gelang es dem Militär die Rasenden zu bändigen und Hunderte gefangen zu nehmen und zu entwaffnen. Liebknecht und Rosa L., gegen die sich jetzt der ganze Haß der bürgerlichen Kreise, sowie der Sozialisten richtete, wurden verhaftet. Liebknecht wurde bei einem Fluchtversuch erschossen, die Rosa L. von dem wütenden Pöbel durch Schüsse und Schläge getötet und sogar ihre Leiche fortgeschleppt. Seitdem ist Berlin viel ruhiger geworden und auch in Hamburg, Essen und Düsseldorf etc. ist die Herrschaft der Spartakisten gebrochen!

Wie tief ist unser Volk gesunken unter der neuen, selbstgeschaffenen „Regierung“!! Man sollte denken, daß den Vernünftigeren des Pöbels endlich die Augen aufgehen müßten, damit sie einsehen, wohin ein Volk gelangt ohne Führer und ohne Ordnung und Disziplin!

Mittlerweile haben sich hier die Franzosen ganz eingelebt, sie herrschen in den Häusern, auf dem Landrats- und Bürgermeister-Amt, auf der Straße – überall! Unser zweiter frz. Offizier ist seit 3 Tagen abgereist sodaß wir wieder einmal Herr in unserem Hause sind. Obwohl derselbe sich ruhig verhielt, war es uns doch unangenehm, einen feindlichen Gast in unserem Hause zu wissen und wir waren froh, als wir die lichtblaue Uniform nicht mehr sehen mußten. Die hiesige Bevölkerung ist sehr französich gesinnt, besonders die Juden wissen gar nicht, was sie den Feinden Alles zu lieb tun sollen. Sie empfangen dieselben abends in ihren Familien und man hört dann nur noch französisch sprechen! Dieses unwürdige Benehmen hat schon viel Ärgernis erregt.

In Lothringen geht es merkwürdig zu! Die Deutschenhetze wird täglich schlimmer; aus Saargemünd und Metz gehen wöchentlich zweimal Transporte zu 600 Personen, ausgewiesene Frauen, Männer und Kinder nach der Grenze ab! Die Armen werden nach Straßburg gebracht und über die Rheinbrücke nach Kehl, in´s Badische geführt.--- dann überläßt man sie ihrem Schicksal!! Die guten Badenser haben jedoch an der Brücke Pforten aus Tannengrün gebaut und dieselben geschmückt mit der Inschrift: „Willkommen, Ihr deutschen Brüder!“ Große Lager für die Flüchtlinge sind dort errichtet, Stellenvermittlung etc. , sodaß diese Bedauernswerten Unterstützung finden. Man teilte denselben erst 12 Stunden vor dem Abtransport ihre Ausweisung mit, eine Offiziersgattin mit 4 monatl. Kinde wurde abends benachrichtigt, daß sie am anderen Morgen um 6 Uhr am Bahnhof sein müsse! Das sind die edlen Feinde! General Foch, diese erbärmliche Mensch, verlangt die unerhörtesten Opfer von uns, trotzdem wir nicht mehr im Kriege sind, während er es ablehnt, unsere Gefangenen nun auch herauszugeben, nachdem wir die frz. Gefangenen abgeliefert haben.
Unser armer Sohn schrieb nach Metz, daß er von uns wenig erhalte, besonders Zigaretten, und wir schicken jede Woche ein Packet und Geld ab. Es ist zu traurig und macht mich ganz krank, daß der arme Junge Mangel leidet und glaubt, wir hätten ihm nichts geschickt. ---

Auch unsere Verwandten in Metz sind in übler Lage. Mein Schwager wird wohl auch ausgewiesen werden, dann steht sein schönes Haus schutzlos den Feinden preisgegeben. Verkaufen darf er es nicht, auch sein Geld erhält er nicht von den Banken – es ist eine schreckliche Lage! Eine merkwürdige Erscheinung im öffentl. Leben in Metz, ist der offenbare Haß, den die Franzosen gegenüber den Lothringern bekunden! Nachdem der erste Siegestaumel verrauscht ist, kommt nun verschiedenes zu Tage, was Keinem gefällt. So sagen die Franzosen: die Lothringer, ehemals französisch, haben im Kriege gegen uns gekämpft – sie sind schlimmer, als die Boches (die Deutschen)! Die Metzer Bevölkerung sieht ungern den Zuzug französischer Geschäfte und Läden, die eine neue Konkurrenz bilden – kurz die anfängliche Freude über die Franzosen ist schon jetzt sehr getrübt. Metz soll bereits ganz französisch, d.h. schmutzig aussehen. Auf den Sockel des Standbildes des alten Kaisers, welches man heruntergestürzt hatte, stellte man die  Statue eines frz. Poiln (Poiln, gemeiner Soldat!)—

Im Osten drohen die Polen, welche bereits viele Städte besetzt haben; die frz. Regierung sandte 2 polnische Divisionen aus Paris nach Danzig-Thorn, um dort mit frz. Truppen vereint an dem Kampf teilzunehmen. Überall wird das schöne deutsche Reich zerrissen und zerfetzt. Die Katholiken wollen eine rheinisch-westfälische Republik gründen, um ihr Wirkungsfeld gesichert zu haben! Dies soll ein weltliches Reich des Katholizismus werden, an Stelle der zersprengten Zentrumspartei! Dann ist die Zukunft für Anhänger anderer Glaubensgemeinschaften unmöglich, hier zu leben, --- ---

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