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Friday, 29. March 2024
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Tagebuch An_mich_selbst
 1909-08-12 hh:mm
Ende der Schulzeit - Lehrerinnenseminar in Torgau
Ja, ja, so vergeht die Zeit, u. was bringt sie alles mit sich. Ostern wurde ich in die I. Klasse versetzt. Wir waren im ganzen: Marg. Dienemann, Hilde Berner, Elisabeth v. Landwüst, Elis. Mez, Gertrud (Fischer) Richter, Gertr. Hobbing u. ich, also 7 Schülerinnen zusammen.
Es war ein ganz ideales Leben. Frl. Seydlitz war teilweise sehr nett, aber manchmal auch das Gegenteil. Unser Klassenzimmer hatten wir sehr niedlich geschmückt. Nach Pfingsten machten wir unseren Schulausflug nach Leipzig, besahen die Gemäldegalerie u. Schlachtendenkmal. Dann führten wir aus dem Stegreif ein Stück auf „Ein internationales Kränzchen“, welches großen Beifall erregte. Am 4. Sept. war Frl. Seydlitz` Geburtstag, bis dahin war es die schönste Zeit. Unsere Beratungen u. Sitzungen u. dann die Proben sie waren gottvoll! Manchen Strauß hatten wir zwar auszufechten. Hatten wir in der II. Kl. „Die deutsche Frau in allen Jahrhunderten“ in lebenden Bildern dargestellt, so wurde in der I. Klasse das deutsche Volkslied verherrlicht. Die Lieder: „Schlaf, Herzenssöhnchen; was frag ich viel nach Geld u. Gut; sah ein Knab ein Rös`lein stehn; ich schieß den Hirsch im wilden Forst; u. der Hans schleicht umher; Mägdlein am Spinnrad wacht, strömt herbei ihr Völkerscharen u. „aus der Jugendzeit“, wurden mimisch mit Klavier; Geige- u. Gesangsbegleitung vorgeführt. Den Schluß bildete ein bunter Reigen nach der Melodie:
„Wir winden dir den Jungfernkranz.“ Es war ein herrlicher Tag u. seit dem hießen wir bei Frl. Seydl. „Meine lieben Schülerinen.“ etc.- Ruhig u. still verlief die übrige Zeit. In den Sommerferien besuchte ich Gert. Fischer in Summerstedt. Äußerlich hatte sie sich sehr verändert. Es war eine sehr nette Zeit. Öfters fuhren wir Auto. Eine Wagentour machten wir nach Ilsenburg, die prächtig war. Sehr unsympathisch war mir Lotte Fischer. Sie besaß eine impertinente Weise, Truden zu behandeln u. zu befehlen. – Drei Tage hielt ich mich in Marienberg auf. Sie waren alle sehr nett. Mit Schw. Julie verstand ich mich sehr gut. Ganz offen hab ich ihr meine Meinung über Marienberg gesagt. – Mein Bruder diente voriges Jahr sein „Jahr“ ab. Er brachte es nur bis zum Gefreiten.—Weihnachten bescherte Grete Dien. u. ich drei armen Mädchen.- Dann kam das letzte ¼ Jahr. Ich beschloß, Lehrerin zu werden, u. arbeitete mit diesem Gedanken auf Ostern zu. Ich erhielt ein ganz gutes Zeugnis. Und wurde in Torgau auf dem staatlichen Seminar aufgenommen. Ohne Prüfung gelang es mir, weil das Seminar neu von Droysig herüberkam.- Zum Schulabgang schenkten wir Frl. Seydl. „Das Volkslied“ als Bild 18 M zum Andenken an uns. Zuletzt hatte unsere Klasse noch ein Kränzchen, die allerliebst waren. Wir bewegten uns nur in „klassischen Genüssen“ u. schwärmten für „teves“ u. Kornow.“ Ich ging sehr viel ins Theater u. war Feuer u. Flamme dafür. Und wollte partout auf die Bühne.—
In der letzten Wch. Lud uns Frl. Seydl noch einmal ein, u. verehrten dort Schiller mit Lorbeern u. seinem „Wallenstein“. Wunderbarer Tag.—
Das war meine Schulzeit. Bin 18 Jahr dabei geworden. - - -
Nun kommt meine Seminarzeit.- Die Vorbereitungen waren getroffen, nun kam der Abschied von Schule und Haus u. vor allen Dingen von Halle. Grete Dienemann ging nach Sonderhausen auf`s Seminar, die anderen zerstreuten sich teilweise, teilweise blieben sie zu Haus. Ein Zirkularbrief, zur Aufrechterhaltung der Freundschaft u. Jugend wurde eingerichtet, der sich jetzt in der schönsten Blüte befindet.—
Strenge Zucht herrscht hier in Torgau, obgleich im Externat (Schulzenstr. 18).) die Zeit war eingeteilt. Nun man lebte sich ein. Doch dauerte das länger in den Stunden. Zwei Lehrkräfte Frl. Fässig, die heut Geburtstag hat 12. Aug; u. Herr Liebau. Die I. Zeit war furchtbar. Dann kam Pfingsten u. wie im Paradise wandelte ich in Halle. Vier Wch. Arbeit noch, dazwischen auch meinen Geburtstag, der sehr nett war, u. dann die 5 Wch Ferien vom 3. Juli bis 10. Aug. Prachtvoll waren diese Tage. Leider herrschte ein Regenwetter, so daß aus unsrer großen geplanten Harztour nur noch eine kleine wurde. Wir 4 Geschwister u. Herr Schatz fuhren morgens 4 Uhr nach Thale unter strömmenden Regen. Stiegen den Hexentanzplatz beim Nebel empor, sahen das wunderbare Schauspiel des Steigen und Fallen des Nebels an u. marschierten dann im schönsten Sonnenschein durch die schöne Natur hinunter nach Treseburg. Hier erholten wir uns u. gingen mit neuen Kräften das wunderbare Bodetal entlang. So etwas sah ich noch nie! Staunend betrachtete ich diese herrlich, majestätische Natur u. bewunderte den Schöpfer dieser Herrlichkeiten.—Der Aufstieg zur Roßtrappe war sehr schwierig, aber sehr schön.
Um 19 Uhr nachts trafen wir in Halle ein. – Noch andere Partien unternahmen wir u. die Ferien waren um. – Herr Pastor Kaiser ein Badener, den ich letzten Winter kennenlernte, schied auch von uns.- Welche Gefühle ich dabei hatte, ist mir unbekannt. Er war ein sonderbarer Mensch!- - - - -?
Mein Bruder macht jetzt seine I. Reserveübung, hoffentlich wird er jetzt Unteroffizier.- Ich sah auch Marta Strucksberg, sie war 8 Wch. im Harz u. verschenkte ihr Herz einem Landwirt, dadurch vergißt sie wenigstens die ungesunden Gedanken mit Pev.- Grete Dienemann sah ich auch, der es gar nicht in Sondershausen gefiel.- Im Juli starb unser Dichter Lilienkron. „Sein Andenken in Ehren.“ – Fürst Bülow legte auch sein Reichskanzleramt nieder, ihm folgte von Bethmann u. Hollweg.-
Pfingsten flog Zeppelin über unser Halle hinweg. „Heil Dir, Du Lufteroberer.“-
Trude Fischer ist jetzt auch in Torgau, sie will auch ihr Examen machen. Ich freue mich sehr, sie hier zu haben. Sie ist ein sehr nettes Mädchen u. lustig vor allen Dingen. Sie ist heimlich mit einem Ingenieur verlobt. „Otto Erker“.—
Wir leben jetzt frei wie der Vogel., denn unsere Bestimmungen sind gestrichen worden. Es wurde aber auch die höchste Zeit.—Mariechen Rönnefahrt ist ein eigenartiges Mädchen.—Mit Schw. Julie steh ich im regen Briefverkehr.—Josef Neumeyer habe ich einstweilen den Laufpaß gegeben, weil er mir gleich intim wurde.—
So, nun wünsche ich uns allen viel Glück u. Segen zum weiteren Wirken.- - - -

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