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Friday, 29. March 2024
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Tagebuch An_mich_selbst
 1911-03-27 hh:mm
Anlagen zum Tagebuch (Zeit v. 5.2.1905 bis 23.2.1908)
Sonntag.d.5.Feb.05.
Am Donnerstag haben wir Zeugnisse bekommen es lautet.
Gaben: II-III: sehr gut – hinlänglich
Sittlichkeitsverhalten: II-III: meißt löblich oft tadelhaft
Ordnung: II: meißt löblich
Fleiß u. Lernen: II-III: meißt löblich oft tadelhaft
Fortschritte im Lernen: III gut
Leibliches Befinden: sehr gut
Allgemeines Urtheil: III gut

Am Sonnabend nach dem Waschen mußte ich noch in Schw. Mariesstube kommen, da hat sie noch mit mir über mein Zeugnis gesprochen.
Erst las sie mir mein voriges vor. Dann verglich sie beide. Etwas war es anders als das vorige. Aber im Großen Ganzen ist es viel besser. Aber wie immer war auch das Gespräch über meine Laune, das ich mir nie etwas sagen lasse u. mich stets im innern auflehne. Ich wär so furchtbar hochmütig. Wie ein Pharisäer u. was sie noch alles sagte. Es ist ja auch alles die reine Wahrheit. Sie meint es wirklich mit mir gut. Weiter sagte sie. Es wäre noch nie so eine launenhafte Schülerin hier gewesen wie ich. In manchen Stunden könnte ich so nett aufpassen u. in anderen wieder nicht. Ich müßte doch auch gegen diese Launen kämpfen u. ein einziger Blick oder ein Wort von ihr o. Schw. Julie müsten mich daran erinnern. Meine Eltern würden es wohl ernstlich wünschen, das ich Ostern mit Englisch anfangen. Ich müßte mich auch wirklich zusammen nehmen, weil ich im Deutschen noch so weit zurück bin. Ich machte solche Fehler, welche man einem 9 Jährigen Kinde übel nimmt.
Ich könnte etwas ganz tüchtiges werden! Dann frug sie, ob ich das auch einsehe? Ich sagte Ja! Nach einer Weile sagte sie. Wer ist denn deine Freundin? Ich sagte Mariechen Rönnefahrt . Da sagte sie. Wir paßten ja zusammen. Mariechen hat schon sehr gegen ihre Laune zu kämpfen. Wir müßten uns jeden Abend fragen. Na ist es dir gelungen u. sollten uns beide mit einander zum Guten überreden. Das wäre rechte Freundschaft. Sie sagte mir. Das wäre auch nicht recht vor Gott wenn ich so ungezogen wär. Und ich wollte doch auch sein Kind sein. Ob ich denn ernstlich betete.
(Auf dieser Seite kleben senkrecht zwei kleine Zeitungsausschnitte mit der Aufschrift:)
W a l t e r
und
Breitscheidstr.


Ach ich bete doch immer, das mich der liebe Gott zu einem anderen Menschen machen möge. Schw. Marie denkt, daß ich mir garnichts daraus mache. Sie sagte mir den Spruch: Leben wir so leben wir im Herrn – darum wir leben, so sind wir des Herrn. Ich sollte doch den lieben Gott bitten, jeden Tag ein Gebet um Kraft u. Stärke, das ich eine fleißige, treue u. gewißenhafte Schülerin sein will, zu Gott hinauf schicken. Dann würde ich kräftig u. stark sein. Zuletzt frug sie noch, ob ich denn nicht anders werden wollte. Ich versprach es ihr. Dann sagte sie, denke daran, du hast es mir versprochen. Als ich aufstand drückte sie mir herzlich die Hand u. sagte mir ich sollte doch das Böse überwinden.. – Ich will es tun u. immer daran denken, wenn es mir auch schwer wird.
Der Herr verläßt mich doch nicht.

S.d.19.Feb.05.
Diese Woche war Anfang ganz gut. Donnerstag hatten wir eine Geographie regitition. Sie ging ganz herrlich. Besonders für mich. Frau Domina hat mich sehr gelobt. Ich habe jetzt auch Frau D. Tisch wieder. Da sagte Frau D. zu Elisabeth Nobke, sie sollte mich ehrwürdig behandeln. Aber am
Freitag. O, der Schreckenstag. In der Rechenstunde hatte ich mit einer Stecknadel gespielt. Schw. Juli sagte, was hast du da? Ich sagte ihr „nichts“. Da sprach sie: Schämst du dich nicht, mir ins Gesicht zu lügen. Jetzt hatte ich es. Sie nahm mich nicht mehr dran. In der nächsten Pause ging ich zu ihr hin, und bat sie um verzeihung. Da sagte sie zu mir. Ich kann dir gar nicht sagen, wie furchtbar traurig ich darüber bin. Noch nie habe ich es bei dir gemerkt.. – Aber da ging die Stunde an. Sie sagte zu mir nach Tisch, will ich mit dir darüber sprechen. Aber es wurde nicht. O, ich war so sehr, sehr traurig u. weinte immerzu. Sie sagte mir wohl „Gute Nacht“. Aber sie hatte mir doch noch nichts gesagt, daß sie mir verziehen hätte. Ich konnte es wirklich nicht aushalten. Den ganzen Sonnabend nachmittag weinte ich. Als wir zu Bett lagen, konnte ich mich nicht beruhigen. Ich weinte u. weinte. Da kam Schw. Julie, um zu Bett zu gehen. Da hat sie es gehört. Sie hatte es wohl schon gemerkt. Das es mir leid ist. Sie kam an mein Bett. Und sagte zu mir, ich sollte doch jetzt aufhören zu weinen. Ich hab ja doch gemerkt, daß es dir leid ist. Ich habe dir doch verziehen, das weißt du doch. Bitte doch den lieben Gott, daß er dir verzeiht. Ich weiß wohl, das du nicht lügen wolltest, das hast du nur so schnell gesagt, aber das müßte ich mir zur Warnung dienen lassen. Damit wird es bloß verstärkt. Ich konnte sie aber nicht ansehen u. weinte noch schrecklicher. Sie beugte sich so tief auf mich, streichelte mein Gesicht u. war so nett. Dann sagte sie mir. Gretchen du hast mich doch auch verstanden. Ich sagte ja. Dann sagte sie beruhige dich nur. Ach ich kann sie ja gar nicht an sehen. So etwas! nie werde ich es vergessen, ein sehr große Warnung solls mir sein. O, Herr verlaß mich nicht.
Als ich Heute vom Abwaschen kam, sagte Schw. Julie zu mir: gehst du mit zu den alten Frauen, ich sagte: ich weiß es noch nicht. Nach einer kleinen Weile sagte sie. Du mußt jetzt nicht mehr den so Kopf hängen lassen. Noch allerlei sagte sie zu mir. Das ganze Leben sei ein Fallen, aber man müßte wieder auferstehen. –

Am letzten Waschabend, Sonntag vor der Konfirmation-Reminise
den 19. März.
Als ich von den Klassenwischen herauf kam. Zog mich Schw. Julie an meinem Zopf, daß sie mich kämmen wollte. Ich wußte nicht, wie ich meinen Kopf halten soll. Da sagte sie zu mir, geh weg, kämme dich allein. Als ich in der Halle war. Redete ich mit Trude Fischer allerlei, daß ich mir die Stunden von diesem Semester keine zurücksehne, u.s.w. Nach dem Beten sagte mir Schw. Julie nicht „Gute Nacht“. Als ich am nächsten Morgen die Klasse machte, kam Schw. Marie zu mir und sagte: „Höre mal Gretchen, du warst gestern wieder einmal so ungezogen zu Schw. Julie. Kannst du dich denn garnicht ein bischen bekämpfen u.s.w. Du hast Schw. Julie den ganzen Tag verdorben, ich würde das nicht auf mir sitzen lassen, gehe zu ihr hin und sage: Verzeihen Sie mir doch Schw. Julie, daß ich sie betrübt habe. Sonst hast du dir auch heute den ganzen Tag verdorben. Ich beeilte mich, mit der Klasse, dann ging ich zu Mariechen u. sagte es ihr.
Mariechen, das gute Kind, ging hin zu Schw. Julie u. sagte: Schw. Julie, Gretchen möchte gern zu Ihnen. Sie sagte: Ja, ich weiß es schon. Ich stand in der kleinen Küche u. sagte zu ihr. Bitte Schwester Julie, verzeihen sie mir. Sie sagte zu mir, komm mit in meine Stube. Als ich drinn war, sagte sie zu mir. Weißt du auch, warum du um Verzeihung bittest. Da sagte ich „Ja“. Weswegen denn. Da gab ich ihr keine Antwort. Sie hielt mir noch eine lange Rede. Wir wüßten garnicht wie furchtbar schwer es uns wird. Anfangs war sie furchtbar böse. Dann sagte sie: „Ich kann dir garnicht sagen wie furchtbar weh mir das Gespräch zwischen dir und Gertrud war, habt ihr denn das mit willen getan?“ Ich sagte nein. Auch sagte sie. Es macht mir kein Vergnügen, so streng mit euch zu sein, aber du forderst immer eine besondere Strenge heraus. Du hast vor mir garkeinen Respekt, du behandelst mich wie deinesgleichen, Ich fordere keine besondere Liebe von dir, aber ich fordere, daß du Achtung vor mir hast. Nach einer Weile sagte sie zu mir. Du hast wohl auch mal über mich gesprochen, ich sagte „ja“. da sagte sie, das ist eben dieses. Aber wie furchtbar schwer wird das für uns sein, denn das habe ich wohl öfters gemerkt. Ich heulte nun furchtbar, und hob einmal meinen Kopf hoch. Da sah ich, wie sie mich durchdringend ansah. Dann sagte sie nun geh hin. Das andere Semester wird anders, und wenn du etwas hast, dann kommst du zu mir. Ich heulte immer noch furchtbar. Sie sagte: Nun laß es gut sein u. weine nicht mehr u. verdirb Mariechen nicht den ganzen Tag. Gut! Ich sagte Nein. Sie drückte mir so fest die Hand eine ganze Weile. Und war so nett. Aber das Semester soll ganz anders werden.


Sonntag, den 28. Mai.05.
Am vorigen Montag. In der franz. Stunde sollte ich eine Frage beantworten und wußte sie nicht. Da ward Schw. Julie so furchtbar böse. Sprang von ihrem Stuhle auf und gab mir eine Ohrfeige: Diese XXX lasse ich mir in diesem Semester nicht mehr gefallen.“ Sie nahm mich die ganze Stunde nicht mehr dran. Ich hatte gerade Klassenwischen mit F.v.Dassel. Sie erzählte sich mit Schw. Julie allerlei. Als wir fertig waren ging Schw. Julie raus u. sagte: „Gretchen, komm mal mit in meine Stube“. Als drinnen war sagte sie: „Nun sage mir mal ganz ehrlich, hast du in diesem Semester schon wieder über mich gesprochen? Ich sagte nein. Ich hatte immer Angst; das du es tun würdest, denn ich weiß ja in was für einer respektlosen Weise M. Rönnefahrt über mich gesprochen hat. Darum hat es mir immer leid getan, daß du mit ihr verkehrt hast. Es hat dich furchtbar geschadet. Dann frug sie noch ob ich es auch nicht gewußt hätte. Ich könnte doch in manchen Stunden so frisch sein. Und heute morgen als du die Frage nicht beantworten konntest, lag ein so kläglicher Ausdruck auf deinem Gesicht. Wie furchtbar Weh mir das getan hat, kann ich dir nicht sagen. Ich sollte doch Vertrauen zu ihr haben, und komm doch einfach zu mir, wenn du es nicht verstanden hast. Dann sagte sie „Willst du es tun? Ich sagte nicht.“ „Na willst du es mir nich versprechen, ich sagte ja. Dann soll es wieder gut sein. Sie gab mir ihre Hand. Von dem Tage ist sie so furchtbar nett zu mir. Ach ich habe sie auch wirklich lieb!!
Am Freitag auf den Spaziergang, fanden wir auf dem Wege viel Klee. Wir setzten uns hin, um uns davon zu flügen. Als das Sch. Marie sah, wurde sie furchtbar böse und sagte, wir wollten wohl mit Willen ungehorsam sein. Vor dem Gottesdienste sagte sie. Ihr drei seit so ungehorsam, ihr seit mir gar nicht mehr heimisch. Beim Essen sagte sie: Grete Vogel, wirst du bald die Güte haben, und mir die Adresse geben.“
Gräßlich ist Schw. Marie gewesen.

Selbst gemachte Verse, in ernsten Stimmungen verfaßt.

Am 5. Nov.1907.

1. Ach, meine Sündenlast sie drückt mich fürchterlich;
Drum bitt ich Dich, erbarme meiner Dich.
Erhör mein Schrein`und nimm mich gnädig an,
Ach, Herr, mein Gott, ich bitt, ich fleh , ich ruf Dich an.
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2. Herr, nimm mich hin, so wie ich bin,
und strafe mich nach Deinem Sinn,
und mache was Du willst mit mir,
Doch, Herr, nur ja nicht laß von Dir!
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3. Und gib mir Kraft Dein Eigentum zu werden,
Damit ich hier auf dieser ganzen Erden,
nur stets auf Deinen Willen hören mag,
und Deinen Leiden folgen nach.
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4. Und steh mir gnädig bei in meiner letzten Not,
und tröst und stärke mich bei meinem Tod.
Und führe mich dazu hinauf zu Deinen Himmelshallen.
Wo ewig wird Dein Ruhm von meinen Lippen schallen.
Am 27.Nov.1907.

I. Folg in deinem ganzen Leben dem treuen
Heiland nach
Und hoff` und glaub`, daß Er durch seine
Kraft vermag
Den Frieden dir zu geben in Herz
und Seel hinein;
Doch mußt auch du dem Herren dann
Treu gesinnet sein.
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II. Behalte dann den Schatz, den du dir hast
erworben,
Und hasse das, wofür dein Heiland ist
gestorben,
Und scheu dich nicht aufrichtig zu bereuen:
„der Herr u. Gott ist mein“.
Und glaube mir der Lohn, den Gott dann
gibt, ist nicht so klein.
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III. Es lohn sich schon dafür zu wetten, wagen ,
kämpfen u. auszustehen etwas Not und Pein.
Doch das vergiß ja nicht, auf deiner Hut
u. wachsamer zu sein,
Denn kommen kann der Tod wie ein Gespenst der Nacht. –
Und dann ist es zu spät - - -
Drum habe acht, hab acht !!!!
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IV. Dann wird es ja erscheinen, ob du die Kron
erhällst,
Die Gott der Herr den Seinen in Aussicht hat
gestellt.
Und ist es nicht, ja dann, umsonst hast
du gelebt,
Und Gottes Strafgericht im ganzen Zorn
erbebt.
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V. Drum, Herr mein Gott, weil es so ist auf
Erden,
Und ich ja nichts vermag mit meiner
schwachen Kraft,
Drum hilf mir doch dein Eigentum zu
werden,
Daß ich die Kron des ew`gen Lebens erben
mag.
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Am 23. Februar 1908.
(Für eine Schulkameradin in`s Album gedichtet)

Nur treu!
Sei treu und wahr dein ganzes Leben lang!
Und wird`s in schweren Leidensstunden
deines Lebens dir oft um`s Herze bang.
Ja, dann vergiß ja nicht,
Warum du lebst, u. was des Lebens Pflicht.
Ring tapfer dich hindurch, u. laß vom
Ziel durch niemanden dich abbringen,
Dann wirst du durch den Kampf, zum
herrlichen Siege dringen!
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An_mich_selbst Offline

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1911-03-27 hh:mm